Ein gemeinschaftliches Weihnachtsfest kann manchmal ganz schön anstregend sein. Foto: AdobeStock/72401701

Die dauernörgelnde Tante, der verwöhnte Cousin oder der beleidigte Schwager – Jeder kennt sie, keiner mag sie. Doch alle Jahre wieder finden sie sich zur gemeinschaftlichen Weihnachtsfeier zusammen. Eine Typologie der nervigsten Weihnachtsgäste.

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Stuttgart - Je größer die häusliche Weihnachtsparty, desto geringer sind die Rückzugsmöglichkeiten. Nirgendwo ist man sicher vor den Neurosen seiner Liebsten. Eine Typologie der nervigsten Weihnachtsgäste.

Die Halbcoolen

Die Nachbarn werden gleich die Feuerwehr anrufen, denn über dem Balkon gegenüber hängen fette Rauchschwaden. Die maximale Traglast ist überschritten. Auf drei Quadratmetern steht ein schlotterndes Häuflein, das wie ein weißrussisches Kohlekraftwerk vor sich hin rußt. Stell dir vor, es ist Weihnachten, und kaum einer will hin! Um den Familienfrieden nicht zu gefährden (und die Erbtante nicht zu verärgern) sind die Coolen der Sippe dennoch zur Bescherung angetreten, müssen aber den Frust durch partielle Abwesenheit kompensieren. Die rauchenden Coolen? So halb und halb. Es ist ein quarziges Klischee aus den 90ern. Heute weiß man: Wer oft Bier und Zigaretten in der Kälte konsumiert, lebt kürzer und hat schließlich nichts vom tantigen Erbe.

Die Besseresser

Früher versammelte sich die Familie um einen kitschig dekorierten Tisch, der sich unter einem Gebirge aus Fisch, Fleisch und Zuckerkram wie eine Banane bog. Man aß, bis die Augen herausploppten. Und alles schien gut. Doch mittlerweile ist das weihnachtliche Esszimmer ein Kampfplatz der unverdaulichen Weltanschauungen. Veganer gegen Fleischfresser, Vegetarier gegen Frutarier. Und dann wäre da noch die anämische Cousine, die nur bei Vollmond selbst geernteten Bio-Spitzwegerich isst und stundenlang über ihren Zwölffingerdarm spricht. Oder der quadratisch gestopfte Onkel, dessen Manieren und politischen Ansichten einer Hausschlachtung ohne Betäubung ähneln. Oder die zwei Frischverliebten, die sich bei einer glutenfreien Nudel kennengelernt haben. Oder . . .

Die Beleidigten

Kein Fest ohne einen peinlichen Komplett-Ausfall. Meist handelt es sich dabei um die hochsensible, egomanische Diva in der Familie, deren Nervenkostüm stabil wie Lametta ist. Irgendwann verschwindet die betreffende Person Tür schlagend aus dem Blickfeld und verzieht sich ins Schlafzimmer, wo sie schmollend hinter einem Hügel aus Mänteln und zerrissenem Geschenkpapier darauf wartet, wiederentdeckt zu werden. Nichtige Anlässe führen zu den größten Verwerfungen. Ein falsches Wort und es kommt zu gefährlichen Verpuffungen. Nicht selten handelt es sich bei den Beleidigten um dauergekränkte Schwiegermütter oder verletzte Schwiegertöchter, die mit einem Elefantengedächtnis ausgestattet sind. Spätestens an Silvester ist alles vergessen.

Die Küchenpsychologen

Die Küche wurde ursprünglich nicht dafür erfunden, um darin Kochbücher zu horten oder Espressomaschinen aufzustellen. Nein, die Küche war und bleibt ein Ort des tiefschürfenden Gesprächs zweier Seelenverwandter. Vorzugsweise an hochfrequenten Festtagen findet sich immer ein sozial kompetentes Familienmitglied mit einem „Psychologie heute“-Abonnement, das bei Sozialneid, Depressionen, Wahnsinn, Latexfetischismus und Weihnachtsstress im Allgemeinen weiterhilft. Die Behandlung findet stehend mit Sektgläsern in der Hand statt. Meist wird geflüstert, manchmal fließen Tränen. Die eigentlich vertraulichen Informationen werden vom nun angeschickerten Hobbytherapeuten spätestens beim Nachtisch im Beisein aller ausgeplaudert.

Die Macherin

Was wäre eine Weihnachtsfeier ohne einen Wundermenschen, der alles vorbereitet, an alle Einladungen denkt, die Wohnung aufhübscht und für das Catering sorgt? Eben. Oft handelt es sich bei dieser Person um eine feldwebelhafte Perfektionistin, die von ihrer Kommandozentrale in der Küche aus alle Frontverläufe im Blick hat, beim Backen und Kochen zahllose Allergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten notiert, penibel auf die Tischordnung achtet, gleichzeitig den grapschenden Schwager mit der Ouzo-Fahne abwehrt, den brennenden Weihnachtsbaum löscht, schwer verletzte Kinder notversorgt und den Monsterbraten in der Röhre wendet. Puh. Und wenn alle satt und glücklich die Bude verlassen haben, sitzt sie auf dem Staubsauer und nagt frustriert an einem Knochen.

Die Verwöhnten

Was schenkt man Kindern, die schon alles haben? Das Neueste, Teuerste, Sinnloseste und viel mehr! Und weil die Auswahl im berstenden Kinderzimmer schon lange dem eines luxuriösen Spielwarengeschäfts in einem Sultanat gleicht, wird die komplette Wohnung nach der Bescherung kurzum zum Trampolin beziehungsweise zur Teststrecke umfunktioniert. Die Zeiten, als man den Kleinen mit Lego Star Wars, einer Barbiepuppe und dem Chemiebaukasten glänzende Augen schenkte, sind endgültig vorbei. Seit Monaten klingelt der Amazon-Bote täglich zweimal. Zum Fest werden kindgerechte Kampfdrohnen ausgepackt, saphirbesetzte Bibi-und-Tina-Puppen, Hochschulstipendien und osteuropäische Nannys. Alles für die Kleinen. Und das Beste ist gerade gut genug.