Es gibt viel zu besprechen für den künftigen DFB-Präsidenten Foto: Bongarts

Die einst so siegreiche Mannschaft hat von ihrem Ruhm viel verloren. Nun soll sie ein anderer Kapitän aufs Feld führen: Reinhard Grindel wird an diesem Freitag zum neuen Chef des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) gekürt. Nicht nur ihn erwartet ein riskantes Spiel.

Stuttgart - Weil Prominenz im deutschen Fußball zu allererst daran gemessen wird, wer wie oft und für wen seine Tore schoss, hatte Reinhard Grindel (54) sichtbar Mühe ins Spiel zu kommen. Und die Kulisse seiner Anstrengungen entbehrte nicht einer gewissen Pikanterie: Just als die Größen des deutschen Fußballs im vergangenen Sommer den ehemaligen DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder zu Grabe trugen, lief sich mit dem Sektglas in der Hand ein Unbekannter warm, der auf seine Einwechslung drängte.

Groß, stattlich und mit goldumrandeter Brille rückte während des Empfangs in der Soccer-Lounge der Mercedes-Benz-Arena ein freundlich lächelnder Mann ins Epizentrum der konspirativen Beben, den selbst Kenner der DFB-Bühne nur in Nebenrollen verortet hatten: Ein Bundestagsabgeordneten mit Hinterbänkler-Status, seit Oktober 2013 immerhin Schatzmeister des größten Sportfachverbands der Welt, aber ohne Einfluss auf Strategie und Taktik der Meisterspieler vom DFB. Falls Wolfgang Niersbach, der noch amtierende Chef, dem Ruf der Europäischen Fußball-Union (Uefa) folgen sollte, tuschelten die Propheten, sei Reinhard Grindel aber der Mann, der am nächsten am Elfmeterpunkt stehe. Reinhard, wer?

Lobbyist der Amateurverbände

Weil wenig später die Leuchttürme an den DFB-Ufern einer nach dem anderen erloschen, stand der ehemalige Pressewart des Rotenburger SV schon Monate später ungeduldig trippelnd an der Seitenlinie. Und noch ehe die Wortführer des deutschen Berufsfußballs ihre Bedenken gegen den C-Promi aus dem nordöstlichen Niedersachsen formulieren konnten, war der Lobbyist der Amateurverbände mitten drin statt nur dabei. Eilig hatten die Landesfürsten ihren neuen König proklamiert. Danach hakten sich Profis und Amateure zwar nicht unter zu fröhlichen Schunkelrunden, aber der Leidensdruck nach der Entzauberung des Sommermärchens 2006 war groß genug, um alle Gräben zuzuschütten. Vorerst zumindest.

Es ist kein Zufall, dass sich außer dem ehemaligen Journalisten und Leiter des Brüsseler ZDF-Büros niemand fand, der sich in die erste Reihe drängte. DFB-Interimspräsident Reinhard Rauball, Chef der Deutschen Fußball-Liga (DFL), zieht es vor, sein Handicap im Golf zu verbessern. „Meine Lebensplanung ist eine andere.“ Auch DFB-Vize Rainer Koch, Chef des Bayerischen Fußballverbands, als zweiter Übergangs-Präsident der Krisenmanager an Rauballs Seite, mag sein Mandat an der Verbands-Spitze nicht verlängern. Beide haben eine Ahnung davon, dass dem neuen DFB-Präsidenten weit mehr abverlangt werden könnte, als während der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich seine Kenntnisse des savoir vivre zu verfeinern. Reinhard Grindel und den deutschen Fußball erwartet noch das eine oder andere riskante Spiel.

Die Suppe, die OK-Chef Franz Beckenbauer und die Seinen dem DFB bei der Akquise für die Fußball-WM eingebrockt haben, ist längst noch nicht ausgelöffelt. Der Ruf der einst so stolzen Mannschaft aus der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise ist nach Kaskaden peinlicher Enthüllungen und Auftritte gründlich ruiniert. Und weil Kaiser Franz seine schützende Hand über dem alten Spezi Wolfgang „Wolfi“ Niersbach unerwartet zurückzog, spielt der DFB seit 9. November vergangenen Jahres mit zwei hängenden Spitzen. Die Schockwellen nach Niersbachs Rücktritt sind noch zu spüren. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Und die beiden Lager im deutschen Fußball, hie Profis, hie Amateure, stehen sich rauflustiger gegenüber denn je.

Profis contra Amateure

Da macht es sich nicht gut, wenn so kurz vor der Vollversammlung deutscher Volkssport-Kultur amtlich wird, dass allein der FC Bayern München und Schalke 04 im Jahr mehr für die Honorare von Spielervermittlern ausgeben (33 Millionen Euro), als der gesamte Amateurfußball vom DFB an Zuschüssen kassiert: rund elf Millionen Euro. „Das ist den 25 000 Vereinen an der Basis schwer zu vermitteln“, klagte Rainer Koch und warnte vor dem Vorhaben, den Bundesliga-Spielplan zum Schutz der Exklusivrechte der Bezahlsender weiter zu zerpflücken. Gar nicht gut kam auch die Idee an, den großen Proficlubs Freilose in den ersten DFB-Pokalrunden zu gewähren, um Marketing-Trips in ferne Länder während der Sommerpause zu erleichtern.

Der Konter von DFL-Boss Reinhard Rauball kam so unvermeidbar wie der Pfiff nach einem groben Foul. Er wies den designierten DFB-Chef an, „die Interessen der Bundesliga nicht zu übergehen. Die Amateure haben zwar die Mehrheit beim DFB-Bundestag, aber das sollte nicht zu Machtdemonstrationen genutzt werden.“

Schon jetzt unken die Pessimisten im Frankfurter Fußball-Tempel, dass die heißen Tänze in der Funktionärshölle eine Nummer zu groß sein könnten für den in sportpolitischer Ranküne unerfahrenen „Karrieristen“, als den ihn seine Rotenburger Heimatzeitung tituliert, ihm aber als „innenpolitischem Hardliner mit Ellbogen-Mentalität“ Durchsetzungsfähigkeit attestiert. Der stramm konservative Jurist machte sich für die Vorratsdatenspeicherung stark, befürwortete das Anti-Doping-Gesetz und fiel in Fragen der Integration nicht durch Weichherzigkeit auf. Forderungen nach Anti-Korruptions-Regeln mag er zwar nicht in Bausch und Bogen verdammen, aber die beste Vorschrift tauge nicht, wenn es zu wenig gute Menschen gebe, die sich daran hielten. Als im vergangenen November der Sportausschuss des Deutschen Bundestages über den WM-Skandal und seine Folgen diskutierte, hielt sich der Abgeordnete und DFB-Schatzmeister Grindel dem Vernehmen nach zwar zurück, kontrollierte sich im Grunde aber ziemlich ungeniert selbst. Inzwischen lässt er, nicht ganz ohne den Druck der Öffentlichkeit, seine Mitgliedschaft im Sportausschuss ruhen. Nach seiner Wahl zum DFB-Präsident wird er sein Bundestagsmandat niederlegen.

Ohne Fußabdrücke im Sport

So unauffällig er als Abräumer in der Politik agierte, so schwach sind auch in sportlicher Hinsicht die Fußabdrücke des Quereinsteigers. Den Doppelpass mit dem Fußball spielt er seit der WM 2006, als die Delegation von Trinidad und Tobago in der Nähe von Rotenburg Quartier nahm. Karl Rothmund, Grandseigneur des niedersächsischen Fußballs, nahm Witterung auf, weil es ja nie schaden kann, einflussreiche Fürsprecher an seiner Seite zu haben. Grindel wurde Vizepräsident im Landesverband, landete in der Nachhaltigkeits-Kommission des Deutschen Fußball-Bundes unter dem damaligen Präsidenten Theo Zwanziger und streckte 2013 den Finger, als es darum ging, den 200-Millionen-Etat des Verbands im Auge zu behalten.

Unter Bundesliga-Managern ist Grindel ein Mann ohne Eigenschaften. Bis dato sind halbwegs gescheite Einwürfe zum Fußballgeschehen aus seiner Feder nicht bekannt. Weshalb als Schlüssel-Qualifikation des designierten Präsidenten gilt, dass die Akten des WM-Skandals schon im Archiv lagerten, als er dem DFB beitrat. Geholfen hat ihm außerdem, dass er konsequent für sich behielt, womit ihn seine Gegner ins Abseits hätten stellen können. Er beteuert: „Ich möchte ein Präsident aller werden.“ Als DFB-Vize Koch die Kandidatur des strebsamen Christdemokraten verkündete, adelte er ihn mit dem Prädikat, sich in der WM-Affäre stets „sauber, vertrauensvoll und korrekt“ geäußert zu haben.

Die Kunst der hohen Diplomatie zählte zwar nicht zu den Stärken von Gerhard Mayer-Vorfelder, als DFB-Präsident setzte er dennoch Maßstäbe. Etwa mit der Neugestaltung der Nachwuchsarbeit, die bis heute positive Wirkung entfaltet. Womöglich hilft dieses Erbe auch seinem Nachfolger, die ersten hundert Tage unbeschadet zu überstehen. „So lange der deutsche Fußball international Erfolge feiert,“ sagt ein Kenner des DFB, „hat Grindel leichtes Spiel.“ Für Siege gibt es nun mal keinen Ersatz.