Der Tod reist mit: Dimitrij Schaad, Marc Hosemann, Anna Maria Mühe (von links) Foto: Stephan Rabold

In seinem Spielfilmdebüt „Sophia, der Tod und ich“ nach dem Roman von Thees Uhlman verarbeitet Charly Hübner viele witzige Einfälle. Der Bedeutung des ewigen Abschieds kommt er aber nicht auf die Spur.

Reiners Tod heißt Morten de Sarg und ist eigentlich ein Netter. Eines Morgens klingelt der unerwartete Gast an Reiners Tür und will den Krankenpfleger Mitte dreißig ins Jenseits überführen. Den Auftrag hatte Morten de Sarg (Marc Hosemann) vom Erzengel Michaela (Lina Beckmann) erhalten. Morten selbst hält Reiner (Dimitrij Schaad) zwar für ein bisschen zu jung, um schon die Radieschen von unten zu begucken, Mitspracherecht hat er bei der Entscheidung von Michaela und dem großen G. (Josef Ostendorf) aber nicht.

Keine Zeit zum Sterben

Reiner hingegen will nur einfach nicht auf der Stelle tot umfallen, weil er noch ein paar Dinge erledigen muss. Reiners Mutter Lore (Johanna Gastdorf) hat ausgerechnet an diesem Tag Geburtstag, und Reiners Ex-Freundin Sophia (Anna Maria Mühe) klingelt Sturm, weil die beiden gemeinsam mit dem Zug zu Lore fahren wollten. Jetzt sind sie spät dran und müssen mit dem verdutzten Morten im Schweinsgalopp zum Bahnhof, also keine Zeit zum Sterben.

Eine lustige Vorstellung, mit dem eigenen Tod im Schlepptau dem Unausweichlichen davonzulaufen. Die Idee stammt vom deutschen Musiker und Autor Thees Uhlmann, der im Roman „Sophia, der Tod und ich“ erzählt, wie ein junger Mann kurz vor seinem Ableben noch einmal auf eine letzte Reise geht, um sich von Mutter, Ex-Freundin und dem eigenen, entfremdeten Kind zu verabschieden.

Der Schauspieler Charly Hübner hat die Geschichte nun fürs Kino adaptiert; nach dessen Dokumentarfilmdebüt „Wildes Herz“ (2017) über die Punkband Feine Sahne Fischfilet Hübners erste Regie bei einem Spielfilm.

Der Stoff ist dankbar mit dem Sensenmann als bekannter Figur aus Malerei, Literatur, Musik und Film. Trotz seiner düsteren Bedeutung wird der personifizierte Tod oft positiv, freundlich und sogar komisch interpretiert, wie etwa in Joseph Vilsmaiers letzter Komödie „Der Boandlkramer und die ewige Liebe“ (2021) mit dem Komiker Bully Herbig in der Titelrolle.

Eine Postkarte ans Kind – jeden Tag

Ganz so grell lustig sieht Hübner seinen Todesbringer zwar nicht, eine wirklich dunkel schattierte Erzählung ist „Sophia, der Tod und ich“ aber auch nicht. Der Plot selbst ist handlungsarm, das Drehbuch hält sich nicht groß mit Details auf. En passant erfährt man, dass Reiner von der Mutter seines Sohns Johnny getrennt lebt und offenbar nicht mit aller Kraft um ein gemeinsames Sorgerecht gekämpft hat. In Reiners Wohnung steht ein Foto von den beiden, und täglich schreibt Reiner eine selbst gestaltete Postkarte an sein Kind. Jedes Mal versehen mit dem Postskriptum „Johnny, be Goode“ in Anlehnung an einen berühmten Song von Chuck Berry über einen Jungen vom Land, der nicht gut lesen und schreiben lernt, dafür aber seine Gitarre zum Klingen bringt.

Wildes Leben in letzten Momenten

Die Vergangenheit der Figuren spielt abseits dieses Leitmotivs nur bedingt eine Rolle, viel eher geht es um das wilde Leben in letzten Momenten, die Reiner mit seinen Lieben verbringt, im Auto auf der Piste, in einem Wirtshaus – mit Charly Hübner in der Rolle des strengen Wirts –, um den letzten Sex mit Sophia und die ruppig-liebevollen Wortgefechte mit Mutter Lore.

Ein bisschen Action kommt mit dem Auftritt von Morck Mortus (Carlo Ljubek), Sensenmann Nummer zwei, ins Spiel. Der soll im Auftrag von Michaela und G. beenden, was Morten de Sarg nur halbherzig begonnen hat. Ein heftiger Kampf der beiden Konkurrenten gehört zu den stärksten Szenen des gesamten Films, mit Anleihen an Martial-Arts-Prügeleien wie in den „Matrix“-Filmen der Wachowski-Schwestern.

Himmlische Pommesbude

Lustig geraten auch die schnodderigen Dialoge; und die Idee einer himmlischen Pommesbude, vor der sich die Schnitter versammeln, um von Erzengel Michaela die Lebensbüchlein der Todeskandidaten zu empfangen, ist visuell reizvoll und witzig. Die einzelnen schönen Versatzstücke und starken Einfälle können aber nicht verhehlen, dass sich Hübner als Erzähler vor düsterer Tiefe scheut. Weder Reiner noch Sophia oder die Mutter hadern ernstlich mit dem bevorstehen Ende, die harte Konsequenz, die Endgültigkeit des Todes, erfasst der Film nicht.

Das Sterben geht glatt und schnell über die Bühne

Hübners Protagonist ist erstaunlich abgeklärt und frei von Panik, Angst und Schmerz, es fehlt der Figur an Fallhöhe. Der Tod ist bloß ein lustiger, graugesichtiger Geselle mit flapsigen Sprüchen auf der Zunge, und Reiners Sterben geht glatt und schnell über die Bühne, als würde er bloß von einem Zimmer ins andere gehen. Glaubwürdig, realitätsnah oder schlicht traurig ist das keine Sekunde. Dem bösen Gevatter Ernst ist Hübner damit aber noch einmal von der Schippe gesprungen.

S ophia, der Tod und ich: Deutschland 2023. Regie: Charly Hübner. Mit Dimitrij Schaad, Anna Maria Mühe, Marc Hosemann, Johanna Gastdorf. 97 Minuten. Ab 12 Jahren.

Der Tod im Kino

Herzensbrecher
Der personifizierte Tod spielt oft eine Rolle im Kino. In Martin Brests Romanze „Rendezvous mit Joe Black“ (1998) brach er in Gestalt von Brad Pitt Frauenherzen, während Bully Herbig in Joseph Vilsmaiers letzter Regie eine liebenswert zerlumpte, melancholische Ulknudel gab. Die in der Pandemie entstandene Komödie „How it ends“ (2021) von Zoe Lister-Jones und Daryl Wein erzählt in schnodderiger Alltagssprache, wie sich eine junge Frau kurz vorm Exitus von ihren Lieben verabschiedet. Bei aller Beiläufigkeit erreicht sie erstaunliche Tiefe.

Komet
Ans Eingemachte geht es in Lars von Triers Tragödie „Melancholia“ (2011) über zwei Frauen, die das Weltende erleben. Wie in „How it ends“ erscheint der Todesbringer nicht in Menschengestalt, den man um Aufschub bitten könnte, sondern als Komet aus dem All.