Mit klarer Botschaft beim ersten Nationalmannschaftsauftritt: Deniz Undav, der nur ein Kind mit einem Traum ist Foto: dpa/Arne Dedert

Der Stürmer tritt auch bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft forsch auf, doch ein Länderspieldebüt würde den Preis für den VfB Stuttgart weiter steigen lassen.

Deniz Undav hat seine Botschaft gleich mitgebracht. Auf einem Kapuzenpulli. Er sei nur ein Junge mit einem Traum („I’m just a kid with a dream“) stand auf dem Kleidungsstück zu lesen, als er erstmals in den Kreis der deutschen Fußball-Nationalmannschaft trat. Am vergangenen Montag war das. Drei Tage später fühlt sich der Stürmer des VfB Stuttgart in Frankfurt immer noch wie im Wunderland. „Der Spruch passt perfekt“, sagt er.

 

Eine schier unglaubliche Entwicklung liegt hinter Undav – und er kann es manchmal selbst nicht fassen, dass er nun den Ball von Toni Kroos zugespielt bekommt. Von der Regionalliga hat er sich über die zweite belgische Division zunächst in die englische Premier League und danach in die Bundesliga geschossen. Beim VfB startete der Spätzünder schließlich durch. Die Geschichte ist zuletzt oft erzählt worden, weil ein solcher Karriereweg nur noch selten gelingt.

Über den dritten Bildungsweg

Nationalspieler kommen heutzutage aus edlen Nachwuchsakademien in die A-Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) – und nicht wie Undav über den dritten Bildungsweg, der ihn über Meppen und St. Gilloise geführt hat. Mehrfach stand Undav sogar davor, den Berufssport abzuhaken. Dass der 27-Jährige den Umweg gegangen ist, spricht für das Durchhaltevermögen und den Charakter des Deutsch-Türken („Deutschland ist immer meine Option A gewesen und die Türkei die Option B“). Denn Undav ist eine Art Stehaufmännchen. Weder die Tatsache, dass er schon früh in der Jugend des SV Werder Bremen ausgemustert wurde, noch die körperlich deutlich robusteren Verteidiger haben ihn vollends umwerfen können.

Der Angreifer ist bei sich und seinem Spiel geblieben. Undav ist jemand, der die Welt nicht so kompliziert sieht. Sein Herz trägt er auf der Zunge, wie er auf dem Podium im DFB-Campus an der Seite von Niclas Füllkrug erneut bewiesen hat. Nie ist er um einen Spruch verlegen und immer für einen Spaß zu haben. „Ich habe keine Kampfansage“, sagt der Neuling mit Blick auf den Nebenmann, „ich versuche dem Team zu helfen und gute Laune reinzubringen. Dieser frische Wind ist wichtig“, sagt Undav über seine Rolle in der Nationalmannschaft.

Auch diese Unbekümmertheit hat ihn zu einem Publikumsliebling werden lassen. Vielmehr jedoch die Aktionen auf dem Platz. 14 Ligatreffer in 22 Einsätzen sind stark, sieben Torvorlagen vervollständigen die beeindruckende Bilanz. „Deniz ist sehr talentiert zwischen den Linien, bewegt sich viel im Zehnerraum, hat ein sehr sauberes Passspiel. Er hat immer den Drang nach vorne. Da hat er seine großen Stärken – und ein Näschen dafür, wo der Ball runterfällt“, sagt Füllkrug über seinen Konkurrenten im DFB-Trikot, aber auch: „Wir sind zwei Quatschköpfe.“

Die Spielertypen unterscheiden sich jedoch, weshalb sie der Bundestrainer Julian Nagelsmann ergänzend sieht. Füllkrug sei ein „überragender Wandspieler“, meint Undav. Bei dem Dortmunder brauche man „keine Angst zu haben, dass er den Ball verliert“. Forsch bleibt das Schlitzohr dabei nicht nur in seiner Spielweise, sondern ebenso in der Beschreibung des etablierten Kollegen. „Sein Torabschluss ist sehr gut“, ergänzt Undav augenzwinkernd, „aber nicht so gut wie meiner – nein, Spaß.“

Vielleicht erst mal nur auf der Bank

Trotz ihrer Abschlussqualität könnte es jedoch gut sein, dass die beiden Stürmer am Samstag (21 Uhr/ZDF) in Lyon gegen Frankreich erst einmal auf der Bank Platz nehmen. Nagelsmann hat zunächst offenbar anderes im Sinn, als einen klassischen Mittelstürmer aufzubieten. Kein Problem, betont Füllkrug. „Meine Position in der Mannschaft hat sich nicht verändert“, sagt der 31-Jährige vor der Heim-EM, „manchmal spiele ich von Beginn an, und manchmal komme ich von der Bank.“

Undav fiebert dagegen seinem Debüt im Nationaltrikot entgegen. Egal, ob es gegen den mit Stars gespickten Vizeweltmeister aus Frankreich oder am Dienstag (20.45 Uhr/RTL) in Frankfurt gegen die Niederlande geht. „Wenn ich spielen darf, bin ich glücklich“, sagt der Stuttgarter, dessen Marktwert mit Länderspieleinsätzen steigt – ebenso wie der Preis, den der VfB zu zahlen hat, wenn er die Kaufoption für die Leihgabe von Brighton & Hove Albion wahrnimmt.

Schon jetzt beläuft sich die mögliche Transfersumme auf etwa 15 Millionen Euro für Undav, da ihn seine Leistungen aufgrund der vereinbarten Extras mit dem englischen Stammverein teurer haben werden lassen. Denn je erfolgreicher der VfB spielt, desto kostspieliger wird der Mann mit der Rückennummer 26 (VfB und DFB). Anders herum ist es aber auch so, dass ohne Undav die Stuttgarter wohl nicht auf dem dritten Tabellenrang stünden und um die Qualifikation für die Champions League spielen würden. Der Einzug in die Königsklasse wäre dann der nächste wahrgewordene Traum für das ewige Kind im Körper des gelernten Maschinenführers aus dem niedersächsischen Varel.