Jüngst wandelte Nina Kurzeja im Marmorsaal auf den Spuren der Stuttgarter Tanzgeschichte: Szene aus „Ida Herion“. Foto: Yakup Zeyrek

Mit einer App zu den Orten der Stuttgarter Tanzgeschichte? Das ist nur eine der Ideen, die das Festival „Tanzgang“ attraktiv machen sollen. Mit der ersten Ausgabe brachte die freie Szene im Herbst 2013 unter dem Titel „Tanzlokal“ neues Leben in die Tanzmoderne.

Stuttgart - Das Festival „Tanzlokal“ im September 2013 hat viele Stuttgarter begeistert und mobilisiert. Gemeinsam mit den Tänzern der freien Szene folgten die Besucher den Spuren der Pioniere des Modern Dance in Stuttgart und im Land. Etwa Oskar Schlemmer, Rudolf Laban, Kurt Jooss und Mary Wigman. Nun schmiedet die freie Szene Pläne für das nächste Festival. „Tanzlokal war ein wirklicher Erfolg“, sagt Bea Kießlinger, die gemeinsam mit Eva Böhmer das Festival leitete. „Daraufhin haben wir uns gefragt, was Stuttgart noch fehlt“, so Bea Kießlinger.

Sie kamen auf die Markierungen der konkreten Orte, wo die Choreografen und Tänzer der Vergangenheit wirkten. „Daraus entstand die Idee eines Tanzgangs“, sagt Bea Kießlinger. „Unser Aufhänger ist die Suche Kurt Jooss’ nach Rudolf Laban im Jahr 1920“, sagt die Tanzexpertin. Damals suchte der Tänzer im Kernerviertel sämtliche Klingelschilder nach dem Namen des berühmten Tanzpioniers ab. Wenn Kurt Jooss Laban sechs Tänzer vermittle, würde er eine Tanzbühne eröffnen, hatte Laban verkündet. Und so geschah es dann auch.

Mittels einer App und eines Stadtplans für den Tanz möchte die freie Szene die alten Schauplätze abstecken und die Zuschauer des Festivals die Orte auf Führungen erfahren lassen. Idealerweise werden Tänzer oder Choreografen die Zuschauer führen und Bewegungsübungen mit einbauen. Mit der App möchte die freie Szene insbesondere das junge Publikum ansprechen.

Ivo, Santi, Spuck: Auch die jüngere Geschichte tanzt mit

Dieses Mal gehen die Veranstalter auch den Spuren der jüngeren Tanzvergangenheit nach. So haben zum Beispiel die Choreografen Ismael Ivo, Marco Santi und Christian Spuck oder Kazuo Ohno und Renate Klett, die 1987 beim „Theater der Welt“ wirkten, Stuttgarts freie Tanzwelt wesentlich geprägt. Die Tanzgang-Kuratorinnen wollen Vertreter von ihnen interviewen. Zeitgenössische Choreografen sollen sich mit ihrem Schaffen auseinander.

Außerdem rücken die Kuratorinnen auch historische Tanzvisionäre in den Blickpunkt, die beim letzten Festival noch keine Rolle gespielt haben: etwa die Laban-Schülerin Grete Breitkreuz, die in Stuttgart unterrichtete. Oder Elisabeth Duncan. die Schwester Isadora Duncans: Sie inspirierte auf dem Winterbacher Engelberg vor Stuttgarts Toren ihre Schüler. Sie alle spielen möglicherweise in Produktionen des Festivals eine Rolle. Neben der Akademie Schloss Solitude und dem Württembergischen Kunstverein sind als neue Kooperationspartner und Schauplätze das Theater Rampe, das Stadtmuseum und das ifa-Institut mit von der Partie. „Wir wollen auch gerne interdisziplinäre Arbeiten hervorheben“, sagt Kießlinger.

Hoffen auf eine Förderung durch die Stadt

Schon das letzte Festival zog Folgen nach sich: Erst Ende Oktober setzte sich die Choreografin Nina Kurzeja im Weißenburgpark im Rahmen ihrer Produktion „Ida Herion. A Trace Back Session“ mit den historischen Fotografien der Schülerinnen Ida Herions am Originalschauplatz auseinander. Die Choreografin Eva Baumann begab sich mit „Tracing O.S“ im April 2015 auf die Spuren Oskar Schlemmers und zeigte die Premiere im Bauhaus Dessau. Auch das Interesse bei den anderen teilnehmenden Künstlern des letzten Festivals ist groß: „Alle, die mitgewirkt haben, würden das Thema gerne weiterverfolgen“, meint Kießlinger.

Sicher ist bereits, dass die Koordinationsstipendiatin Natascha Moschini von der Akademie Schloss Solitude am Projekt teilnimmt. Sie stammt aus Stuttgart, hat lange hier gelebt und wohnt heute in Bern. Ihre Studienfächer waren Tanz, Performance Studies und Contemporary Arts Practice, und in Stuttgart hat sie zum Beispiel 2013 mit dem Kunstmuseum den Live-Hörspiel-Ausflug „Stammheim Schleife“ entwickelt, der sich mit der Stadtgeschichte, Erinnerung und dem Abriss des RAF-Trakts auseinandersetzte.

Fördern wird das Festival unter anderem das Land Baden-Württemberg über den Innovationsfond; beim Tanzfond Erbe des Bundes haben die Kuratorinnen ebenfalls einen Antrag eingereicht. Parallel dazu kontaktieren sie Stiftungen für Mittel und hoffen, dass auch die Stadt Stuttgart etwas beiträgt. In einer ersten Haushaltslesung hat die Stadt aber die Förderung des „Tanzgangs“ abgelehnt. Eine Unterstützung über den Innovationsfond zur Förderung freier Tanz- und Theaterprojekte hat die Stadt zumindest bei „Tanzlokal“ verneint, weil der Fond nicht für Festivals gedacht sei. Die Vertreter der Tanzszene hoffen nun, dass die Politik doch noch diese einmalige Chance für das Stuttgarter Tanzerbe wahrnimmt.