Es ist nicht immer leicht, die Bedürfnisse nach Nähe oder Distanz in eine Balance zu bringen, dass sich beide wohlfühlen. Wie innig muss eine Partnerschaft sein – und wann wird sie zu eng?
Frieda und Rudi sind fast immer zusammen unterwegs. Alina und Amir tanzen dagegen ständig auf verschiedenen Hochzeiten. Verstehen sich Frieda und Rudi vielleicht besser als Alina und Amir? Führen sie sogar eine intensivere Beziehung?
Antworten lassen sich da nicht aus den Ärmeln schütteln. Denn jedes Paar muss das richtige Maß an Nähe und Distanz, mit dem sich beide Partner hinreichend wohlfühlen, selbst finden.
Eine Partnerschaft braucht beides: Nähe und Distanz. Intensiv aufeinander einzugehen, vermittelt Sicherheit. Ein gewisser Abstand voneinander hilft dagegen, wieder zu sich zu finden. „Manchmal ist eine Zeit der Distanz nötig, um Erlebnisse zu verarbeiten und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Nähe zum Partner lässt sich dann oft bewusster und leichter eingehen“, erklärt der Hamburger Paartherapeut Thomas Prünte, Autor des Ratgebers „Brücken bauen“.
Sowohl die Nähe als auch die Distanz beinhalten allerdings nicht nur Chancen, sondern auch Risiken. „In der Distanz können wir den Kontakt zueinander verlieren“, sagt Thomas Prünte. „Und in der Nähe besteht die Möglichkeit, Eigenständigkeit einzubüßen.“ Menschen in Beziehungen spüren all diese Gefahren. Während die einen sich vor zu viel Nähe fürchten, quält die anderen die Sorge, verlassen zu werden, sobald der Partner auf Distanz geht.
Problematisch wird es aber meist, wenn eine Person tendenziell mehr Zuwendung und Gemeinsamkeit braucht, während die andere öfter auf Abstand geht. Dann kann ein schwieriger Kreislauf beginnen, in dem sich eine Person umso mehr zurückzieht, je mehr die andere klammert. Was lässt sich tun, um ein Gleichgewicht zu finden?
Tipp 1: Beide Bedürfnisse sind gleichwertig
„Nähe wird manchmal glorifiziert“, erklärt Thomas Prünte. „Doch das Bedürfnis nach Nähe ist nicht höherwertiger als das Bedürfnis nach Distanz.“ Deshalb ist es auch nicht einklagbar. Im Gegenteil: Vorhaltungen und Forderungen machen dem Partner Druck, der ihn noch mehr in Abstand treiben kann. Hilfreicher ist es, Interesse zu zeigen und nachzufragen, wozu der Partner Distanz benötigt oder warum er sich mehr Nähe wünscht.
Tipp 2: Wertschätzende Kommunikation
„Lassen Sie einfach weg, was den Partner ängstigt – und was damit zur Distanzierung oder zum Klammern beiträgt“, formuliert Thomas Prünte einen seinen wichtigsten Tipps für die Partnerschaft. Dazu gehören verletzende Handlungen wie Nichtbeachtung, Vorwürfe, Beleidigungen, Anordnungen und Drohungen. Wer dagegen interessiert zuhört, offene Fragen stellt, für zugewandte Körpersprache und Blickkontakt sorgt, eigene Gefühle und Bedürfnisse mitteilt und Wertschätzung ausdrückt, trägt zu einer guten und offenen Atmosphäre bei – und vermittelt Sicherheit und Verbundenheit. Genau diese Verbundenheit lässt innere Ruhe einkehren. Sie hilft, gemeinsam Strategien zu finden, die mal für Nähe, mal für Distanz sorgen.
Tipp 3: Offenheit
„Der Schlüssel für eine gute Balance in der Beziehung liegt darin, die eigenen Bedürfnisse, Ängste und Emotionen sichtbar zu machen“, so Thomas Prünte. „Wer weiß, was das Gegenüber fühlt und braucht, warum es alleine unterwegs sein möchte oder Nähe braucht, muss nicht mehr im Nebel herumstochern. Das löst zwar nicht alle Probleme, hilft aber bei der Orientierung. Zu wissen, woran man ist, gibt mehr Halt als Unwissenheit.“
Tipp 4: Gefühlsmanagement
Der Partner ist innerlich oder äußerlich meilenweit von Ihnen entfernt, was bei Ihnen belastende Ängste auslöst? „Es ist möglich, innere Spannungen selbst zu regulieren“, weiß Thomas Prünte. „Das ist am Anfang nicht ganz leicht, doch es lohnt sich.“ Dabei gehe es darum, dem ängstlichen Teil in sich Aufmerksamkeit zu schenken und mit ihm zu sprechen, wie gute Eltern es tun würden.
„Wichtig ist, sich auf das Ausatmen zu fokussieren und sich beruhigende Bilder von guten Orten und Menschen wachzurufen“, erklärt Thomas Prünte. „Und last but not least: Machen Sie sich klar, was Sie auch ohne den Partner zu einem wertvollen Menschen macht, und würdigen Sie die eigenen Fähigkeiten.“
Tipp 5: Vertraute Menschen
Druck ablassen und auch mal über den Partner oder die Partnerin schimpfen – das ist mit unbeteiligten Dritten möglich. Freundinnen, Familienmitglieder, Therapeuten oder Seelsorgerinnen können zudem auch durch eine andere Perspektive ein neues Licht auf die Paarprobleme werfen.
Tipp 6: Reflexion
Ist es in Ordnung, gern ohne seinen Partner zu sein, nicht ständig anregende Unterhaltungen mit ihm zu führen oder nur noch alle paar Monate Sex zu haben? Die Antwort ist einfach: Was sich gut und richtig anfühlt, ist gut und richtig. „Ich vermute, wir haben einen inneren Seismografen, der genau anzeigt, ob man genug Nähe bekommt oder ausreichend Distanz hat“, so Thomas Prünte. „Wir können erst reagieren, wenn er ausschlägt.“
Genauso wie es schön sei, viel gemeinsam zu unternehmen, könne es erfüllend sein, gemeinsam Langeweile zu entdecken oder eigene Wege zu gehen. Das hängt von den Lebensphasen ab, in denen man sich befindet. Die einen haben eine Fernbeziehung, andere sind bereits seit Jahrzehnten ein Paar, haben gerade ein Baby bekommen oder machen Phasen hormoneller Umstellungen durch. Solche Faktoren wirken sich unterschiedlich auf die Bedürfnisse nach Nähe und Distanz aus.
Tipp 7: Spurensuche
Nicht immer liegt die Ursache für die eigenen negativen Gefühle im Verhalten des Partners, sondern in Verlust- und Bindungsängsten. „Spurensuche ist wertvoll!“, betont deshalb Thomas Prünte. Kann es sein, dass die Intensität meiner Gefühle in meiner Beziehung eine Geschichte hat? Sich diese Frage zu stellen, ist sinnvoll.
Denn wenn alte schmerzhafte Erfahrungen das Vertrauen in andere Menschen erschüttert haben, dann distanziert oder klammert jemand, um neue Verletzungen zu vermeiden. Das Verhalten des Partners kann also der Auslöser für Gefühle sein, die in der Vergangenheit liegen.