Schauen sich schon einmal in ihrem neuen Zuhause um (v. r. n. l.): Brigitte K. und Karl C. mit LBG-Mitarbeiterin Bettina Stahl. Foto: Mierendorf

Die LBG wagt sich auf unbekanntes Terrain: Im April startet in Stuttgart unter dem Motto 'Gemeinsam statt einsam' ihre erste Senioren-WG.

Stuttgart - Brigitte K. hat schon ganz genaue Vorstellungen, wie der Gemeinschaftsraum in ihrer Senioren-WG einmal aussehen könnte. Hier und da ein paar Pflanzen und in der Küchenecke wünscht sich die leidenschaftliche Hobbyköchin eine Arbeitsfläche, an der man auch im Sitzen Gemüse schnippeln kann. Karl C., ebenfalls künftig Mitglied der neuen Senioren-WG, nickt zustimmend. Der alleinstehende Rentner ist froh, dass er keine Treppen mehr steigen muss und auch endlich jemanden zum Reden hat. Mit ihrer ersten Senioren-WG 'im Herzen Stuttgarts' betritt die Landes-Bau-Genossenschaft Württemberg Neuland. 'Der Bedarf für derartige Angebote ist aber eindeutig da', sieht sich Josef Vogel, geschäftsführender Vorstand der LBG, bestätigt. Die Genossenschaft unterhält im Land derzeit 5448 Wohnungen. Im Januar dieses Jahres wurde die Landesbaugenossenschaft sogar mit dem Preis Soziale Stadt 2012 ausgezeichnet.

Viele Komponenten müssen zusammenpassen

Ihre Mieter spiegeln wie überall im Land die Demografie in Deutschland wider: Mehr als ein Viertel sind bereits im Rentenalter oder stehen kurz davor. 'Diese Entwicklung hat zwangsläufig zur Folge, dass auch wir unsere Angebote überdenken müssen', sagt Vogel. Zwar gibt es bereits seit dem Jahr 2006 eine Kooperation mit dem Arbeiter-Samariter-Bund, bei der die Mieter der LBG Alltagshilfen bei Bedarf abrufen können, zudem gibt es im Stuttgarter Norden ein Mehrgenerationenhaus der LBG. Immer öfter würden die Mieter aber auch nach Wohnformen mit Gemeinschaftserlebnis fragen. 'Eine Senioren-WG kann man aber nicht so einfach aus dem Boden stampfen wie eine Studenten-WG. Da müssen viele Komponenten zusammenpassen', erklärt Vogel die besondere Situation.

Da geht es um Menschen mit Bedürfnissen, Gewohnheiten und Befindlichkeiten. Deshalb muss vor allem die bauliche Seite stimmen. Und nicht jedes Gebäude ist zudem für so ein Projekt geeignet. Fündig wurde die LBG schließlich im eigenen Bestand. Das ehemalige Café Schaller am Pragfriedhof in der Friedhofstraße 55A bot sich geradezu für dieses Projekt an, schwärmt der LBG-Vorstand. 'Hoffentlich ist der Name nicht Programm', merkt scherzhaft Brigitte K. an, und Josef Vogel ergänzt: 'Selbst unsere Mitarbeiter nutzen den Pragfriedhof in der Mittagspause für Spaziergänge.' Nur ein Interessent hätte abgewunken. Nein, bei einem Friedhof wolle er nicht wohnen. Wo früher Kaffee und Kuchen serviert wurden, befindet sich jetzt die 'gute Stube' der Senioren-WG mit gemütlicher Sitzecke, Esstisch und einem offenen Küchenbereich. 'Alles sehr solide', kommentiert Karl C. anerkennend.

Auswahlverfahren ist kein Garant

Daran grenzen sechs Apartments an. Jeweils mit eigenem Bad, bodengleicher Dusche, einem Wohn-/Schlafbereich sowie einer Terrasse oder einem Balkon. Dahin könnten sich die Bewohner jederzeit zurückziehen, erklärt Vogel das räumliche Konzept der WG. Wer Besuch bekommt, kann außerdem gegen eine Gebühr die Gästewohnung in einem der oberen Stockwerke anmieten. Rund 40 Personen hatten sich bereits nach kurzer Zeit um einen der sechs Plätze in der Senioren-WG der LBG beworben. Für Bettina Stahl, die die Kennenlerntreffen der künftigen Mieter für die LBG organisierte, war das eine vollkommen neue Erfahrung. 'Wir mussten herausfinden, wer am besten zueinanderpasst.' Letztendlich kann aber auch das Auswahlverfahren kein Garant dafür sein, wie die Senioren-WG harmoniert, sagt man auch bei der LBG. Dass es auch mal kracht, will Josef Vogel dabei gar nicht ausschließen. Um den Mietern der Senioren-WG die Eingewöhnungsphase zu erleichtern, hat die Genossenschaft deshalb auch die Stelle einer Sozialarbeiterin ausgeschrieben, die das Projekt vor allem als eine Art Mediatorin begleiten und bei Konflikten der Bewohner vermitteln soll. Brigitte K., die schon früher WG-Erfahrungen sammeln konnte, sieht die Senioren-WG als Glücksfall für sich.

Sie wünscht sich, dass die künftigen Mitbewohner mit Freude einziehen und eine riesengroße Portion Offenheit mitbringen - und auch Toleranz, ergänzt die 60-Jährige. Künftigem Knatsch und Reibereien in der WG - deren älteste Bewohnerin 81 Jahre alt ist - sieht sie gelassen entgegen. 'Dann macht man einfach mal die Tür hinter sich zu.' Das sei nicht anders als im Berufsleben. Da müsse man sich auch mit anderen Menschen arrangieren. Und das sei allemal noch besser, als allein vor sich hin zu wurschteln. Auch Karl C., der bislang eine Straße weiter im dritten Stock wohnte, sieht das, was an Neuem auf ihn zukommt, mit schwäbischer Gelassenheit und der nötigen Portion Humor. Jetzt am Montag trifft sich die Senioren-WG das erste Mal in kompletter Runde, um sich zu beschnuppern und erste organisatorische Dinge zu besprechen.

Zwischen 387 Euro (38 Quadratmeter Gesamtfläche) und 706 Euro (69 Quadratmeter) Warmmiete kosten die Wohnungen im Monat Miete. 'Das ist bezahlbar - und wir können auch leben', meint Josef Vogel. Am 18. April veranstaltet die LBG ein großes Fest anlässlich der Eröffnung der Senioren-WG. Einer der Gastredner ist Henning Scherf. Der ehemalige Bremer Bürgermeister wohnt selbst in einer WG und hat sicher den einen oder anderen Tipp für seine Altersgenossen.