John Cryan bei einer Veranstaltung im Jahr 2009 Foto: Keystone

Er spricht gut Deutsch, heißt es über den neuen Deutsche-Bank-Chef. Ansonsten ist der Brite John Cryan in Bankenkreisen wenig bekannt. Außer, dass er das Geldhaus wieder auf Kurs bringen soll.

Frankfurt - John Cryan hüllt sich in Schweigen. Erst im Juli nach seinem Amtsantritt wird sich der künftige Chef der Deutschen Bank zu seinen Ideen und Zielen äußern, heißt es in der Zentrale. Zwar wird der 54 Jahre alte Brite von etlichen Beobachtern mit Vorschusslorbeeren überhäuft. Auch an der Börse feierten Anleger den Wechsel: Die Aktie der Deutschen Bank schoss am Montag zeitweise um fast acht Prozent nach oben. Aufsichtsratschef Paul Achleitner wandte sich gleichzeitig in einem Brief an die gut 98 000 Mitarbeiter der Bank: Cryan sei ein erfahrener Banker, der persönlich und beruflich für Werte stehe, die nötig seien, die Deutsche Bank voranzubringen.

Faktisch aber ist der neue Mann an der Spitze der Bank in Frankfurt eher eine Fata Morgana. Niemand, den man in Finanzkreisen fragt, hat Cryan jemals von Angesicht zu Angesicht gesehen. „Ich kenne ihn nicht, habe ihn noch nie getroffen“, sagt selbst der Chef einer renommierten Bank, der in der Branche bestens vernetzt ist.

Und dies obwohl der Londoner angeblich schon im Frühjahr 2014 als künftiger Chef der Deutschen Bank durch manche Medien geisterte. „Ziegelstein-Kandidat“ sei er damals gewesen, sagt Hans-Peter Burghof, Professor für Bankwirtschaft an der Universität Hohenheim. Der Brite war damit der von Aufsichtsratschef Achleitner ausgewählte Kandidat für den Fall, dass Anshu Jain oder Jürgen Fitschen etwas zustoßen sollte. Insofern ist er jetzt der logische Nachfolger zunächst für Jain und ab Mai nächsten Jahres nach dem Abgang von Fitschen als alleiniger Chef der Deutschen Bank.

Experten zufolge hat Cryan zwei wichtige Vorzüge: Er sitzt erst seit zwei Jahren im Aufsichtsrat der Deutschen Bank, war nie in das operativ Geschäft eingebunden und kann damit nicht mit den Skandalen der Bank in Verbindung gebracht werden. Und der Brite spricht, wie die Deutsche Bank ausdrücklich hervorhebt, gut Deutsch. Künftig soll auf Hauptversammlung des Instituts wieder ausschließlich Deutsch gesprochen werden.

Cryan spricht Deutsch, weil er unter anderem in den neunziger Jahren mehrere Jahre für das Bankhaus Warburg in München gearbeitet und 2010 und 2011 Finanzchef der schweizerischen UBS in Zürich war.

Beobachter rechnen nicht mit einem Strategieschwenk

Beobachter wie Professor Burghof, der Jain (noch) am 15. Juni zu einem Vortrag über die Lage der Banken erwartet, rechnet nicht mit einem Strategieschwenk. Allerdings erwartet er eine Präzisierung der von Jain und Fitschen Ende April bis 2020 vorgegebenen Richtung. Kernpunkte sind der Verkauf der Postbank, die Schließung von 200 der gut 700 Deutsche-Bank-Filialen, ein weiterer Personalabbau und leichte Einschnitte im Investmentbanking, um endlich wieder höhere Gewinne einfahren zu können. Stefan Bongardt, Analyst bei Independent Research erwartet allenfalls eine „Modifikation“ der Strategie.

Deutlicher werden andere. Cryan müsse sich das Thema Kulturwandel „mal richtig vornehmen“, sagt Klaus Nieding von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Die Ablösung von Jain und Fitschen sei auch deshalb konsequent. Keine Illusionen hegt dagegen Dieter Hein von Fairesearch. Wieder rücke ein Investmentbanker an die Spitze der Bank und zementiere damit deren Einfluss und eine falsche Strategie. „Wenn sich aber an der Strategie nichts ändert, ändert sich auch nichts an der schwachen Rendite“. Hein zufolge hätte deshalb neben Fitschen und Jain auch Aufsichtsratschef Achleitner gehen müssen.

Weil Jain und Fitschen ihre Ziele drastisch verfehlt hätten – statt der 2012 von ihnen für 2015 versprochenen Nach-Steuer-Rendite von mindestens zwölf Prozent waren es 2014 gerade 2,7 Prozent – seien sie gescheitert und mit ihrem Rücktritt „dem Rausschmiss“ zuvor gekommen. Die Deutsche Bank brauche dringend einen Kulturwandel. Hein zweifelt, dass der von einem Investmentbanker an der Spitze sowohl des Vorstandes als auch des Aufsichtsrates gestemmt werden kann.

Jain stand schon länger in der Kritik

Angekreidet werden Jain die extrem teuren Vergleichs- und Strafzahlungen vor allem für Vergehen der Investmentbanker, wie etwa die Manipulation des Interbankenzinses Libor. Einer neuen Studie zufolge musste die Deutsche Bank zwischen 2010 und 2014 insgesamt 14,3 Milliarden Dollar – knapp 12,9 Milliarden Euro – zahlen.

Bedeckt hielt sich am Montag der Konzernbetriebsrat der Deutschen Bank. Dessen Vorsitzender Alfred Herling, zugleich stellvertretender Chef des Aufsichtsrates, war nicht zu einer Stellungnahme bereit. Er hatte Jain und Fitschen noch Ende Mai ausdrücklich gestützt. Kritik des Betriebsrates der Konzernzentrale, der kurz zuvor den Rücktritt der beiden Bankchefs gefordert hatte, bezeichnet Herling indirekt als Einzelmeinung. Es sei die Initiative von nur einem von insgesamt 40 Betriebsratsgremien in der Deutschen Bank.

Gespannt sind Beobachter, ob und wie sich Jain und Fitschen ihren vorzeitigen Abschied entlohnen lassen. Die Frage stellt sich zunächst für Jain, der schon Ende Juni geht. Jain und Fitschen hatten, so eine Aufstellung der Beratungsfirma hkp, 2014 ein Festgehalt von jeweils 3,8 Millionen Euro bezogen. Mit Bonus und Nebenleistungen waren es bei Fitschen knapp fünf Millionen, bei Jain 6,2 Millionen. „In der Regel wird das Festgehalt plus 100 Prozent Bonus für die Laufzeit des Vertrages ausbezahlt“, sagt ein Vergütungsspezialist. Jains Vertrag läuft noch bis Ende März 2017. Demnach würden ihm insgesamt knapp 15 Millionen Euro zustehen.