Immer positiv – so kennt man Fritz Rau, der in mehr als 50 Jahren Foto: dpa

Mehr als 50 Jahre prägte der gebürtige Pforzheimer Fritz Rau als Veranstalter die internationale Konzertlandschaft mit. Er holte die Rolling Stones ebenso nach Deutschland wie Jimi Hendrix. Von Haus aus Jurist, engagierte er sich auch gegen Atomkraft und Aufrüstung.

Start mit Mangelsdorff

Als Mann hinter der Bühne Musikgeschichte mitgeschrieben zu haben – wie oft hat Fritz Rau diesen Satz wohl gehört? Geantwortet hat er immer mit der Souveränität größten Respekts vor denen, „um die es doch eigentlich geht“, die Musiker auf der Bühne. „Vielleicht“, so sagte es Fritz Rau vor 20 Jahren unserer Zeitung, „ist meine Tätigkeit die Rache des Untalentes am Talent. Aber im Ernst, ich bin begeistert von potenten Künstlern; wenn ich sie erlebe, ist das für mich Weihnachten, Fasching und Silvester zusammen. Ein Chorus von Eric Clapton, ein Blues von Rod Stewart oder Tina Turner, davon bekomme ich immer noch Gänsehaut.“

Schon der Beginn ist ein Wagnis. 1955 veranstaltet Fritz Rau sein erstes Konzert. Es ist der 2. Dezember. Der Jurist hat mit geliehenem Geld die Stadthalle in Heidelberg gemietet. Die Jazzmusiker Albert und Emil Mangelsdorff sollen auftreten. Der Abend ist ausverkauft – und Fritz Rau hat das gefunden, was man mitunter etwas leichtfertig Berufung nennt. Unter den Besuchern an jenem Dezemberabend ist auch Horst Lippmann. Drei Jahre älter als Rau, hatte der Jazz-Schlagzeuger 1953 das Deutsche Jazzfestival in Frankfurt gegründet.

Partner von Horst Lippmann

Horst Lippmann engagiert Rau, um Tourneen für den US-amerikanischen Veranstalter Norman Granz realisieren zu können. „Damit“, sagte Rau später, „öffnete mir Horst Lippmann die Pforten zum Paradies, denn bald begegnete ich nun Ella Fitzgerald, Oscar Peterson, Dizzy Gillespie und all den anderen, die ich wie Götter verehrte.“ Er wird Tourneeleiter für Duke Ellington, John Coltrane und Miles Davis – und 1964 schließlich werden Lippmann und Rau ganz offiziell Partner der gleichnamigen Konzertagentur.

Der Blick geht weiter in die USA. Lippmann und Rau interessieren sich für den Blues. Ihr American Folk and Blues Festival bringt Memphis Slim, John Lee Hooker und Willie Dixon nach Deutschland, aber auch nach Österreich, in die Schweiz, nach Frankreich und nach England. Als das Festival in Manchester stattfindet, fallen Fritz Rau „komisch und wild aussehende junge Leute aus London“ auf, die „in den Garderoben rumhingen“. Mick Jagger, Keith Richards und Brian Jones, die kurz darauf die Rolling Stones gründen, sind dabei, aber auch Jimmy Page, der mit den Yardbirds und Led Zeppelin bekannt wird. Rau will die ungebetenen Gäste loswerden, später ist er es, der sie auf die ganz großen Bühnen bringt. „Du bist der Pate von uns allen!“, notiert Stones-Sänger Jagger denn auch einmal für Fritz Rau.

Engagement für die Grünen

Vaterfigur? Spätestens in den 1980er Jahren nimmt Rau diese Rolle für „meine Musiker“ an. Immer wieder pocht er dabei auf einen eigenen Weg. Dieser führt ihn auch zu einem Engagement für eine neue politische Gruppierung in der Bundesrepublik Deutschland – die Grünen.

Rau bringt die „Grüne Raupe“, die von Großkonzerten begleitete Wahlkampagne der Grünen zur Bundestagswahl 1983, mit auf den Weg. Warum er sein Engagement beendet? „Weil man“, wie Rau unserer Zeitung sagt, „die Politiker wegen ihrer Argumente wählen soll, nicht wegen der Qualität ihrer Sänger.“ Und weiter: „Als ich mich für die Grünen engagierte, ging es darum, einer Bewegung Gehör zu verschaffen. Ich wollte dabei helfen, dass dieser Stoßtrupp der Fantasie in den Bundestag kommt. Es ging nicht um politische Macht, sondern um die Zukunft meiner Enkel.“

Die Raupe erreicht 1983 den Bundestag tatsächlich – mit 5,6 Prozent Wählerstimmen. Und Rau feiert einen weiteren stillen Triumph hinter der Bühne. Mit Hage Hein, Münchner Veranstalter der Alternativszene, der seine Agentur als Verballhornung der aus seiner Sicht kommerziellen Ausrichtung von Lippmann und Rau Shitman & Blau nennt, organisiert er eine Tournee von Ton Steine Scherben mit Rio Reiser.

Der große Erzähler

2006 treffen wir Fritz Rau in Stuttgart, gerade ist sein Buch „50 Jahre Backstage“ erschienen. „Am Anfang war der Blues – und nicht das Geld“, sagt Rau. Der große Erzähler, der Rau längst auch ist, wird lauter bei Namen wie Mick Jagger oder Eric Clapton, unterstreicht, indem er die Hand zur Faust ballt. Für „Sex, Drugs and Rock’n’Roll“ hat Rau wenig übrig. Viel eher für „Blood, Sweat and Tears“: Herzblut, Angstschweiß vor einer Tournee, Freudentränen, wenn alles gut gegangen ist. „Ich habe das Buch für meine Enkel geschrieben, mit einer Auflage von sieben Stück“, sagt Rau. „Und plötzlich wird das gekauft – und ich habe 120 Lesungen im Jahr.“

2004 zieht sich Fritz Rau als Veranstalter zurück – sein letzter großer Wurf ist Peter Maffays „Tabaluga und Lilli“. Beim Start 1994 durchaus ein Wagnis. Rau aber sagt: „In unserer Ellbogengesellschaft gilt oft nur Beißen, Kratzen, Spucken, Treten.“ Und: „Tabaluga ist eine Verschnaufpause, die Erfüllung eines Traums und die tollste Produktion, die ich in 40 Jahren als Veranstalter betreuen durfte.“ Knapp sechs Millionen Euro kostet das Spektakel, dessen Erfolg Maffay zu weiteren Tabaluga-Projekten bringt.

Das Staunen bleibt

2006, mit 76 Jahren, wechselt Fritz Rau noch einmal die Perspektive. Er lehrt an der Musikhochschule Frankfurt im Studiengang Kulturmanagement. Und er mahnt: „Die alten Zeiten darf man nicht vergessen, um die heutigen besser zu verstehen.“ Die „alten Zeiten“, das sind für Rau vor allem die 1960er und 1970er Jahre, Ereignisse wie das Open-Air-Konzert von Eric Clapton und Bob Dylan auf dem ehemaligen Reichsparteitaggelände in Nürnberg („Es war Magie“), und immer wieder kommt das Staunen zum Ausdruck. Etwa, wenn er über Jimi Hendrix, den mit nur 27 Jahren 1972 gestorbenen US-amerikanischen Gitarristen und Rock-Erneuerer, sagt: „Jimi Hendrix ist der Ikarus des Blues. Jimi hat den Blues in die Stratosphäre gebracht und kam der Sonne zu nahe.“ Bei Fritz Rau ist denn auch ein Lachen erlaubt, als er sich 2006 erinnert, dass Hendrix einst in Stuttgart keinen großen Gefallen am „Soulfood“ fand, den Linsen, Spätzle und Saitenwürstchen.

Eine „Bettgeschichte“ hat Rau seinerzeit doch noch auf Lager. Während einer Tour 1960 wird er krank und geht früh ins Bett. „Da stand in einem wunderbaren Morgenmantel Marlene Dietrich vor mir“, schwärmt er. „Sie schwebte auf mich zu und rieb mir die Brust mit Wick Vaporub ein.“

Am Dienstag ist Fritz Rau im Alter von 83 Jahren in Kronberg bei Frankfurt gestorben. Was bleiben wird? Die Erinnerung an einen wahren Schrittmacher, einen Ermöglicher, an einen auch, der aus Sicht nicht weniger Wegbegleiter nicht selten oft sehr viel wagte. Er realisiert Deutschland-Premieren der Doors mit Jim Morrison, von Jimi Hendrix oder auch der seinerzeit experimentellen Jethro Tull, aber auch das einzige Deutschlandkonzert von Janis Joplin.

Staunender ist Fritz Rau auch bei seinem 80. Geburtstag. Mit 2500 Gästen feiert er in der Frankfurter Alten Oper. Die „Familie Fritz Rau“ trotzt dem Haifischbecken Showgeschäft auf ihre Weise. Und Laudator Wolfgang Sandner würdigt Rau mit den Worten: „Er ist nie selbst ein Hai gewesen. Aber er war so clever wie ein Hai.“