Noch bevor Karl Lauterbachs Krankenhausreform greift, wollen die Politik und die Geschäftsführung des Klinikverbundes zukunftsfähige Strukturen schaffen. Den Kürzeren ziehen dabei die kleineren Häuser.
Der Landrat beeilte sich, die Wogen zu glätten: „Es gibt keine Gewinner und Verlierer“, beschwor Roland Bernhard die Runde. „Es geht allein um die Patienten.“ Die beruhigenden Worte des Aufsichtsratsvorsitzenden des Klinikverbundes Südwest waren nötig. Selbst in der Pressekonferenz, die am Donnerstagnachmittag eilends einberufen worden war, machten sich angesichts der verkündeten Neuigkeiten Emotionen breit.
Die hatten es in sich: Das Krankenhaus in Herrenberg soll den 24-Stunden-Betrieb verlieren. Das würde auch das Aus für den mit gut 1000 Geburten im Jahr sehr erfolgreichen Kreißsaal bedeuten – bis dato ein Aushängeschild des Krankenhaus im Gäu.
Gewinner sind Böblingen und Nagold
Die Vorschläge der Hamburger Beratungsgesellschaft Lohfert & Lohfert, die vom Klinikverbund mit einer Analyse der Kliniklandschaft in den Kreisen Böblingen und Calw beauftragt wurde, betreffen nicht nur Herrenberg. In Leonberg soll die Gynäkologie mittelfristig geschlossen werden – und damit die Geburtshilfe, die erst vor einem Jahr mit einem hebammengeführten Kreißsaal ausgestattet wurde und so an Attraktivität gewonnen hat.
Geht es nach den Gutachtern, wird es im Klinikverbund Geburten nur noch im künftigen Flugfeldklinikum bei Böblingen und im Krankenhaus in Nagold geben. Diese beiden Häuser wären, bleibt man im Bild der Gewinner und Verlierer, die Gewinner.
Am Flugfeld soll ein Hospital im Stil einer Uniklinik entstehen, in der nahezu alles gemacht wird, vor allem die komplexen Eingriffe. Der Standort Nagold wird nach den Plänen zum medizinischen Zentrum im Nordschwarzwald ausgebaut, mit einer erweiterten Gynäkologie und der Schlaganfallbehandlung – ein wichtiges Kriterium für das Leistungsprofil eines Krankenhauses.
Die Aufwertung Nagolds ist offenbar auch ein Weg, um die Einheit des Klinikverbundes sicherzustellen, der von den Kreisen Böblingen und Calw getragen wird. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die beiden Chefs Roland Bernhard und Helmut Riegger nicht immer einer Meinung sind. So soll der Calwer Behördenchef Riegger laut darüber nachgedacht haben, dass es ja eine Lösung auch ohne den Kreis Böblingen geben könne.
Gefäßchirurgie wird in Leonberg erweitert
Diese Gefahr scheint aus dem Weg geräumt. Beim Verkünden des Gutachtens zeigten sich beide Landräte einträchtig. Wann aber die Ziele in die Tat umgesetzt werden, das ist nicht wirklich absehbar. Alexander Schmidtke spricht von einem Zeitfenster von rund fünf Jahren, eventuell länger. Ein Gespräch des neuen Chefs des Klinikverbundes Südwest mit unserer Zeitung hatte dieser Tage für Aufsehen gesorgt, weil Schmidtke „ein völlig neue Denke“ einforderte und das mit der Trennung von bisher verdienten Mitarbeitern unterstrichen hat.
Dass alles mit der Inbetriebnahme des Flugfeldklinikums zusammenhängt, ist offensichtlich. Vom bisher genannten Jahr 2026 ist nicht mehr die Rede. Dass es länger dauern dürfte, zeigt der Umstand dass die Gefäßchirurgie aus Sindelfingen schon im Oktober nach Leonberg verlegt werden soll.
Damit wird das dortige jetzt schon zertifizierte Zentrum für Gefäßchirurgie weiter aufgewertet und bietet für die Patienten in Leonberg eine „größere spezialisierte Abteilung“. Im Sindelfinger Krankenhaus wiederum entstünden „freie OP-Kapazitäten und Entwicklungsmöglichkeiten für andere Abteilungen“. Den finanziellen Hintergrund verschweigt Alexander Schmidtke nicht: „Die Zusammenlegung leistet einen wichtigen Beitrag zur Ergebnisverbesserung, die der Klinikverbund dringend benötigt“. Der Geschäftsführer befürchtet ein Defizit von 70 Millionen Euro im laufenden Jahr.
Darm- und Bauchchirurgie als Schwerpunkt
Steht irgendwann die Klinik am Flugfeld, soll eine „eingespielte und weiterentwickelte Gefäßchirurgie“ in den Neubau ziehen. Leonberg bliebe allenfalls eine kleine gefäßchirurgische Dependance. Noch schwerer aber wird der Verlust der Gynäkologie wiegen, die sich längst nicht nur auf die Geburtshilfe beschränkt. Dass dann viele Frauen aus der Region Leonberg die nahen Stuttgarter Kliniken ansteuern, ist absehbar.
Die Zukunft des Krankenhauses mit dann 190 Betten liegt nach den Vorstellungen der Gutachter in der erfolgreichen Inneren Klinik mit dem Darmzentrum und der Bauchchirurgie. Der Herzkatheter soll verschwinden. Ein Pluspunkt von Leonberg soll weiterhin die unfallchirurgische und orthopädische Klinik sein, für die mit Holger Rieske erst unlängst ein neuer Chefarzt verpflichtet wurde. Und auch die Altersmedizin wird ausgebaut. Dafür sind allein 60 Betten auf zwei Stationen vorgesehen.
Keine eigenen Chefärzte mehr?
Ob es in Leonberg für jeden Bereich noch einen eigenen Chefarzt geben wird, ist offen. Im Gutachten ist von einer Überprüfung „standortübergreifender chefärztlicher Strukturen mit der Flugfeldklinik“ die Rede. Auf entsprechende Rückfragen reagierten Bernhard und Schmidtke ausweichend.
Die nach Bekanntwerden der Lauterbach’schen Reformpläne vorerst auf Eis gelegte Sanierung im Krankenhaus soll weitergehen, wenn ein neues Medizinkonzept beschlossen ist. Landrat Bernhard betonte, dass die Vorschläge der Gutachter noch keine beschlossene Sache seien, sondern in den Gremien ausführlich diskutiert würden.
Klar ist für den Landrat aber, dass es richtig sei, schon jetzt neue Strukturen zu schaffen und nicht auf die Konsequenzen der Krankenhausreform zu warten: „Wir wollen vor der Welle sein, nicht dahinter.“