Inmitten einfacher Behausungen liegt die „Cebu“ – ein immer noch nicht geborgenes Schiff Foto: Siefert

Langsam kehrt der Alltag zurück – drei Monate nachdem der Taifun Haiyan weite Teile der Philippinen zerstörte. Nach der Nothilfe werden die Menschen nun beim Wiederaufbau unterstützt – und bei der Vorbereitung auf den nächsten Super-Sturm.

Tacloban - Alba Baylon sitzt vor ihrem Zelt. Die hellblaue Wachstischdecke mit dem bunten Obst darauf macht einen wackeligen Holztisch zu ihrer Verkaufstheke. Eier, Nudeln, Fertigsuppen, Instant-Kaffee und Zigaretten zählen zu ihrem Sortiment. An der Zeltstange baumeln Tütchen mit Brötchen, Keksen und unterschiedlichen Samen. Verkäuferin war Alba schon vor dem Taifun. „Am 25. Dezember habe ich meinen Laden wiedereröffnet“, erzählt die 53-Jährige stolz. „Am Weihnachtstag.“

Mighty und Fortune heißen die Zigarettenmarken, die Alba verkauft – „Mächtig“ und „Glück“. Mächtig war der Sturm, der Anfang November auch über San Fernando, einen kleinen Ort im Westen der Insel Samar, fegte – zu mächtig. Taifun Haiyan, der auf den Philippinen Yolanda genannt wird, hat Albas einstöckiges Haus komplett zerstört. Glück hatte sie dennoch: Von ihrer fünfköpfigen Familie haben alle die Naturkatastrophe überlebt. In San Fernando haben 13 Menschen ihr Leben verloren. Zwei von ihnen waren Kinder.

Drei Monate ist das her: Am 8. November vergangenen Jahres raste Yolanda über große Teile der philippinischen Inselgruppe Visayas. Rund 7000 Menschen starben, etwa 2000 werden noch immer vermisst. Ob sie tatsächlich tot sind, weiß man nicht – viele Leichen konnten nicht identifiziert werden. Mit heftigen Stürmen können die Filipinos eigentlich umgehen: Im Durchschnitt treffen den Inselstaat 22 Taifune pro Jahr. 2013 waren es 24. Einer davon, Yolanda, war der stärkste Wirbelsturm, der seit Messungsbeginn auf Land traf. Mit 315 Stundenkilometer Spitzengeschwindigkeit hatte Yolanda eine Schneise der Zerstörung hinterlassen.

Zwischen grauen Ruinen hängt bunte Wäsche

Die Menschen in den verwüsteten Gebieten sind noch immer am Aufräumen. Neben den notdürftig geflickten Hütten häuft sich der Schutt. Aus manchem Haufen steigt der Qualm, der die Augen zum Tränen bringt, die Luft riecht nach verbranntem Holz. Langsam kehrt wieder Alltag ein: Zwischen den grauen Ruinen hängt bunte Wäsche zum Trocknen an der Leine.

Kinder spielen fröhlich in den Gassen, eine junge Frau fegt die Veranda vor ihrem halbeingestürzten Haus. Die meisten Schulen haben wieder geöffnet – unterrichtet wird in Ruinen unter Zeltdächern oder in Notunterkünften der Hilfsorganisationen. An den Straßen von Tacloban, der einstigen 200 000-Einwohner-Stadt, die von dem Taifun fast komplett zerstört wurde, öffnen täglich neue Stände und kleine Läden. Sie bieten Gebäck, Getränke, Suppen, Chips und Süßigkeiten an. Die Verpackungen machen die Straßen wieder bunter.

Wie die roten, grünen und gelben Fahrradrikschas, die die Menschen von A nach B bringen. „Der Verkehr ist wieder stärker geworden“, sagt Jörg Fischer, Programmkoordinator vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) für den Wiederaufbau.

Kosten pro Haus: etwa 1600 Euro

Vor vier Wochen war er das letzte Mal in Tacloban. „Es sah aus wie eine Spielzeugstadt, die von einem wütenden Kind zerstört wurde“, erinnert er sich. Jetzt scheine sich das Leben wieder zu normalisieren. Und auch die Hilfsorganisationen schalten von der akuten Nothilfe, der Erstversorgung mit Essen, Wasser und Hygiene, auf dauerhaften Wiederaufbau um.

Von den 1,1 Millionen vom Taifun heimgesuchten Häusern wurde etwa die Hälfte komplett zerstört. 35 000 Häuser will das philippinische Rote Kreuz auf den Inseln Leyte, Samar, Cebu und Panay wiederaufbauen. Für 20 000 gibt es bereits feste Zusagen, etwa 4000 werden vom Deutschen Roten Kreuz finanziert.

Das Grundgerüst der 20 Quadratmeter großen Häuser besteht aus Holz, die Wände aus Bambusgeflecht, das Dach aus Kokosrinde. Kosten pro Haus: etwa 1600 Euro. Die Häuser sollen robust sein. „Yolanda dürfte erst der Anfang gewesen sein“, sagt Richard Gordon, der Vorsitzende des philippinischen Roten Kreuzes. „Wir müssen besser vorbereitet sein.“ Doch diesem Wunsch sind Grenzen gesetzt: Die neuen Häuser werden im besten Fall einen Taifun der Stärke drei aushalten – einen Sturm, der mit bis zu 130 Stundenkilometer wütet. Yolanda aber hatte Stärke fünf, mit einer Spitzengeschwindigkeit von 315 Stundenkilometern. „Wir können keine Häuser bauen, die einem Yolanda-Sturm standhalten“, sagt Jörg Fischer. Das wäre schlicht zu teuer, und es könnten nur wenige Häuser entstehen. „Wir mussten also eine Balance finden“, so Fischer.

3,5 Millionen Kokosnusspalmen hat Yolanda zerstört

Dem nächsten schweren Sturm soll auch das Haus von Pascualito Ilagan standhalten. Die Wände hat der Lehrer schon gemauert, mit einem Helfer hievt er nun einen Holzbalken auf das Dachgerüst. „Das Dach war komplett eingestürzt“, sagt er. Das neue baut er aus Kokosnussholz. „Die Kokosnuss ist auf den Philippinen der Baum des Lebens“, sagt Pascualito. Durch sie hat er überlebt: Als es nach dem Sturm nichts zu kaufen gab, konnte er sich von Kokosnüssen ernähren.

Rund 3,5 Millionen Kokosnusspalmen hat Yolanda zerstört. Palmen, die von der Natur dazu auserkoren sind, die Landschaft bei schwerem Sturm zu schützen – selbst sie haben kapituliert. Wenn sie nicht abgebrochen sind, stehen ihre einst prächtigen Zweige heute zerzaust in alle Richtungen ab. Sechs bis zehn Jahre dauert es, bis so eine Palme gewachsen ist und Ertrag bring.

Damit die Kokosnussbauern in dieser Übergangszeit unabhängig sind und sich selbst versorgen können, bekommen sie Samen für den Gemüseanbau. Bis Ende Juni läuft das sogenannte Livelihood-Programm des Roten Kreuzes, das die Landwirtschaft beleben und den Menschen wieder zu einem eigenständigen Leben verhelfen soll.

Zigarettenpreise verdoppelt

Die Kokosnussindustrie und der Reisanbau sind die wichtigsten Zweige der philippinischen Landwirtschaft. Rund 77 Prozent der Bauern haben durch Yolanda ihre Haupteinkommensquelle verloren. Seit rund drei Wochen wird wieder auf den Feldern gearbeitet. Auch der Reisbauer Ociel Disente hat Samen vom Roten Kreuz bekommen. „Und Geld, um den Reis auch richtig anzubauen“, sagt er.

Davon bezahlt Ociel den Dünger und die Arbeiter, die ihm bei der Aussaat helfen. Vier Hektar Land, eine Fläche so groß wie fünfeinhalb Fußballfelder, gehören dem 54-Jährigen. Seit 30 Jahren baut er Reis an – eine Familientradition. Durch Yolanda hat Ociel zehn Säcke Reis verloren, ein Wert von 5000 Pesos (etwa 83 Euro). Bis er im März den ersten neuen Reis ernten kann, ist er auf die Essensausgabe der Hilfsorganisationen angewiesen. Die Ernte wird er noch nicht verkaufen, sie ist für den Eigenbedarf.

Alba Baylon sitzt vor ihrem Zelt. Gerade hat sie zwei Zigaretten verkauft. Vor Yolanda kostetet ein Glimmstängel einen Peso, heute sind es zwei. Auch die Eier sind teurer geworden. Ihr Preis ist von sieben auf zehn Peso pro Ei gestiegen. „Trotzdem hatte ich vor Yolanda mehr Einkommen“, sagt Alba. Mit dem Geld, das sie mit ihrem Laden verdient, will sie ihr Haus wiederaufbauen. Das Haus, von dem nur noch die Bodenplatte übrig ist, auf der Alba das hellgraue Zelt aufgebaut hat, das sie von den Hilfsorganisationen bekommen hat.

„Das Lächeln hilft den Leuten“

Der Schrecken vom November lässt Alba nicht los. Sie kann sich gleich zwei Gründe für den verheerenden Sturm vorstellen: „Vielleicht haben die Menschen ihren Glauben verloren, und Gott hat sich gerächt“, sagt sie. „Oder die Menschen wissen nicht, wie sie sorgsam mit der Umwelt umgehen – und die Natur hat zurückgeschlagen.“

Seit Yolanda schläft Alba schlecht. Jedes Mal, wenn der Luftdruck sinkt, steigt in ihr die Angst, Yolanda kehre zurück. Dennoch: Wie bei den meisten Menschen in der Katastrophenregion dominiert auch bei ihr ein ehrliches, herzliches Lächeln.

„Das Lächeln hilft den Leuten“, sagt sie. „Es hilft ihnen, ihre Würde zurückzubekommen und damit ihr Dasein zu sichern .“