In St. Fidelis (Mi.) soll ein neues spirituelles Zentrum entstehen. Es soll die Sehnsucht von Menschen stillen, die mitunter in fernöstlichen oder esoterischen Angeboten eine Heimat finden Foto:  

Die katholische Kirche in Stuttgart investiert 750 000 Euro in ein neues spirituelles Zentrum. Stadtdekan Christian Hermes nennt den Grund: „Wir können nicht hinnehmen, dass die katholische Kirche mit all ihrer geistlichen Weisheit und Erfahrung nicht mehr als spirituell kompetent wahrgenommen wird.“

Stuttgart - Wie lässt sich im „Smog die Gegenwart Gottes erkennen?“, fragte Papst Franziskus im September 2015 im New Yorker Madison Square Garden und formulierte damit eine der größten Herausforderungen von Kirchen in dieser Zeit. Wo finden Menschen heute noch einen Anker? Wo und wie wird die geistliche Sehnsucht und oft auch Not heutiger Stadtbewohner gestillt? Ob in New York oder Stuttgart. Überall ist die Kirche und das Christentum nicht mehr erste Wahl. „Viele Menschen kennen die tradierten Kirchen und volks- oder gemeindekirchlichen Frömmigkeits- und Spiritualitätsformen nicht mehr“, weiß der katholische Stadtdekan Christian Hermes, „sie verstehen darin kein hilfreiches Angebot für ihr Leben.“

Stattdessen suchen und finden Menschen vor allem in fernöstlichen Methoden Wege aus dem „Smog“. Stichworte sind Feng Shui, Tai-Chi, Qi Gong, Yoga, Esoterik, New-Age-Bewegung eine geistige Heimat. Und dieses Phänomen findet man nicht nur bei kirchenfernen Menschen. Die Katholiken in Stuttgart haben festgestellt, dass„nur noch elf Prozent der Kirchenmitglieder regelmäßig an den zentralen geistlichen Feiern der Gottesbegegnung teilnehmen. Mehr noch: Geistliche, also Priester, werden nur in ihren Handlungen wahrgenommen, aber weniger in der Kontemplation oder als Zeugen spiritueller Erfahrung und Kompetenz.

„Es kann nicht hingenommen werden, dass die katholische Kirche mit all ihrer geistlichen Weisheit und Erfahrung nicht mehr als spirituell kompetent wahrgenommen wird“, sagt Hermes. Statt dessen führe eine einfache Internetsuche mit den Suchbegriffen Spiritualität und Stuttgart zu allen „möglichen esoterischen Konventikeln, Heilern, sektenhaften Psychogruppen und anderen zweifelhaften Angeboten“. Der Stadtdekan hat erkannt: „Es bedarf neue, innovative und niederschwellige Angebote von Spiritualität.“ Und er hat auch schon einen Ort für das neue spirituelle Zentrum der Stadt gefunden: das Herz dieses Angebots soll in der Gemeinde St. Fidelis schlagen. Unter der Projektleitung von Dekanatsreferentin Kirstin Kruger Weiß soll dort ein Ort des spirituellen Suchens und Übens sowie der geistlichen Begleitung sein. Kosten für den Umbau, der im Anfang 2019 fertig sein soll, werden mit 750 000 Euro veranschlagt.

Tradition reicht bis ins Mittelalter

Auf die sechsstellige Summe haben manche im Dekanatsrat mit Murren reagiert. Tatsächlich ist schwer greifbar um was es eigentlich geht – und welche Relevanz das Thema birgt. Manche Kritiker halten das Zentrum auch für eine Anbiederung an den Zeitgeist. Dabei geht das Projekt auf die christliche Tradition der Mystik zurück. Stellvertretend steht hier der Name Meister Eckart (1260 – 1328). Von ihm stammt der Satz: „Ich will sitzen und schweigen und hören, was Gott in mir rede.“ Der Jesuiten-Pater Hugo Lassalle hat diese Tradition als erster wieder entdeckt und mit der Meditationspraxis aus dem Zen-Buddhismus verknüpft. In der Praxis hat sich dieses Erbe heute im Lassale-Haus in Mengen/Schweiz etabliert. Und manches soll laut Kirstin Kruger-Weiß im neuen spirituellen Zentrum in Stuttgart umgesetzt werden. „Hier soll ein Dialog entstehen, der nicht auf nur einer geistigen Grundhaltung beruht, sondern die gesamte spirituelle Vielfalt darstellt“, sagt Kirstin Kruger-Weiß, die Anleihe bei spirituellen Zentren in anderen Großstädten genommen hat. Überall“, so Kirstin Kruger Weiß,“haben diese Zentren enormen Zulauf.“ Aus Sicht der Krankenhausseelsorgerin Ute Wolf ist das kein Wunder: „Die Menschen in der Stadt haben eine Sehnsucht nach Spiritualität. Auch oder gerade Menschen, die nicht christlich sozialisiert sind.“