Dir britische Premierministerin lässt sich nicht unterkriegen und will weiterhin mit der EU über einen neuen Brexit-Deal handeln. Foto: Getty Images Europe

Das Brexit-Datum rückt näher und noch immer gibt es kein Abkommen mit der EU. Die neue Strategie der Briten: May wird so lange mit Änderungswünschen nach Brüssel geschickt, bis ein neuer Deal steht. Die EU zeigt sich unbeeindruckt davon.

London - Immer neu muss Aussenstehende verblüffen, wie Theresa May sich durch aussichtslose Situationen rettet. Die Premierministerin, bestätigte ihr die heimische Rechtspresse, habe Dienstagnacht im britischen Parlament „einen Triumph“ erzielt. Nach ihrer vernichtenden Niederlage vor zwei Wochen hat May diesmal in der Tat ihre Partei fast geschlossen hinter sich gebracht und auch die unionistischen Bündnispartner zurückgewonnen. Sie hat sich ein „Mehrheits-Mandat“ verschafft für weitere Verhandlungen mit Brüssel. Und sie hat Bemühungen ihrer Kritiker vereitelt, ihr einen ganz anderen Kurs aufzuzwingen im Parlament.

Die Briten wollen den Backstop neu aushandeln

Die Realität hinter dieser glänzenden Fassade ist freilich eine andere. Der Parlaments-Beschluss hilft May letztlich nichts. Er sieht zwar vor, dass die Regierungschefin jene Passagen des Austrittsvertrags, die von ihren Hardlinern abgesegnet wurden, mit nach Hause bringt, aber weiterhin die unliebsamen Stellen verweigert. Der verhasste „Backstop“, die Garantie freien Grenzverkehrs in Irland, soll ersetzt werden durch „alternative Arrangements“ – die es nebenbei bemerkt nicht gibt. Kurioserweise hat May selbst sich dieses „Mandat“ erbeten, nachdem sie noch bis vor wenigen Tagen aller Welt wieder und wieder versicherte, eine Neuverhandlung ihres Deals mit der EU sei unmöglich. Mit ihrem Deal habe sie die Grenzen des Verhandelbaren erreicht.

Nun, da es so aussieht, als halte die EU an dieser Position fest, nimmt sich Mays jüngste Kapitulation vor ihren im Reich der Fantasie lebenden Brexiteers wahrhaft bizarr aus. Selbst wenn die EU ihr irgendetwas anbieten könnte, wäre das für Boris Johnson und seine Freunde nicht genug. So ist schon jetzt abzusehen, dass das parteiübergreifende Bündnis ebenso schnell kollabieren wird, wie es zustande kam.

Die herrschende Schicht glaubt, die EU in die Knie zwingen zu können

Die Erwartungen der Hardliner, die sie nun zu ihren eigenen gemacht hat, kann May nicht erfüllen. Mit ihrer Aktion hat sie sich – diesmal mehr denn je – unglaubwürdig gemacht. In den herrschenden Schichten Großbritannien ist die Überzeugung verbreitet, dass es der eigenen Regierung schon gelingen werde, die EU irgendwie in die Knie zu zwingen. Johnson proklamierte stets, die deutschen Auto-Exporteure und die italienischen Prosecco-Produzenten würden ihren Regierungen schon begreiflich machen, warum sie den Briten post Brexit freien Zugang zum EU-Binnenmarkt, ohne alle Verpflichtungen für London, anbieten müssten.

Eine „Times“-Frontseite vom Januar 2017 illustrierte, wie sich May diese Haltung schon damals zu eigen gemacht hatte. Wenn sich die EU nicht vorsehe, werde Großbritannien große Firmen vom Kontinent auf die Insel locken, meldete jene Ausgabe eine entsprechende Drohung. In fetten Lettern verkündete das Blatt: „May an die EU: Gebt uns einen fairen Deal, oder ihr werdet zermalmt!“ Zwei Jahre später, und keine sechzig Tage vom Exit entfernt, sieht die Lage anders aus, als damals erwartet. Inzwischen bereitet sich die Bevölkerung auf leere Regale im Supermarkt und auf Armee-Einsätze zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung vor.

Es gibt noch Hoffnung, Mays Brexit-Deal zu retten

Diese Weltuntergangs-Szenarien, halten die Tory-Nationalisten noch immer für „reine Panikmache“. Für sie ist optimal, was sie nun erreicht haben. May hat sich zu ihrer willfährigen Botin machen lassen. Und falls die EU hart bleibt, ist an allem, was danach passiert, eben Europa schuld. Fraglich bleibt, ob noch Mays anderes Kalkül aufgehen könnte. Nämlich dass sich, wenn sich schon nicht die EU vom näher rückenden Austritts-Datum einschüchtern lasse, am Ende wenigstens die „gemäßigten Kräfte“ in ihrer Partei und bei Labour davon zur Besinnung bringen lassen.

Denkbar ist, dass die Labour-Führung, die ihren eigenen Brexit-Fantasien anhängt, am Ende es doch noch schafft, Mays Deal zu retten, indem sie zum Beispiel über Stimm-Enthaltung verfügt. Denn viele Abgeordnete beider großer Parteien scheinen derart Angst davor zu haben, als „Brexit-Saboteure“ beschimpft zu werden, dass sie einfach die Courage nicht finden, ihr Land vor einem offenkundigen Desaster zu retten.