Joyce (Jane Curtin), Sandy (Harriet Sansom Harris) und Milton (Ben Kingsley) (v. li) leben nun mit einem Außerirdischen zusammen. Foto: dpa/Linda Kallerus

Zuerst kam E. T., nun kommt Jules: In seiner Science-Fiction-Tragikomödie „A great Place to call Home“ widmet sich Marc Turtletaub der Frage, wie alte Menschen mit einem unerwarteten Besucher und der großen Einsamkeit am Lebensabend umgehen.

Der Marketing-Slogan der Kleinstadt Boonton im US-Bundesstaat Pennsylvania raubt dem Rentner Milton Robinson (Ben Kingsley) den allerletzten Nerv: „A great Place to call Home“ sei nämlich doppeldeutig, erklärt Milton Tag für Tag dem augenrollenden Bürgerausschuss. Der Satz bedeute nicht nur, Boonton sei ein toller Ort zum Leben, sondern vielmehr einer, von dem aus man wunderbar nach Hause telefonieren könne. Der Slogan erzeuge also den Eindruck, der Ort sei attraktiv für eine Durchreise und verfehle damit die eigentlich beabsichtigte Wirkung, bei jungen Menschen für die Stadt als deren neue Heimat zu werben.

Der Vorwurf des Alten hat zwar etwas von querulantischer Haarspalterei, ein besonderes Ereignis in Marc Turtletaubs Science-Fiction-Tragikomödie „A great Place to call Home“ beweist jedoch Miltons Hellsicht in diesem Fall. Als in dessen Vorgarten ein Ufo mitsamt Alien abstürzt, muss sich Boonton gleich doppelt bewähren – als Ort mit Willkommenskultur, aber auch als Basis für einen Neustart eines auf Durchreise Gestrandeten.

Erinnerungen an E. T.

Vergleichbar fabulierte Steven Spielberg in seinem legendärem Sience-Fiction-Abenteuer „E. T. – Der Außerirdische“, wie eine freundliche Kooperation zwischen Erdlingen und Alien ablaufen könnte. Spielbergs niedliches Weltraummonster mit dem untersetzten Echsenkörper und riesigen Kulleraugen will auch immer nur „nach Hause telefonieren“. Die Zwischenstation bei seinen Gastgebern zieht er nie als potenzielle neue Heimat in Betracht. Auch in Marc Turtletaubs modernem Märchen geht es nie um das Bleiben des extraterrestrischen Reisenden. Bis Milton Robinson aber einen Weg findet, das Ufo seines Gastes wieder flugfit zu machen, beobachtet der Film den Alltag der neuen Freunde im Ausnahmezustand.

Der inzwischen 80-jährige Oscar-Preisträger Ben Kingsley spielt darin den Rentner als harmlos halsstarrigen, einsamen Witwer, der sich von Tochter Denise (Zoë Winters) und den Mitgliedern des Bürgerausschusses nicht ernst genommen fühlt. Weil Milton immer öfter Termine verschwitzt und Gegenstände verlegt, fürchtet Denise, ihr Vater könne an Demenz erkrankt sein. Eine Weile bleibt auch für das Publikum in der Schwebe, ob sich Milton den Absturz des Ufos in seinem Garten bloß einbildet. Als aber Miltons Nachbarinnen Sandy (Harriet Sansom Harris) und Joyce (Jane Curtin) das Äpfel knurpselnde, silberhäutige Wesen auf dessen Couch ebenfalls sehen, verfliegt der Verdacht, es handle sich beim von den Frauen auf Jules getauften, stummen Alien (Jade Quon) um eine demenzielle Halluzination.

Tote Katzen als Treibstoff

Während Spielberg in „E. T.“ eine turbulente Achterbahnfahrt der erzählerischen Wendepunkte und Emotionen konstruierte, bleibt Turtletaubs Film trotz einer Nebenhandlung mit nach dem Besucher fahndenden Bundesagenten geerdet. Die größte Aufregung verursacht die Suche nach geeignetem Brennmaterial für Jules’ Vehikel; schließlich ist es Erdenbewohnern schwer zu vermitteln, warum sie einem Außerirdischen ihre toten Katzen als Treibstoff überlassen sollten. Abseits solcher skurrilen Irritationen erzählt Marc Turtletaub von typischen Problemen betagter Senioren; Themen wie Einsamkeit, Krankheit und Ausgrenzung treiben den selbst 78-jährigen Filmemacher offenbar mehr um als wilde Plotvolten. Einem jüngeren Publikum könnte „A great Place to call Home“ deshalb zu handlungsarm und behäbig erscheinen. Auch die Chance, sich mit der in den USA dauerbrennenden Frage zum Umgang mit Fremden – also „Aliens“ – auf humorvoller Ebene auseinanderzusetzen, verschenkt Turtletaub im Bemühen, den Gefühls- und Erfahrungshorizont alter Menschen abzubilden.

Interessant wird der Film durch sein starkes Ensemble mit dem Charakterschauspieler Ben Kingsley, der den Rentner mit einfühlsamem Understatement gibt. Mit ihm bilden Harriet Sansom Harris und Jane Curtin ein liebenswertes Triumvirat kauziger Underdogs, die mit ihrem widerständigen Geist jedes durchgetaktete Altersheim an den Rand des Systemkollapses bringen könnten. Den schwierigsten Part in der Komödie übernimmt allerdings die durch eine Vollkörpermaske um ihre Mimik beraubte Schauspielerin Jade Quon, die ohne Sprache nur mit Blicken und Körperhaltung Charaktereigenschaften vermitteln muss. Erstaunlich, wie hervorragend ihr das in der Rolle des geschlechtslosen Wesens Jules gelingt. Im Vorfeld der Oscar-Verleihungen mit all den spektakulären Großproduktionen ist Marc Turtletaubs bescheidenes Märchen über den Alltag mit einem Alien dann letztlich doch etwas Besonderes.

A great Place to call Home. USA 2023. Regie: Marc Turtletaub. Mit Ben Kingsley, Jade Quon, Jane Curtin. 87 Minuten. Ab 6 Jahren, Start: 1.2.

Info