Autoverkehr auf der Königstraße um das Jahr 1960. Foto: Haus des Dokumentarfilms

Für die Freunde der Stadtgeschichte ist’s ein Fest: Die „Heimatbilder“ vom Haus des Dokumentarfilms zeigen den Alltag von einst und historische Ereignisse aus der Sicht von Hobbyfilmern. Jetzt feiert der großartige Stuttgart-Film Premiere.

Stuttgart - König Wilhelm II. fährt 1911 zur Silberhochzeit mit seiner Charlotte in der Kutsche durch Stuttgart, das Schuhhaus Bletzinger am Marktplatz sorgt 1932 mit einer lebenden Schaufensterpuppe für Aufsehen, im Südmilchareal im Norden werden 1995 die letzten Mauern des Latino-Treffs Zapata abgerissen – dies und noch viel mehr ist in dem Film „Heimatbilder – Stuttgart“ zu sehen, der zu einer einzigartigen Stadtchronik mit bewegten Bildern geworden ist, die man noch nie öffentlich gesehen hat.

Sechs Monate lang hat Anita Bindner an dem 45-minütigen Werk gearbeitet und dafür vor allem Schätze aus privaten Archiven verwendet. Es ist der dritte Stuttgart-Film aus dem Haus des Dokumentarfilms nach 2003 und 2010. Themen sind diesmal unter anderem: Kriegszerstörungen, Wiederaufbau, Demos, Hochzeiten, Achterbahnfahrt auf dem Wasen, Baden im Neckar, Baustellen und Schneisen für das, was man „autogerechte Stadt“ genannt hat. Amüsantes, Alltägliches und Kurioses kommen noch hinzu.

Das Hobby Filmen konnten sich nur Wohlhabende leisten

Im vergangenen Jahrhundert ist in Stuttgart mehr von Privatleuten gefilmt worden, als professionell fürs Kino. Es war ein teures Hobby, das sich nur Wohlhabende leisten konnten. Die Kameras waren unhandliche Holzkisten auf Stativen. Zu den Filmpionieren zählte der 1965 gestorbene Fabrikant Hermannn Hähnle. Seit 1904 hat er Familienfeiern festgehalten, aber auch Ereignisse wie den Besuch des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Seine Frau Lina Hähnle engagierte sich für Tiere. 1899 wurde sie – in der damaligen Männerwelt eine Sensation – Vorsitzende des Bundes für Vogelschutz, aus dem der Nabu geworden ist.

Erst in den 1930ern, als die Acht-Milimeter-Schmalfilmkamera auf den Markt kam, ist das Filmen ein Hobby für die breite Masse geworden. In den 1950ern war das Filmen so preiswert wie nie zuvor. Die Aufnahmen der Hobbyfilmer gelangten nur selten an die Öffentlichkeit. Das Haus des Dokumentarfilms, dessen Archivleiterin Anita Bindner ist, rief über unserer Zeitung in Stuttgart dazu auf, private Aufnahmen zu schicken. Es kam sehr viel. Die Originale wurden digitalisiert und optisch aufbereitet. Weil die meisten Filme stumm gedreht wurden, sind sie mit neuem Sounddesign versehen worden. Gleichzeitig entstand ein Erzähltext, eine „Storylinie“ durch die Stadtgeschichte.

Baustellen prägten das Stadtbild bereits in den 1970ern

Was mit dem „Bürgerkönig“ Wilhelm II. beginnt, endet mit dem Streit um Stuttgart 21. Die Zeitreise zeigt emotionale Bilder einer Stadt, die überrascht, fasziniert und in der sich manches wiederholt: Baustellen prägten bereits in den 1970ern das Bild von Stuttgart. Heimat ist, wo’s am schönsten ist – es ist der Ort der großen Gefühle.

Der Film „Heimatbilder“ läuft am 25. Oktober, 19 Uhr, im Stadtarchiv, Bellingweg 21, Bad Cannstatt (Eintritt frei), sowie am 22. November, 19 Uhr, bei den Buchwochen im Haus der Wirtschaft und ist als DVD in den Buchhandlungen erhältlich.