Verkehrsministerium und Bürgermeister sind uneins, ob das Verkehrsaufkommen in Winterbach (im Bild die Ritterstraße Richtung Ortskern) eine Umgehungsstraße rechtfertigt. Foto: Leif Piechowski

Neue Liste über Neubau von Ortsumfahrungen stößt insbesondere im Rems-Murr-Kreis auf heftige Kritik.

Schorndorf/Winterbach - 12,5 Millionen Euro – ein Geschenk in dieser Größenordnung kann man eigentlich gar nicht ablehnen. Albrecht Ulrich jedoch, Bürgermeister der Remstal-Gemeinde Winterbach, reagiert recht schnippisch auf dieses so imposante Präsent. Kurz: Er will’s nicht. Denn dahinter verbirgt sich eine Asphaltpiste, die künftig als neue Ortsumfahrung westlich des 7700-Einwohner-Fleckens von der Bundesstraße in Richtung Engelberg führen soll. Das Projekt ist ein besonders teurer und weit oben angesiedelter Bestandteil des von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) herausgegebenen „Entwurfs zum Maßnahmenplan Landesstraßen“.

Als Ulrich nun dieser Tage von der Vorschlagsliste der Landesregierung erfuhr, sei er in einen Zustand des „fast ungläubigen Staunens“ geraten. „Mir ist das Thema eigentlich gar nicht präsent“, sagt der 52-Jährige, der seit 2000 im Amt ist. Offenkundig hatte Ulrichs Vorgänger, der damalige Bürgermeister und CDU-Landtagsabgeordnete Hans Heinz, Mitte der 90er Jahre diese Ortsumfahrung beim Land beantragt. Seitdem schlummert sie wohl in diversen Schubladen, ohne dass in jüngerer Zeit von Ministeriumsseite mal nachgefragt wurde, wie groß vor Ort das Interesse an der Schnellstraße überhaupt ist – nämlich äußerst gering bis gar nicht mehr vorhanden.

Eine Westumfahrung würde durch Naherholungsgebiete und Areale mit Biotopen führen

Die Ablehnungsfront steht, und zwar gleich aus mehreren Gründen. So würde eine Westumfahrung durch Naherholungsgebiete und Areale mit Biotopen führen. Die Brücke würde im Norden noch jenseits der Bundesstraße an eine Kreisstraße angebunden und müsste dann über die B 29 und weitere Brücken über Bahnlinie und Rems bis zum Engelberg geführt werden. Ulrich verweist zudem auf die seit einigen Jahren bestehende Querspange im Osten Winterbachs in Richtung Schorndorf-Weiler. Diese brachte erhebliche Entlastung für den Ortskern – statt einst 20.000 Fahrzeugen sind dort mittlerweile nur noch höchstens 15.000 Fahrzeuge täglich unterwegs.

In der Ortsmitte selbst stehen allerdings erhebliche Straßenreparaturen auf der Agenda. Ulrich wäre es deshalb am liebsten, es würde eine Million der vorgesehenen Umfahrungsmittel für den Ortskern umgewidmet – „dann hätte das Land immer noch 11,5 Millionen Euro gespart“, argumentiert er. Bedenken hat man in Winterbach auch deshalb, weil eine solche Umfahrung samt Schurwaldaufstieg eine Art Ersatz für die einst vor 30 Jahren begrabene Neckar-Alb-Autobahn darstellen könnte – seinerzeit war gar eine riesige Brücke quer durchs Remstal angedacht gewesen.

Ähnliche Befürchtungen hegt man auch einige Kilometer nordöstlich, im Schorndorfer Ortsteil Miedelsbach. Die mit 9,1 Millionen Euro veranschlagte Umfahrung wird zwar von Schorndorfs OB Matthias Klopfer (SPD) begrüßt („Mich freut’s“) – sorgt aber vor Ort bei vielen Bürgern für „Erstaunen und Verwunderung, ja Entsetzen“. So äußert sich jedenfalls Bernd Renninger, Sprecher der Bürgerinitiative Lebenswertes Wieslauftal. Als kürzlich Ministerpräsident Winfried Kretschmann seinen Rems-Murr-Antrittsbesuch absolvierte, wurde er in Rudersberg von einer Protestdemonstration mit 150 Teilnehmern empfangen. „Stoppt die Zerstörung des Wieslauftals“, stand auf Transpartenten. Oder: „Geld für eine Straße, die keiner will“. Parolen, die man eigentlich eher beim Auftritt eines CDU-Ministerpräsidenten erwartet hätte.

Gerade die vorgeschlagenen Straßen bei Miedelsbach und Winterbach seien „Projekte, die wir Grünen jahrelang bekämpft haben“

Ähnliche Empfindungen hegt man auch im weiter nördlich gelegenen Allmersbach im Tal, wo das Verkehrsministerium die Umfahrung bis Königsbronn nach ganz oben gerückt und mit 10,8 Millionen Euro veranschlagt hat. Bürgermeister Ralf Wörner reagierte ebenso perplex wie sein Winterbacher Kollege: Dieses Vorantreiben der in Allmersbach gar nicht mehr erwünschten Straße „wundert mich sehr“, erklärt der Schultes, der einst etliche Stimmen gewann, weil er sich im Wahlkampf gegen diese Umfahrung ausgesprochen hatte.

Auf ebenso wenig Verständnis stoßen die Meldungen aus dem Ministerium bei der Grünen-Landtagsabgeordneten Petra Häffner aus Schorndorf. Gerade die vorgeschlagenen Straßen bei Miedelsbach und Winterbach seien „Projekte, die wir Grünen jahrelang bekämpft haben“. Die Gefahr bestehe, dass bei einer gut ausgebauten Umfahrung Miedelsbachs „das Wieslauftal Teil einer großräumigen Umfahrung von Stuttgart wird“.

„Nicht bei jeder Maßnahme mit der Kommune rückgekoppelt“

In Stuttgart hat man den Gegenwind aus den eigenen Reihen durchaus registriert. Eine Sprecherin des Verkehrsministeriums weist aber darauf hin, dass etliche der Projekte ja schon vor vielen Jahren für den Generalverkehrsplan angemeldet und nun durch einen Kriterienkatalog eben eingestuft worden seien. Bis Ende September 2012 laufe die Anhörungsphase, in der die Gemeinden Stellung nehmen könnten. Tatsächlich habe man sich „nicht bei jeder Maßnahme mit der Kommune rückgekoppelt“, räumt sie ein.

Ihren Frust oder ihr Lob können die Rathauschefs von Schorndorf, Winterbach und Rudersberg sowie die jeweiligen Fraktionsvorsitzenden diesen Montag, 30. Juli, loswerden, wenn Verkehrsstaatssekretärin Gisela Splett die Vertreter im Winterbacher Rathaus empfängt. Es wäre nicht verwunderlich, wenn dann mancher Protest der Umweltschützer bei der Grünen-Politikerin auf fruchtbaren Boden fällt.