Noch ist grenzüberschreitendes Bahnfahren oft mühsam. Mit mehr Kooperationen und internationalen Fernzuglinien könnte der Kontinent auf der Schiene besser zusammenwachsen.
Liegen statt fliegen: Am 11. Dezember startet in Berlin die neue Nachtzugverbindung zwischen der deutschen und der französischen Hauptstadt. Der Nightjet der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) nach Paris wird in Kooperation mit der Deutschen Bahn AG fahren, die ihre einst stattliche Schlaf- und Liegewagenflotte vor einigen Jahren komplett aufgegeben hat. Die ÖBB übernahmen einige Linien mitsamt Fahrzeugen und wurden so zum Marktführer bei Nachtreisen mit dem Zug, ihre 38 Nightjets verbinden viele attraktive Städte in Mitteleuropa. Berlin etabliert sich dabei als eine Drehscheibe auch für Nachtzugverkehr. Derzeit gibt es Liege- und Schlafwagen verschiedener Anbieter nach Basel und Zürich, Wien und Graz, Bratislava und Budapest, Amsterdam und Brüssel sowie Kopenhagen und Stockholm.
Hindernisse und nationale Interessen
Noch ist grenzüberschreitendes Bahnfahren oft mühsam. Es gibt zu wenige umsteigefreie Verbindungen und der Ticketkauf wird allzu oft zum Hürdenlauf. Die nationalen Bahnunternehmen stimmen sich unzureichend ab und von Land zu Land gelten unterschiedliche Bedingungen für Technik, Betrieb und Personal, was an vielen Grenzen teure und zeitraubende Wechsel von Loks und Mitarbeitern erfordert.
Die Europäische Union fördert zwar auf den transeuropäischen Eisenbahnkorridoren (TEN) den Ausbau und die Vereinheitlichung der Schieneninfrastruktur seit Jahrzehnten. Doch die Initiativen kamen viel langsamer voran als einst geplant. Immerhin sind inzwischen in vielen Ländern von Spanien bis Polen wichtige Strecken modernisiert und Hochgeschwindigkeitsverbindungen ermöglicht worden. Auch Deutschland will sein lange vernachlässigtes Schienennetz mit zweistelligen Milliardensummen wieder leistungsfähiger machen.
Kooperation statt Konkurrenz
Nun hat das Expertenbündnis Bahn für Alle einen neuen Vorschlag vorgelegt und fordert, diese Infrastruktur für ein neues EU-weites Fernreisezugnetz zu nutzen. Planung und Betrieb eines solchen Netzes seien eine öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge, nötig sei daher statt Konkurrenz der Bahnen eine EU-weite Kooperation. Konkret: Eine Dachgesellschaft der europäischen Eisenbahnen, die „United Railways of Europe“, könnte mit neun Nacht- und Fernreisezuglinien beginnen, die regelmäßig den Norden, Süden, Westen und Osten des Kontinents verbinden sollen.
„Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat es uns letzte Woche noch einmal vor Augen geführt: Der Klimaschutz im Verkehrssektor ist völlig unzureichend“, betont Ludwig Lindner, Sprecher von Bahn für Alle. Um das große Klimaschutzpotenzial der Bahn tatsächlich zu heben und in großem Stil Flüge auf Züge zu verlagern, sei „der Schlüssel nicht Wettbewerb, sondern Kooperation der europäischen Eisenbahnen“. Dafür müsse sich die Bundesregierung stärker einsetzen als bisher. An den Verkehrsminister Volker Wissing hat das Bündnis nun einen Forderungskatalog geschickt.
Nachts werden Betten ausgeklappt
Beim Nightjet-Start in Berlin will die Initiative dem Minister eine Europakarte mit neun transkontinentalen Fernreisezuglinien sowie Handlungsempfehlungen übergeben. Nach dem Vorbild der transsibirischen Eisenbahn sollen die Züge den Kontinent ohne Umstieg durchqueren, die Fahrgäste tagsüber im Sitzen reisen und nachts Betten ausgeklappt werden. Einzel-, Zweier- und Familienabteile sollen für die nötige Privatsphäre sorgen, Großgepäckabteile die europaweite Fahrradmitnahme und sogar vereinfachte Umzüge innerhalb des Kontinents per Zug ermöglichen.
Wer zum Beispiel von Budapest nach Madrid oder von Rom nach Stockholm ziehe, könne das dann künftig mit der Bahn bewerkstelligen, schlagen die Experten vor. Insgesamt lasse sich mit einem solchen Liniennetz der Vereinigten Eisenbahnen Europas mehr als ein Viertel der Treibhausgasemissionen im Vergleich zu Flügen zwischen Ländern der EU vermeiden.
Neun Linien auf der Netzkarte
Auf der Europa-Netzkarte sind die neun vorgeschlagenen internationalen Zugverbindungen in bunten Farben eingezeichnet. Fast alle nutzen vorhandene und teils schon sehr leistungsfähige Infrastruktur. Linie 1 führt von Gdynia (Danzig) in Polen über Warschau, Wien, Ljubljana nach Venedig und Bologna bis zum Adria-Fährhafen Ancona in Italien. Linie 2 verbindet Brüssel mit Berlin und Warschau und soll später bis ins Baltikum nach Tallinn verlängert werden.
Linie 3 führt von Sevilla in Spanien über Barcelona, Lyon, Turin, Mailand, Verona und Zagreb bis nach Budapest in Ungarn. Züge der Linie 4 sollen zwischen Hamburg und dem griechischen Piräus fahren und in Berlin, Dresden, Prag, Bratislava, Sofia und Thessaloniki stoppen. Linie 5 soll vom hohen Norden (Oslo/Stockholm) bis in den tiefen Süden nach Palermo auf Sizilien führen, Linie 6 von Brügge und Amsterdam nach Genua. Linie 7 verbindet den Grenzort Hendaye an der Atlantikküste und später Lissabon mit Frankfurt/Main, Linie 8 London mit Marseille und Linie 9 Strasbourg und Constanța (Rumänien) mit Halt unter anderem in Stuttgart, Ulm, Augsburg, München, Salzburg, Wien und Bukarest.