Familienidylle neben dem Konzentrationslager Auschwitz. Hier lebt Lagerkommandant Rudolf Höß (Christian Friedel) mit seiner Frau Hedwig (Sandra Hüller) und den Kindern. Foto: dpa

Der Terror des Konzentrationslagers ist nicht sicht- aber hörbar in Jonathan Glazers Holocaust-Erzählung „The Zone of Interest“. Im Zentrum der Literaturverfilmung steht der Alltag des Lagerkommandanten Rudolf Höß und dessen Familie.

In Hedwigs Garten blühen die schönsten Blumen, erst Tulpen, später Rosen, Astern und Mohn. Hedwig hält ihr Baby über die Blüten, lässt das Kleine die dicken Hummeln bestaunen. Zu Vatis Geburtstag schenken ihm Hedwig (Sandra Hüller) und die Kinder ein Ruderboot. Das Baby weint, als Vati (Christian Friedel) es ins Boot setzen will. Im Sommer planschen alle im Schwimmbecken, es gibt sogar eine Rutsche und eine Dusche. Nur der Geruch, der von jenseits der Gartenmauer auf das Anwesen von Familie Höß weht, ist gewöhnungsbedürftig. Vor allem für Besucher, die ihm nicht täglich ausgesetzt sind. Öfters sind auch Schreie vom Gelände zu hören, das Kommandogebell der Wachleute und immer wieder Maschinengewehrsalven, „taktaktaktak!“, schnell hintereinander.

Außergewöhnliches Konzept

Erst diese verstörende Geräuschkulisse macht klar, dass Jonathan Glazer in seiner Literaturverfilmung „The Zone of Interest“ kein weichgezeichnetes Familienidyll porträtiert. Glazer, der zu Beginn seiner Karriere in düster-poetischen Musikvideos Gewalt und Tod wirkmächtig bebilderte, setzt in seiner vierten Spielfilmregie auf den harten Kontrast zwischen einer pastellhellen Vorgartenidylle und dem Sound eines Höllenszenarios, um vom Alltag in Auschwitz zu erzählen.

Dieses Konzept ist außergewöhnlich, versucht doch ein großer Teil filmischer Holocaust-Verarbeitungen, das Leid in den Konzentrationslagern abzubilden, scheitert aber gerade an der Undarstellbarkeit der grausamen Realität. Auf Basis des Romans „Interessengebiet“ des britischen Schriftstellers Martin Amis, den die New York Times einst zum „Meister der Neuen Widerwärtigkeit“ ernannte, findet Jonathan Glazer dagegen Bilder für die Verdrängung des Holocaust. Damit rückt er seinem Schrecken und seiner Gewalt viel näher, als es einigen wohlmeinenden Versuchen der letzten Jahrzehnte von „Schindlers Liste“ (1993) bis „Der Junge im gestreiften Pyjama“ (2008) gelungen ist.

Anstatt die Erfahrungen der Opfer zu beschwören, beschreibt Glazer den Alltag der Täter – als ewigen Sonntag im Vorgarten von Auschwitz. Was man aufgrund der Absurdität für eine Fiktion halten könnte, ist historischer Fakt: Von Mai 1940 bis November 1943 lebte der Lagerkommandant Rudolf Höß mit seiner Frau Hedwig und den gemeinsamen fünf Kindern dort in einem modernen, komfortabel ausgebauten Anwesen. Wie der Alltag konkret ausgesehen hat, ist fiktiv, Glazer zeichnet ihn aber im Rahmen des historisch Möglichen. Das Dienstpersonal rekrutiert das Ehepaar aus KZ-Inhaftierten; in einer Szene bringt ein Bote Gegenstände aus dem Lager vorbei, dicke Umschläge mit teurer Damenwäsche zum Beispiel, die aus dem Gepäck jüdischer Frauen geplündert und nun Hedwig Höß übergeben wird. Die schüttet den Wäschestoß auf ihrem Esstisch aus und fordert ihre Mägde auf, sich zu bedienen. Was der Vater im Inneren des KZ, jener „Zone of Interest“, sieht und tut, bleibt der Familie im Haus verborgen. Trotzdem beobachten die Kinder vom Fenster aus, wie Gefangene misshandelt werden.„Mach das nicht noch mal!“, flüstert Höß’ Sohn vor sich hin, nachdem er die Bestrafung eines Häftlings gesehen hat. Es klingt wie eine Drohung, aber auch wie eine Bitte, unklar, ob sie sich an den Peiniger oder das Opfer richtet.

Bedrückende Gleichgültigkeit

Der Film macht die Gleichgültigkeit erlebbar, mit der die Familie die massive Gewalt an sich vorbei branden lässt, als habe sie nichts mit ihr zu tun, das macht ihn so bedrückend. Die Grandezza, mit der sich Madame Höß im geraubten Pelz einer Jüdin vor ihrem Spiegel rekelt, interpretiert Sandra Hüller mit Mut zur Hässlichkeit und Sinn für die emotionale Grobheit dieser Frau, die sich selbst nie die Hände schmutzig zu machen brauchte. Christian Friedel hingegen meistert die heikle Aufgabe, den Massenmörder Rudolf Höß als harmlos lieben Vati vorzustellen, der sich selbst als Ehrenmann und verlässlichen Vollstrecker höherer Befehle, aber nie als Verbrecher an der Menschlichkeit sah. Als er allerdings ins Ministerium nach Potsdam berufen wird, ist ihm das lieber als seiner Gattin, die sich an das luxuriöse Leben auf dem Land gewöhnt hat, erzählt Glazer. Dass auch ein ideologisch überzeugter Mörder Stress empfindet angesichts seines widerlichen Geschäfts, zeigt Friedel, indem er seinen sonst so aufrechten Rudolf eleganten Marmor im Ministerium kotzen lässt, nachdem man ihm die Rückbeorderung nach Auschwitz verkündet hat.

Mit jeder Szene sickert der Horror dieses Alltags im Schatten von Auschwitz tiefer in die Figuren ein und Jonathan Glazer führt vor, wie mickrig, gewöhnlich und kleinkariert diese Leute waren, die für ein Häuschen im Grünen und Hitlers Schulterklopfen bereit waren zu töten – millionenfach. Ein schockierend realistisches Szenario.

The Zone of Interest. USA, UK, Polen 2023. Regie: Jonathan Glazer. Mit Sandra Hüller, Christian Friedel, Imogen Kogge. 106 Minuten. Ab 12 Jahren. Start: an diesem Donnerstag

Historischer Hintergrund

Der Täter
Rudolf Höß wurde 1947 in Auschwitz hingerichtet, seine Frau starb 1989 in den USA, die Kinder zogen ins Ausland. Höß legte vor seiner Hinrichtung umfassende Geständnisse zum Massenmord in Auschwitz ab. Seine einfache Herkunft verbarg er jedoch hinter Legenden, um sich wichtiger erscheinen zu lassen. Laut psychologischem Gutachten war er „schizoid apathisch“, pflichtbewusst, kleinbürgerlich, jedoch nicht sadistisch.

Der Filmemacher
Jonathan Glazer schuf zuerst Werbespots und Musikvideos für Bands wie Radiohead („Street Spirit“) und Massive Attack („Karmacoma“), bevor er sich dem Spielfilm zuwendete. Der Durchbruch gelang ihm 2000 mit dem Thriller „Sexy Beast“, 2013 verfilmte er den Science-Fiction-Roman „Under the Skin“. „The Zone of Interest“ ist für fünf Oscar-Auszeichnungen nominiert.