Flick findet klare Wort in Richtung Fifa Foto: AFP/Ina Fassbender

Die Politik spielt mit bei der Fußball-WM in Katar. Die Debatte um die One-Love-Binde überlagert den deutschen Auftakt gegen Japan. Wie geht das Nationalteam damit um?

Wenn Hansi Flick sich aufs Sportliche konzentriert, kann sich das sehr schnippisch anhören. Schneidend sind seine Kommandos in den ersten Tagen in der Wüste. Selbst bei einfachen Passübungen wird der Bundestrainer laut und fordert von seinen Spielern in den schwarzen Trainingsshirts die korrekte Ausführung, „Komm’ hier, wach sein“, brüllt Flick über den Trainingsplatz der DFB-Elf, als Serge Gnabry den Ball nicht zentimetergenau spielt. „Gut so“, ruft Flick, als Thomas Müller den Ball wie geplant an den Mann bringt. Ohne Bedrängnis, aus vier Metern, wohlgemerkt.

 

Rote Burg als Stadion

So ist das also, wenn sich Fußballprofis mit Weltklasseformat in kürzester Zeit auf eine Weltmeisterschaft vorbereiten müssen. Es darf nichts schiefgehen. Jeder Pass muss sitzen, jede Botschaft des Trainers ankommen. Es ist fast ein bisschen so wie in der Kreisliga: Der Trainer lobt seinen Spieler, wenn er aus kurzer Distanz einen Pass unfallfrei an den Mann bringt.

Das Ambiente des Trainingsgeländes der DFB-Delegation lädt dabei sinnigerweise dazu ein, sich abgeschottet aufs Kicken zu konzentrieren. Denn das Städtchen Al-Shamal im äußersten Norden von Katar hat eine rote Burg als Stadion. Mehrere Meter hohe Wehrmauern, drei runde Türme und ein quadratischer Turm in den vier Ecken: Die kleine Arena, in der die Nationalelf sich auf ihre WM-Spiele vorbereitet, bietet Schutz von außen, um sich drinnen dem Wesentlichen, dem Fußballspielen, zuwenden zu können.

Diese WM ist kein Wunschkonzert

Aber ist das, was da bei dieser WM in der Wüste gerade alles außerhalb der Burg passiert und von dort auf die deutsche Elf einprasselt, längst nicht viel wichtiger?

Oliver Bierhoff hat schon viele Turniere erlebt, er war Stürmer, er war Manager, inzwischen heißt er offiziell DFB-Direktor. In dieser Funktion äußerte er am Samstag in der angrenzenden Turnhalle, die als deutsches Pressezentrum dient, angesichts der politischen Dimensionen dieser WM einen frommen Wunsch: „Jetzt muss bei uns der Tunnelblick folgen aufs erste Spiel.“ Unmittelbar vor diesem ersten Gruppenspiel gegen Japan an diesem Mittwoch (14 Uhr MEZ) aber lässt sich nun sagen: Diese WM ist kein Wunschkonzert. Weil die politischen Umstände und die Fifa den Takt vorgeben.

WM in Katar so politisiert wie nie zuvor

Frei nach Bierhoff riss der Weltverband den sportlichen Tunnel im deutschen Lager mit dem Verbot des Tragens der One-Love-Kapitänsbinde und der Androhung harter Strafen endgültig wieder ein. Der Staub der veritablen Explosion vom Montag wird auch bis zum Anpfiff gegen Japan nicht verflogen sein. Er trübt nicht nur die Stimmung innerhalb der DFB-Elf. Er trübt auch den Blick aufs Sportliche.

Die WM, das war lange vor dem Turnierstart klar, ist angesichts der Menschenrechtslage in Katar so politisiert wie nie zuvor. Jetzt, nach den ersten sechs Tagen in der Wüste, wissen auch die Strategen des DFB, welche Kräfte da auf sie einwirken können. Und welche Kräfte und Körner sie selbst auf dem politischen Spielfeld lassen.

Die Politik steht auf dem Platz, sie spielt mit

Wie fließend die Übergänge vom Sport zur Politik sind, wurde am späten Montagnachmittag deutlich. Da schritten Bierhoff und der DFB-Präsident Bernd Neuendorf auf den Trainingsplatz der Mannschaft. Ihr Gang glich einem Trauermarsch. Die Köpfe waren gesenkt, die Mienen versteinert. Und so formulierten Bierhoff und Neuendorf dann in der deutschen Trutzburg ihre Replik an die Fifa im Fall der One-Love-Binde. Sie standen dabei auf Höhe der Eckfahne auf dem Platz. Am Ende sagte der DFB-Mediendirektor Steffen Simon, dass die Spieler, die längst da waren, jetzt trainieren müssten – und beendete so die spontan einberufene Medienrunde. Die Politik steht auf dem Platz. Sie spielt mit. So ist das bei dieser WM in der Wüste.

Klagt der DFB?

Erschwerend hinzu kommt aus der Innensicht des DFB-Trosses, dass aus der Heimat jetzt kaum noch irgendeine Art von Rückhalt für die Mannschaft da ist. Eingeknickt sei die DFB-Elf in der Frage der One-Love-Binde, kein Rückgrat habe sie gezeigt. Gar feige seien die Profis im Umgang mit der Fifa: Solche Dinge müssen die Verantwortlichen und die Spieler nun hören und lesen vor ihrem Auftakt gegen Japan. Ebenso wie die Nachricht, dass der Supermarktriese Rewe seine Werbekooperation mit dem DFB mit sofortiger Wirkung beendet.

Ob der laut „Bild“ geplante Gang des DFB vor den Internationalen Sportgerichtshof zu einer Stimmungsaufhellung in der Heimat beiträgt, ist fraglich – der Verband will offenbar einen Rechtsschutz für das Tragen der One-Love-Binde erlangen.

Auch 2018 lag ein Schatten über dem deutschen Team

Rückenwind aus Deutschland war bei dieser hochumstrittenen WM ohnehin kaum zu erwarten. Jetzt gibt es pünktlich zum Auftakt teils heftigen Gegenwind von zu Hause – der auch am Ende der Welt ankommt, im Teamhotel mitten in der katarischen Pampa, wo außer dem Meer, Wüstensand und einer kleinen, schmalen Zufahrt drumherum nicht viel da ist. Und wo es drinnen neben leckerem Essen und einer riesigen Poollandschaft auch ein stabiles WLAN-Netz gibt, sodass all die Kommentare aus Deutschland seit Montag schnell in den Zimmern ankommen und keine Freudensprünge auslösen.

So erinnert einiges ein bisschen an die Tage vor dem WM-Auftakt 2018, als ebenfalls ein Schatten über dem deutschen Team lag. Auch in Russland war die Stimmung damals gedämpft, sie war sogar mies – der Fall war aber anders gelagert: Das Foto der Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Despoten Recep Erdogan und das miserable Krisenmanagement des DFB überlagerten den Fokus aufs Sportliche. Das Ende vor vier Jahren ist bekannt: Nach der Vorrunde ging es nach Hause.

Goretzka foppt Müller

So weit muss es jetzt in Katar nicht kommen. Denn es gibt ja auch die Bilder, die sich komplett von jenen von vor vier Jahren in Russland unterscheiden. Die anders sind als damals in der Einöde vor den Toren Moskaus. Denn in diesen ersten Tagen in Katar blüht zumindest der Flachs auf dem Trainingsplatz. So foppt Leon Goretzka den Kollegen Thomas Müller („Ey, Müller, laber‘ nicht so viel, fang an zu kicken“), ehe Müller zurückfoppt. Die Spieler nehmen sich spontan huckepack und johlen dabei, solche Dinge passieren. All das wirkt echt und nicht aufgesetzt. Es sind fröhliche Bilder, die es vor vier Jahren auf dem Kasernentrainingsplatz von ZSKA Moskau nicht gegeben hat.

Die DFB-Elf versucht den Spagat

Kann man das also: Spaß haben, obwohl allgemein so viel Ernst über dieser WM liegt? Die DFB-Elf versucht diesen Spagat, und bisher schafft sie ihn. Zumindest auf dem Platz.

Am Dienstag nun gab es einen Ortswechsel, es ging raus aus der Öde und rein nach Doha, wo der deutsche Tross rund ums Spiel gegen Japan logiert. Am Abend gab der Bundestrainer Flick seine erste Pressekonferenz in Katar, und man durfte gespannt sein, wie er auf die One-Love-Debatte reagiert.

Flick betrat um 18.18 Uhr Ortszeit das Podium – und fand deutliche Worte: „Ich finde es schade, dass man für Menschenrechte nicht mehr einstehen darf“, sagte der 57-Jährige. Auch die Spieler, so Flick weiter, seien „sehr, sehr unzufrieden und geschockt, dass so etwas nicht machbar ist, weil es ein Zeichen ist für Menschenrechte und Vielfalt.“ Was die Themen „Wertschätzung und Respekt“ angehe, gebe es bei der WM „mehrere Parteien, die das nicht so sehen“. Flick meinte damit, klar, die Fifa und die katarischen Gastgeber.

Auch auf dem Podium kann der Bundestrainer also schneidende Ansagen machen.