Die traditionelle Tracht tragen die Samen wieder mit Stolz – auf einer Bootstour mit Tore Turi. Foto: Schmierer

Im arktischen Winter herrschen eisige Temperaturen, im Sommer plagen die Stechmücken.

Was Kälte heißt, lässt sich bei Sven Engholm erahnen. Eine seiner im Kiefernwald bei Karasjok versteckten Lodges ist bis unters Dach mit Kleidung aus Rentierfell vollgestopft. Gefütterte Lederhosen, warme Überzieher und gepolsterte Windjacken in allen Größen. Der Grund für die Kleiderkammer mitten im Nirgendwo ist simpel: Engholm veranstaltet Schlittenhunde-Touren durch die arktische Nacht – und hat oft erlebt, dass die in London, Paris oder Hamburg im Kaufhaus hängende Outdoor-Kleidung dem Winter am Polarkreis nicht gewachsen ist. Von Oktober bis April erreichten die Temperatur selten den Gefrierpunkt, im Januar zeigt das Thermometer einen Durchschnittswert von 17 Grad unter null an. "Touristen können sich meist nicht vorstellen, wie kalt es hier wird", erklärt Engholm, weshalb er seine Gäste lieber gleich in taugliche Kluft packt.

Ums Rentier kommt man bei einer Reise nach Nordnorwegen nicht herum – das Leben der Samen, der 70000 Köpfe zählenden Urbevölkerung der Finnmark, ist untrennbar mit dem Tier verbunden. Auf den Fersen der Rentierherden besiedelten die Samen vor über 10000 Jahren die eisfrei gewordene Nordspitze Europas. Der Fell und Fleisch liefernde Hirsch der Tundra prägt die nordische Schöpfungsmythologie ebenso stark wie das Nordlicht. Und noch heute bestimmt die Rentierzucht – neben Fischfang und Fremdenverkehr wirtschaftlicher Eckpfeiler der Finnmark – den Lebensrhythmus der samischen Einwohner. Im Sommer fressen sich die halbzahmen Tiere auf den grünen Hügeln an der Küste Winterspeck an. Im Frühherbst ziehen die Rentierhirten mit der Herde 1000 Kilometer weit ins bitterkalte, aber weniger schneereiche Binnenland.

Auch für Risten Eira ist es eine Selbstverständlichkeit, eine eigene Herde zu haben. Schon als Kind hat sie gelernt, mit dem Lasso umzugehen. In Sekundenschnelle schneidet die 22-Jährige ihren Rentieren ein wie ein Blitz gezacktes Zeichen in die Ohrmuschel – selbst wenn die Herde ausbüxen sollte, weiß jeder Same, wer der rechtmäßige Besitzer der Tiere ist. "Die Rentiere gehören zu unserer Kultur, wir können nicht ohne sie leben", sagt die junge Frau. In ihrem Heimatdorf Mazé, auf halber Strecke zwischen Alta und Kautokeino, lebt noch die Hälfte der Bevölkerung von der Rentierzucht. Ohnehin gilt der Ort als eine Art samisches Musterdorf – gerade mal vier der 350 Einwohner zählen sich nicht zur Urbevölkerung der Finnmark.

Mazé – der Name geht auf den samischen Begriff "breiter werdender Fluss" zurück – spielt fürs politische Selbstverständnis der Urbevölkerung eine Rolle. In den 1970er Jahren wurde der Ort zum Symbol für den Widerstand. Um die Wasserkraft in der Finnmark zu fördern, hatte die Regierung in Oslo einen Megastaudamm geplant. Eine ganze Reihe samischer Siedlungen wäre vom Wasserbecken für die Stromturbinen verschluckt worden. In Mazé sollte der Stausee den Kirchturm um zwei Meter übersteigen. Doch die samische Bevölkerung stellte sich quer – und erreichte mit weltweit beachtetem Protest gegen das Projekt im norwegischen Parlament einen Sinneswandel. Der Bau wurde in letzter Minute gestoppt, die traditionsreichen Dörfer durften überleben.

Für die Samen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ohnehin viel verbessert. Zwar wäre es übertrieben, von einem unterdrückten Volk zu sprechen. Doch die im Norwegen der Nachkriegszeit verordnete rücksichtslose Assimilierung ist nicht zuletzt durch den Staudamm-Protest überholt. Inzwischen werden die Schulanfänger in samischen Gemeinden auch auf Samisch unterrichtet, die Sprache der Urbevölkerung erlebt eine neue Blüte. 1990 schufen Norwegen und Finnland gesetzliche Grundlagen zur Gleichstellung mit der offiziellen Landessprache, beide Regierungen richteten ein samisches Parlament ein, das wenigstens beratende Funktion hat. Der von christlichen Missionaren mit Feuer und Schwert verfolgte Joik, ein an Gesänge von Schamanen angelehnter Ruf, darf am Lagerfeuer wieder gesungen werden. Auch ihre Tracht tragen die Samen wieder mit Stolz– wenn Risten Eira ihre Gäste im mit Fellen ausgelegten Lavvo-Zelt mit Rentierfleisch und Moltebeeren bewirtet, erklärt sie gern, was es mit den bunten Zierbändern und reich bestickten Glitzerborten auf sich hat. Nur bei der Frage nach der Größe ihrer Herde hält sich die 22-Jährige bedeckt: "Ich frage ja auch nicht, was auf Ihrem Konto liegt."

Eine Reise zu den Samen in die norwegische Finnmark

Anreise
Die Flugplätze der Finnmark werden von SAS, Wideroe und Norwegian bedient. Täglich geht es von Oslo aus zu den Regionalflughäfen in Alta und Kirkenes. Die Busgesellschaft Veolia fährt fast jeden Winkel der dünn besiedelten Region an.

Aktivitäten
Eine Rundreise durch die Finnmark könnte in Alta starten – die bis zu 6200 Jahre alten Felszeichnungen zählen zu Welterbe der Unesco. Das Alta-Museum vermittelt einen Überblick über die samische Kultur. Weitere Stationen könnten Mazé, Kautokeino und der Kulturpark Sapmi in Karasjok sein. Infos im Internet unter www.finnmark.com.

Unterkunft
Neben den Hotelketten Rica und Thon gibt es Möglichkeiten, in Lodges und Lavvo-Zelten zu übernachten, www.visitnorthernnorway.com.