Schöne Aussichten kann man auf allen Routen der Wandertrilogie Allgau genießen, denn der neue Weitwanderweg erstreckt sich über 876 Kilometern und in drei Höhenlagen. Foto: Urlaubsregion Allgäu

Das schwäbisch-bayerische Grenzgebiet vom Allgäu ist voller landschaftlicher und kultureller Kleinode. Viele liegen auf der Strecke der „Wandertrilogie Allgäu“ – ein neuer Weitwanderweg.

Grünenbach - Er sitzt nackt in einem eisernen Kessel voller siedendem Öl. Die Darstellung von der schrecklichen Marter des heiligen Vitus, realistisch in Holz geschnitzt, steht im scharfen Kontrast zum Anmut des Ortes, in dem das Bildnis steht. Die Vitus-Kapelle liegt idyllisch auf einem Moränenhügel im Weiler Grünenbach. Vor dem Gotteshaus steht eine imposante, mehr als 200 Jahre alte Linde. Im Inneren ist die kleine Kirche ausgestattet mit feinstem Bauern-Barock, das erzählfreudig die Prüfungen des Christen Vitus unter dem römischen Kaiser Diokletian ausbreitet: Wie er den Löwen zum Fraß vorgeworfen wurde, sich die Raubtiere dann jedoch wie Schmusekätzchen zu seinen Füßen legten.

Am besten lässt man sich die Kirche von Winfried Rauh erklären. Lehrer, Mesner, Wassermeister – Rauh ist der Chronist und die Seele von Grünenbach, einem autarken Dorf, das seinen eigenen Wald, seine eigene Kiesgrube, sein eigenes Wasser hat, aber auch immer weniger Einwohner – derzeit sind es nur noch 22. Rauh weiß noch, dass die Linde als der Blitzableiter gepflanzt wurde: „Ich habe als kleiner Bub gesehen, wie ein Gewitter den Baum gespalten hat.“ Und er weiß, dass das Dorf 1945 kurz vor der Vernichtung stand – wie das gesamte Allgäu. Nebenan lag das Munitionslager Urlau, in dem die Nationalsozialisten Giftgas-Munition aufbewahrten. Sprengen, lautete der Befehl der Nazi-Führung. Dass der Lagerkommandant diesen Befehl verzögerte, bis die Franzosen angerückt waren, hat dem Allgäu eine Katastrophe erspart.

Geschichte und Geschichten aus dem schwäbischen Allgäu, einem Landstrich, der voller landschaftlicher und kultureller Kleinode ist, die sich jetzt mit Hilfe eines neues Weitwanderkonzeptes spielend erkunden lassen. „Wandertrilogie Allgäu“ heißt es und bietet auf einer Gesamtwegstrecke von 876 Kilometern drei Routen und 53 Etappen, die Wanderer ganz nach ihren Vorlieben und physischer Kondition auswählen und individuell zusammenstellen können. Der Name deutet es schon an: Um sportliche Höchstleistungen geht es dabei nicht. Auch dramatische Szenerien wie im Hochgebirge fehlen. Die Projektleiterin der Wandertrilogie, Christa Fredlmeier, hat die Routen vielmehr konsequent auf Geschichten ausgerichtet.

In Bad Wurzach liegt das größte intakte Hochmoor Europas

Wie in Bad Wurzach. Geografisch ist die kleine Kurstadt nur noch bedingt dem Allgäu zuzurechnen. Sie ist aber mit dem größten intakten Hochmoor Europas gesegnet – und mit einer interessanten Geschichte dazu, der Geschichte von zwei Nonnen aus dem Wurzacher Kloster Maria Rosengarten, die hochkant aus einem Heilbad geflogen sind, weil sie der Wirtschaftsspionage bezichtigt wurden. 1936 war das, im bayerischen Bad Griesbach. Und der Vorwurf stimmte. Tatsächlich waren die beiden Schwestern von ihrer Kongregation, den Armen Schulschwestern, nach Bad Griesbach geschickt worden, um herauszufinden, wie eine Kurstadt so funktioniert. Ihre Ordenstracht hatten sie zwar abgelegt, aber dass sie ständig mit Block und Stift eifrig alles notierten, war dann doch zu auffällig.

Im heimischen Wurzach hatten die Schwestern eine Schule, die aber von den Nazis geschlossen worden war. Sie beschlossen daraufhin, auf Heilbad umzusatteln. Und ihre Spioninnen brachten genug Infos aus Bad Griesbach mit für einen erfolgreichen Start: Bad Wurzach ist jetzt das älteste Moorheilbad Baden-Württembergs und das einzige im Allgäu.

An anderen Orten kann man Geschichten noch miterleben: die von Glasmacher Stefan Michaelis etwa, der im ehemaligen Glasmacherdorf Schmidsfelden wieder einen Schmelzofen anfeuert und sein Handwerk vorführt. Oder die von Peter Buhl aus Leutkirch, einem Koch, der in seinem Lokal Die Remise tolle Menüs aus regionalen Zutaten zaubert. Weil er vorher aber viel in der Welt herumgekommen ist, kann auch Buhl spannende Geschichten erzählen, zum Beispiel wie er der britischen Premierministerin Maggie Thatcher das Frühstück serviert hat. Auch für die Hollywood-Schauspielerin Liz Taylor stand er schon in der Küche. Gekocht hat er allerdings nichts, denn die Taylor orderte nur Salat. „Eine richtige Diva“, erinnert sich Peter Buhl.

Die Wiesengängerroute ist auch Teil der Wandertrilogie

In Leutkirch ist man direkt an der württembergisch-bayerischen Grenze. Wanderer folgen hier der Wiesengänger-Route, die Teil des Fernwanderwegs „Wandertrilogie“ ist. Sie führt entlang der Iller auf einen Moränenhügel, auf dem eine stattliche, weiß-gelb getünchte Kirche mit Zwiebelturm thront, die Wallfahrtskirche Maria Steinbach. Sie ist im Inneren reich mit Altären, Fresken und Votivtafeln bestückt. Mag Maria Steinbach auch nicht so bekannt sein wie Ettal oder Altötting – im 18. Jahrhundert war der Wallfahrtsort diesen durchaus ebenbürtig.

Die tröstende Kraft der Religion lässt sich auch hinter einer Hängebrücke über die Iller beim Bauernhof Maierhöfen erleben. Oberhalb steht eine neue Kapelle, die eine Ulmer Familie im Jahr 2003 nach dem Tod ihrer dreijährigen Tochter gebaut hat. Innen liegt ein Buch auf, und ein Eintrag eines Besuchers erzählt von seinem Vertrauen auf überirdische Hilfe: „Das Jahr ist gut, trotz meiner Stents. Sechs hat man mir ins Herz geklemmt. Die Engel waren auf der Hut, dass kein Arzt einen Fehler tut.“