Nationalpark Pro und Contra. Oben: Greenpeace-Aktivisten werben vor dem Stuttgarter Landtag für das Projekt. Unten: Ein Schild, wie es in vielen Schwarzwaldgemeinden anzutreffen ist. Foto: Montage/dpa

Was hat die Steiermark mit Baden-Württemberg zu tun? Die einen haben seit gut zehn Jahren einen Nationalpark, die anderen sollen demnächst einen bekommen. Beide Parks sind gleich groß, im Vorfeld gab es hier wie dort Proteste. Ein Vergleich, der sich lohnt.

Freudenstadt/Admont - Der Slogan ist kurz und knackig. „Erleben, wie die Natur denkt und handelt“ steht da auf dem hölzernen Schild. Willkommen im Nationalpark Gesäuse mitten in der Steiermark. Hier, wo die schroffen Felsen in den blauen Himmel ragen, herrscht Natur pur. Unten im Tal zieht die Enns ihre Bahn. Das Toben, das Rauschen, das Gurgeln, das Säuseln dieses Alpenflusses hat diesem Nationalpark seinen Namen gegeben. Und die Verantwortlichen sind mächtig stolz auf das Erreichte. „Die Entscheidung, diese wunderschöne Landschaft 2002 zu einem Nationalpark zu machen, hat sich bewährt“, sagt Geschäftsführer Herbert Wölger und strahlt.

Szenenwechsel: die Gegend zwischen Freudenstadt und Simmersfeld im Nordschwarzwald. Schon von weitem sind am Horizont jene 14 Windräder zu sehen, die vor Jahren, als CDU und FDP noch in Stuttgart regierten, als Aufbruch ins neue Energiezeitalter galten. Vor Ort wehrten sich die Bürger vehement gegen diese stählernen Riesen, die bei Nacht mit ihren blinkenden Warnleuchten eine Art Discobeleuchtung an den Himmel werfen und den lange Zeit größten Windpark des Landes stellten. Aber inzwischen hat man sich an diese Form der Energiegewinnung gewöhnt. Dafür gibt’s ein anderes strittiges Thema: der von Grün-Rot geplante Nationalpark. Kaum eine Wiese, auf der nicht ein Schild gegen den Nationalpark steht – in der Darstellung gemacht wie die mittlerweile weltberühmten Banner der Stuttgart-21-Gegner. Der Schriftzug Nationalpark, dazu ein paar verdorrte Bäume, das Ganze durchgestrichen. Die Botschaft ist eindeutig: Wir wollen keinen Nationalpark. Oder wie es ein Förster formuliert: „Wer fährt schon gerne in den Urlaub, um abgestorbene Bäume zu sehen.“

Szenenwechsel: Zurück im Gesäuse, dem drittgrößten und zugleich „jüngsten“ österreichischen Nationalpark, der auf halbem Weg zwischen Salzburg und Wien liegt. Die Macher mit einem Jahresetat von rund drei Millionen Euro haben sich vier Schwerpunkte gesetzt: Naturschutz und Bewahrung der Artenvielfalt, Erholung und Naturerlebnis, Natur- und Umweltbildung sowie wissenschaftliche Forschung. „Wir nehmen alle Bereiche gleichermaßen ernst“, erzählt Geschäftsführer Wölger. Dabei gilt das Motto: Alle machen mit, keiner bleibt außen vor. Die sechs Nationalparkgemeinden – von Admont im Westen bis Hieflau im Osten – leben das Projekt. Vom Gasthof bis zu den Gewerbebetrieben. Ein Netzwerk sorgt für den regelmäßigen Informationsaustausch und für den Vertrieb und die Nutzung regionaler Produkte.

Risse quer durch Familien und Vereine

Szenenwechsel: wieder im Nordschwarzwald. Schon vor über 20 Jahren gab es erstmals die Idee, die Region mit ihrem reichen Waldvorkommen zu einem Nationalpark zu machen. Allein, es blieb stets bei den Plänen, weil sich niemand traute, das Projekt ernsthaft anzugehen. Auch jetzt gibt es Gegner wie Fürsprecher. Nicht selten gehen die Risse quer durch Familien und Vereine. Die Waldbesitzer fürchten die grenzenlose Ausbreitung des Borkenkäfers. Outdoor-Sport-Fans wie Skilangläufer, Wanderer und Mountainbiker haben die Sorge, dass sie künftig zum Beispiel auf dem Kaltenbronn nicht mehr grenzenlos ihrem Freizeitspaß nachkommen können, weil Wege gesperrt sind oder nicht mehr von umgestürzten Bäumen befreit werden. Und es sind nicht zuletzt die Sägewerksbesitzer, die um ihre Existenz bangen. Ihre Befürchtung: Wenn wir das Holz im Nordschwarzwald nicht mehr einschlagen dürfen, wie es von der Industrie gebraucht wird, sind unzählige Arbeitsplätze in Gefahr.

Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Alexander Bonde (Grüne) hat vergangene Woche einen Kompromiss angeboten: Die Sägewerke erhalten die Holzmengen, die der Industrie durch den geplanten Nationalpark verloren gehen, aus anderen Gebieten des Staatsforstes. „Damit ist sichergestellt, dass ein möglicher Nationalpark keine Arbeitsplätze in der Sägeindustrie und nachgelagerten Wirtschaftsbereichen kostet“, sagt er.

„Bei uns in der Steiermark gab es auch zwei Gruppen in der Bevölkerung“

Szenenwechsel: Sprung wieder hinüber in die Steiermark. Gesäuse-Geschäftsführer Wölger entdeckt in den Diskussionen, die derzeit in Baden-Württemberg geführt werden, große Parallelen zu jener Phase, als es bei ihm um die Gründung des Nationalparks ging. Nicht nur, weil beide Parks mit rund 11.000 Hektar nahezu gleich groß sind oder sein werden. „Bei uns in der Steiermark gab es auch zwei Gruppen in der Bevölkerung“, erinnert er sich. Die einen hätten das Stück wilde Natur, in das der Mensch nicht mehr ordnend eingreifen kann, regelrecht herbeigesehnt, um dem Tourismus einen neuen Schub zu verleihen. Die anderen lehnten die offizielle Ausweisung von Wildnis kategorisch ab, gründeten 1998 eine Schutzgemeinschaft und brachten die Zeitschrift „Heimat Gesäuse“ heraus. Was folgte, waren – wie derzeit im Nordschwarzwald – unzählige Veranstaltungen der Befürworter und Gegner, dazu Volksbefragungen, von der eine bis heute den Bürgern in bleibender Erinnerung ist: In Admont, einer der ältesten Siedlungen der Steiermark, wurden die Bürger im Januar 2001 zur Wahlurne gerufen. Der Bürgermeister war für den Nationalpark, die Mehrheit der Einwohner sprach sich dagegen aus. Deren Argumente ähnelten denen der Nationalpark-Gegner im Nordschwarzwald: Der Borkenkäfer werde die Wälder kahl fressen, die Wege würden nicht mehr zu pflegen sein. Der junge Österreicher Ronald Würflinger arbeitete den Widerstand später wissenschaftlich auf und kam in seiner Diplomarbeit mit dem Titel „Kultur statt verwilderte Natur“ zu dem Schluss: „Der Konflikt um die Errichtung des Nationalparks Gesäuse beruhte auf grundlegend verschiedenen Verständnissen von Natur.“ Hier diejenigen, die die Natur sich selbst überlassen wollen. Dort die anderen, die Natur auch als Ressource nutzen.

Zumindest bis jetzt, nach gut zehn Jahren Existenz des Nationalparks Gesäuse, haben sich die Sorgen der Kritiker nicht bestätigt, sagen die Fachleute vor Ort. „Den Gegnern ist die Luft ausgegangen“, sagt einer, der nicht genannt werden will. Aber er bestätigt, wie tief die Gräben damals waren. „Das ging quer durch die Bevölkerung, vom Arzt bis zum Zuckerbäcker.“ Trotz des ablehnenden Votums trat Admont ein Jahr nach Gründung dem Nationalpark bei.

Landtag entscheidet über die Einrichtung des Nationalparks

Szenenwechsel: Sprung zurück in den Nordschwarzwald. Seit Monaten haben sie in den betroffenen Gemeinderäten und Landratsämtern darum gerungen, wie sie sich (öffentlich) zum Thema Nationalpark stellen sollen. Wer sich zu früh dagegen ausspricht, verdirbt es sich nicht nur mit der Landesregierung in Stuttgart, sondern verschenkt womöglich große Entwicklungspotenziale im Bereich des Tourismus. Wer sich aber zu früh für die Vision von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und dessen Landwirtschaftsminister Bonde starkmacht, hat womöglich massive Probleme mit der eigenen Bevölkerung, den Landwirten, den Förstern und Vereinen. Was also tun? Manche Kommunen wie Bad Wildbad wollen ihre Bürger noch nach deren Meinung fragen – unabhängig von dem mit Spannung erwarteten Regierungsgutachten zum Nationalpark, das am nächsten Montag vorgestellt wird.

Viel ändern wird das aber nichts mehr. Grün-Rot hat wiederholt betont, man nehme zwar die Sorgen und Wünsche der Bürger vor Ort ernst, aber letztendlich werde der Landtag über die Einrichtung des Nationalparks entscheiden. Und dort hat bekanntlich Grün-Rot die Mehrheit. Auch in der Steiermark ging die Politik am Ende nach diesem Muster vor. Obwohl sich die lokale Bevölkerung dagegen ausgesprochen hatte, beschloss die dortige Landesregierung die Gründung des Nationalparks Gesäuse, der zum größten Teil auf dem Gelände von Staatsforst entstand. Genau so soll es auch im Nordschwarzwald sein.

Szenenwechsel: noch einmal zurück ins Gesäuse. Die Enns, sozusagen die Lebensader des Nationalparks, ist ein Paradies für Tiere und Pflanzen geworden. An ihren Ufern brüten seltene Vögel, im Wasser selbst tummeln sich Äschen, Bachforellen und sogar gefährdete Arten wie das Ukrainische Bachneunauge. Am Himmel ziehen Uhus, Wanderfalken und Adler ihre Kreise. Und auf den Wiesen blühen seltene Pflanzen wie die Zierliche Feder-Nelke oder die Dunkle Glockenblume. Die seltene Fauna und Flora bleibt nicht ohne Anziehungskraft. Während die Tourismusbranche ab Beginn der siebziger Jahre einen schleichenden Niedergang hinnehmen musste und viele Betriebe ihren Betrieb einstellten, geht es nun wieder aufwärts. Man zählt 100.000 Gästeübernachtungen pro Jahr, dazu Tausende Tagestouristen, die sich in den Erlebniszentren informieren, auf den Wanderwegen unterwegs sind oder mit dem Rad durch die Natur radeln. „Wir sind mit der Entwicklung sehr zufrieden“, sagt Geschäftsführer Wölger und versichert, niemand müsse sich die Sorge machen, ein Nationalpark sei ein hermetisch abgeriegelter Bereich: „Man kann ein solches Gelände nicht gesetzlich sperren.“ Wie aber funktioniert es dann, dass nicht mehr jeder querfeldein läuft und radelt? Seine Antwort: „Wir bitten unsere Besucher einfach darum, auf den ausgewiesenen Wegen zu bleiben. Und das funktioniert sehr gut.“

Der Fahrplan

2012 wurde das Thema Nationalpark in zahlreichen Arbeitskreisen erörtert. Dabei kamen Hoteliers genauso so zu Wort wie Unternehmer, Vertreter des Forstes ebenso wie Bürgermeister und Landräte. In der Folge stimmte ein Lenkungskreis, dem die Regierungspräsidentinnen von Freiburg und Karlsruhe, die Landräte der Landkreise im „Nationalparksuchraum“ (Calw, Freudenstadt, Ortenau, Rastatt), der Oberbürgermeister von Baden-Baden sowie Landwirtschaftsminister Alexander Bonde angehören, der Vergabe eines Gutachtens zu.

Den Auftrag erhielt die Beratungsfirma Pricewaterhouse Coopers (PwC). Vorgabe war, die Auswirkungen eines potenziellen Nationalparks im Nordschwarzwald in sozio-ökonomischer und naturschutzfachlicher Sicht zu untersuchen. Am kommenden Montag, 8. April, wird das Gutachten nun in Stuttgart durch Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Landwirtschaftsminister Bonde vorgestellt.

In der Folge sollen die Ergebnisse in der Region mit den Bürgern diskutiert werden. Auftakt ist am 9. April um 19.30 Uhr in Bad Wildbad zusammen mit dem Ministerpräsidenten. Die weiteren Termine: 16. April in Ottenhöfen (für den Ortenaukreis), 17. April in Baiersbronn (für den Landkreis Freudenstadt), 22. April in Rastatt (für den Landkreis Rastatt) und 29. April in Baden-Baden. Nach diesen Vor-Ort-Terminen wird die grün-rote Landesregierung das Thema dann weiter beraten und den entsprechenden Gesetzentwurf für den Landtag vorbereiten.