Das Dürrbachtal ist geprägt durch Streuobstwiesen, Gärten und Weinberge. Foto: Alexander Müller

Wenn in Stuttgart gebaut wird, müssen Ausgleichsflächen gefunden werden. Die Stadt will daher das Dürrbachtal in Rohracker neu ordnen. Eine Bürgerinitiative wehrt sich gegen die Zerstörung des Naturidylls.

Es fühlt sich nicht so an, als stünde man wirklich noch in einer Großstadt wie Stuttgart. Außer dem Singen der Vögel, dem Summen der Bienen und vereinzelt auch weiteren Insekten ist nichts zu Hören. „Es ist ein absolutes Kleinod, ein Urlaubsziel vor der eigenen Haustüre“, schwärmt Carsten Marohn. Doch der Rohracker Gartenbesitzer fürchtet mit vielen Gleichgesinnten um die Zukunft des Landschaftsschutzgebietes, das sich vom kleinen Stadtteil im Tal bis zur Wangener Höhe hinaufzieht.

Die Stadt will das mehrere Hektar große Areal aus Streuobstwiesen, Gartengrundstücken, aber auch brachliegenden Flächen und ganzen Weinbergen neu ordnen. Vor allem gegen den Ausbau des historischen Grenzwegs in eine asphaltierte Straße zur Erschließung regt sich Widerstand.

Herrscht ein ökologisches Gleichgewicht

Hintergrund der geplanten Flurneuordnung ist die schwierige Suche nach Kompensationsflächen für Bauprojekte in Stuttgart. Wenn Bereiche neu versiegelt werden, müssen Ausgleichsmaßnahmen erfolgen. Das Augenmerk der Stadtplaner fiel dabei auf den Wangener Berg. „Obwohl hier bereits ein ökologisches Gleichgewicht herrscht“, sagt auch Sebastian Schiller. Der Wengerter muss es wissen, betreibt doch seine Familie seit Generationen Weinbau in dem zur Flurneuordnung deklarierten Gebiet, zu dem neben dem Dürrbachtal auch das Gewann Engenberg zählt.

Wie dem Bezirksbeirat Hedelfingen stößt den beiden dabei besonders auf, dass die Wahl auf die südliche Seite des Wangener Bergs gefallen ist, statt auf die „Vereinigten Hüttenwerke“ auf der Nordseite. Die zahlreichen illegalen Bauten dort wurden bereits vielfach im Bezirks- und Gemeinderat debattiert und sind vielen ein Dorn im Auge. „Es ist der einfachere Weg. Schließlich kann die Stadt hier auf der Südseite auch mehr wertvolle Ökopunkte generieren kann“, betonen Marohn und Schiller – zum Leidwesen der teilweise dort bereits seit Jahrzehnten tätigen Gartenbesitzer.

Neue geschotterte Straße statt historischem Wandelweg

Die Flurneuordnung stellt einen deutlichen Eingriff in die gewachsene Struktur ein. Geplant ist eine Aufwertung durch mehr Biodiversität. Unter anderem könnten großflächige Gebiete gerodet und mit Schafen beweidet werden. Vor allem aber soll eine neue, geschotterte Straße den ursprünglichen Grenzweg ersetzen, um die Arbeit der Wengerter zu erleichtern und die Erholungsqualität für die Bürger zu erhöhen, erklärte Gerd Holzwarth vom Landratsamt des Rems-Murr-Kreises bei der Präsentation.

Um das zu erreichen, will das für die Neuordnung von der Stadt beauftragte Landratsamt in Verhandlungen mit den Eigentümern treten. Zwar wird in erster Linie von der Zusammenlegung der oftmals zersplitterten Flurstücke durch Tausch oder Erwerb gesprochen. „Aber es fiel auch bereits mehrmals die Möglichkeit der Enteignung“, sind Marohn und Schiller entsetzt.

Bereits mehr als 600 Unterschriften gesammelt

Damit stehen die beiden bei Weitem nicht alleine da. Knapp 60 Mitglieder hat die eigens gegründete Bürgerinitiative „Rettet den Grenzwandel“. Zusammen pflegen sie rund die Hälfte des Dürrbachtals. Innerhalb kurzer Zeit wurden bereits mehr als 600 Unterschriften gesammelt, ein Großteil wurde bereits an den Bezirksbeirat Hedelfingen übergeben. „Das zeigt, dass auch viele Erholungssuchende das naturbelassene Gewann sehr schätzen“, ist sich der Vorsitzende sicher. Der Name der Bürgerinitiative ist dabei Programm. Anstatt des 50 Zentimeter breiten Grenzwegs soll eine bis zu drei Meter geschotterte Pkw-Zufahrt entstehen. Wohlwissend, dass einige Gartenbesitzer oder Wengerter dies begrüßen würden, lehnt dies die Initiative strikt ab. „Dann wäre es vorbei mit der Ruhe“, betont Marohn. Zudem würde der laut Historikern bis zu 800 Jahre alte Grenzweg zerstört. Für ihn ist eine Flurneuordnung kein Mittel zur ökologischen Aufwertung, sondern „nur ein Weg, um ein Anliegen durchzusetzen“. Denn bereits in den 1980er-Jahren war die Stadtverwaltung mit der Rebflurbereinigung am Widerstand der Gartenbesitzer gescheitert. Nun nehme man einen neuen Anlauf.

Doch gerade dies mache das Dürrbachtal aus. „Es fühlt sich an wie in meiner Heimat Slowenien. Das ist ein Platz, um alt zu werden – und nicht in einem Heim“, betont Justina Zivic. Die rüstige Rentnerin kommt fast täglich aus Sindelfingen in ihren Garten im Dürrbachtal. Und auch die Kinder und Enkelkinder wüssten die Ruhe am Wochenende im Kleinod sehr zu schätzen.

Weitere Informationen unter: www.duerrbach.org