Bei seinem Neujahrsempfang versichert der 81-jährige Wirt Oskar Müller, dass seine Uhu-Bar im Herzen der Altstadt entgegen der Gerüchte nicht schließt. Foto: Andreas Engelhard

Es ist der coolste Neujahrsempfang der Stadt. Stets im Januar lädt Altstadt-Legende Oskar Müller Freunde und Stammgäste zu sich ins Leonhardsviertel. Den Gerüchten, wonach seine Uhu-Bar schließt, hat er nun heftig widersprochen.

Stuttgart - „Ruhe im Puff“, ruft Oskar Müller, einer der letzten Originale in der Stuttgarter Altstadt, unter seiner Matrosenmütze. Gut, rein räumlich gesehen hat der 81-Jährige knapp daneben getroffen.

Der echte Puff befindet sich über Oskars Uhu-Bar. Unentwegt knarrt die Treppe nach oben. Unten wird im Glanz der Discokugel gesungen, geschunkelt, geschwoft. Ein Uhu, die größte Eule der Welt, geht würdevoll auf Jagd, sobald es finster wird. Man nennt den Uhu den „König der Nacht“. Was oben im Laufhaus geschieht, hat mit Stolz und Würde nichts zu tun. Die Armutsprostitution nimmt erschreckende Auswüchse an. Oskar beweist mit Geschäftsführerin Kornelia Kacijan, die das Lokal mit ihrem Team (Zwillingsschwester Klaudia, Daniela, Julia, Ann und Ivan) schmeißt, das an ein Wohnzimmer erinnert, dass es im „Städtle“ nicht immer trostlos sein muss.

Der Chef bittet um „Ruhe im Puff“, weil er was Wichtiges loswerden muss. Zuletzt machte die Kunde die Runde, das Haus müsse renoviert werden, um dem Prostituiertengesetz gerecht zu werden. Deshalb werde die Uhu-Bar geschlossen. Der 1,68 Meter große Oskar, der nach der Wahrscheinlichkeit eines langen Altstadt-Lebens längst hätte „erschossen“oder „erstochen“ sein müssen, wie er sagt, aber „mit Grips“ sich gegen die „Schränke“ des Rotlichts einst in Frankfurt und jetzt in Stuttgart durchsetzen konnte, kann seine Stammgäste beruhigen. „Das Uhu bleibt“, ruft er. Man müsse ihn schon mit einem Panzer rausballern, um das zu ändern. Oben im Laufhaus erhalten die Zimmer neue Bäder. Nach und nach sollen sie saniert werden. Ein komplettes Schließen in der Umbauphase ist vom Tisch.

Oskar legt Wert auf gutes Benehmen

Der Dresscode bei Oskars Neujahrsempfang lautet: Festlich black-white. Ob im kleinen Schwarzen oder im dunklen Anzug – schick in Schwarz-Weiß ist die bunte Vielfalt der Stadt erschienen. Der Chef, der Wert auf Etikette und gutes Benehmen legt, trägt einen weißen Anzug, den er sich einst in Thailand für 100 Euro maßschneidern ließ. Asiatische Schriftzeichen sind vorne auf die Jacke genäht. Was sie heißen? Oskar übersetzt: „Ich bin ein Freier.“ Er macht eine kurze Pause und ergänzt: „Ich bin ein freier Mann.“

Als freier Mann nimmt er in fast jeder Nacht in seiner vor zwölf Jahren eröffneten Uhu-Bar seinen Stammplatz ein – ganz außen auf dem Sofa, das sich am Eingang befindet. Beim Neujahrsempfang sitzt Karl-Heinz mit auf dem Sofa, sein Kumpel seit 60 Jahren. Die beiden hocken etwa eine Viertelstunde stumm nebeneinander, bis Oskar zum früheren Antiquitätenhändler rüberschaut und sagt: „Karl-Heinz, red’ nicht so viel.“

Auf Anraten des Arztes soll der 83-jährige Karl-Heinz nicht mehr trinken und hält ein Glas Apfelsaftschorle in der Hand – es sieht nach Whisky aus. Karl-Heinz redet nicht viel, aber niemals drumrum.

Ein etwa 50-Jähriger kommt zum „betreuten Trinken“

„Altwerden ist Scheiße“, sagt Karl-Heinz. Zumindest diese Nacht in der Altstadt, in der sich eine Burlesque-Tänzerin auf dem Tisch entblättert, ist das extreme Gegenteil von Scheiße. Die Gäste – quer durch alle Generationen – haben viel Spaß. Die grüne Landtagsabgeordnete Brigitte Lösch, der SWR-Fernsehjournalist Gogo Gensch und Achim Silberhorn von Kessler-Sekt sind da. Sie stehen am „Kommunistentisch“, wie Oskar ins Mikro ruft. Zu den Jungen dieser Nacht zählt André Müller, der Wirt des Café Seyffer’s aus dem Westen. Besonders gut in der Uhu-Bar gefällt ihm, wie er sagt, „dass hier jeder mit jedem kann – das Alter ist hier völlig egal.“ Ein etwa 50-Jähriger sagt, er komme zum „betreuten Trinken“ zu Oskar und den Zwillingen. Was auffällt: Die Jüngeren sagen, aufs Alter komme es nicht an, und die Älteren schimpfen, weil im Alter so manches nachlässst. Dann steht Oskar auf und singt den Reeperbahn-Hit von Hans Albers. Alles tobt. In der Uhu-Bar nachts um halb eins wird klar: Ein armer Wicht ist, wer nicht die schönen Seiten aus dem Leben rausholt.