In Freiburg sind viele Menschen auf die Straße gegangen. Foto: dpa

Nach der Gruppenvergewaltigung einer jungen Frau erhält der Oberbürgermeister der Studentenstadt Morddrohungen. Innenminister Strobl hat angekündigt, mit der Polizei über weitere Sicherheitsmaßnahmen zu beraten. Derweil demonstriert die AfD – und ihre Gegner.

Freiburg - Gestern Abend in der Freiburger Altstadt: Polizeipferde und Einsatzfahrzeuge blockieren die Straßen. Obwohl es in Strömen regnet, haben sich mehrere Hundert Menschen versammelt. Auf der einen Seite: die AfD. „Grenzen schützen, Leben retten“, steht auf ihren Bannern. Etwa 300 ihrer Anhänger marschieren Richtung Rathaus. Sie rufen „Merkel muss weg“. Auf der anderen Seite: mehr als 1500 Gegendemonstranten, die mit Trillerpfeifen, Sprechchören und Gesang gegen die „Instrumentalisierung des Verbrechens“ protestieren. Es ist laut und unübersichtlich – an manchen Stellen trennen nur wenige Meter die beiden Gruppen.

Der Grund der Kundgebung ist ein Verbrechen, das sich in der Nacht zum 14. Oktober zugetragen hat. Nach einem Discobesuch wurde eine 18-jährige Studentin vergewaltigt. Mindestens acht Männer zwischen 19 und 29 Jahren sollen sich an der jungen Frau vergangen haben, darunter sieben Syrer und ein Deutscher. Inzwischen sitzen die Tatverdächtigen in Untersuchungshaft. Wie genau der Tathergang ablief und ob die Frau zuvor mit Drogen wehrlos gemacht wurde, soll die 13-köpfige Sonderkommission „Club“ herausfinden. Laut Polizei gibt es bislang keine neuen Erkenntnisse.

Obwohl die Ermittlungen noch laufen, scheinen einige Menschen ihr Urteil bereits gefällt zu haben. „Wieder hat die Politik der offenen Grenzen das Leben einer jungen Frau zerstört“, schrieb der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Hess auf Facebook. AfD-Parteichef Jörg Meuthen fordert gar eine „Ausgangssperre für Asylbewerber“.

Hätte die Tat verhindert werden können?

Politisch brisant ist der Freiburger Fall auch aus diesem Grund: Gegen den mutmaßlichen Haupttäter soll bereits vor der Tatnacht ein Haftbefehl vorgelegen haben. Warum er nicht vollstreckt wurde, will die Polizei nicht erklären. Stattdessen verweist das Polizeipräsidium ans Landesinnenministerium – das wiederum „polizeitaktische Gründe“ anführt. „Die Polizei wollte noch mehr Beweise zu weiteren Straftaten sammeln, bevor der Haftbefehl vollzogen wird“, erklärt ein Sprecher. Um welche Straftaten es sich dabei handelt, dazu wollte sich das Innenministerium nicht äußern. Die Frage aber steht im Raum: Hätte die Vergewaltigung verhindert werden können, wenn die Polizei zumindest einen der Männer vorher verhaftet hätte?

Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos) äußerte sich bereits kurz nach Bekanntwerden der Tat auf Facebook. „Es gibt keinerlei Toleranz für solche abscheulichen Verbrechen“, schrieb Horn. Zugleich warnte er vor Pauschalisierungen. „Die meisten Menschen, die Schutz suchend zu uns gekommen sind, wollen gut und in Sicherheit in unserer Stadt leben, wie alle anderen auch.“ Horn ahnte offenbar, welche Reaktionen sein Statement auslösen würde. „Wir werden gegen diskriminierende oder beleidigende Kommentare vorgehen“, fügte er wohl auch deshalb hinzu. Doch kaum war der Text veröffentlicht, wurde Horn verbal attackiert. Im Minutentakt hagelte es Beleidigungen, viele rechtsradikal, darunter mehrere Morddrohungen.

Kriminalpolizei ermittelt wegen Postings auf Horns Facebook-Profil

Am Montag ist Horn noch immer sichtbar gezeichnet von den Ereignissen. Das Telefon steht kaum still, auf Facebook und über E-Mail erhält er viele Nachrichten. „Das ist ein unfassbares Verbrechen“, sagt Horn. „In Freiburg gibt es keinen Raum für Straftäter, aber auch nicht für die, die dieses Verbrechen instrumentalisieren.“ Für den 33-Jährigen, der erst im Mai in sein Amt gewählt wurde, ist der Vorfall die erste große Herausforderung. „Es ist traurig, dass wir nun über mich sprechen und nicht über diese abscheuliche Tat“, sagt Horn. Aber er will auch nicht verschweigen, dass auf seinem Facebook-Profil Fotos mit Hitlergruß aufgetaucht sind. In einigen Fällen ermittle bereits die Kriminalpolizei.

Es ist nicht das erste grausame Verbrechen, das Freiburg in jüngster Zeit erschüttert. Erst im März wurde der Geflüchtete Hussein K. wegen des Sexualmords an der Studentin Maria L. zu lebenslanger Haft verurteilt. Der „Dreisam-Mord“ – verübt im Oktober 2016 am Fluss Dreisam – hatte bundesweit Aufsehen erregt. Kurze Zeit später war die Joggerin Carolin G. im nahe gelegenen Endingen ermordet worden, ebenfalls ein Sexualdelikt. Die beiden Morde hatten das Sicherheitsgefühl in der beschaulichen Studentenstadt empfindlich getroffen.

Innenminister Strobl will über weitere Maßnahmen beraten

Seither hat sich in Freiburg einiges getan. Das Land schickte mehr Polizisten auf Freiburg. Die Stadt ließ Hecken zurückschneiden, dunkle Ecken besser ausleuchten und gründete einen kommunalen Vollzugsdienst, der die Polizei entlasten soll. In Zukunft sollen mehrere Kriminalitätsschwerpunkte zudem per Video überwacht werden. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) sagte indes der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die Sicherheitslage in Freiburg solle noch einmal geprüft werden. „Selbstverständlich werden wir mit der Stadt Freiburg und der Polizei vor Ort über Maßnahmen beraten, wie wir die Sicherheitslage weiter verbessern können.“