Nicht mal die Hälfte der beschlagnahmten Foto: Polizei Baden-Württemberg

Das Landeskriminalamt hat zwei Millionen illegale CDs und Schallplatten beschlagnahmt – mit raubkopierter Musik von Stars der Pop- und Rockgeschichte. Der Drahtzieher soll ein 60-Jähriger aus Esslingen sein. Er sitzt nun hinter Gittern.

Stuttgart - In der früheren Sporthalle der Autobahnpolizei in Stuttgart-Vaihingen könnte man monatelang ununterbrochen Musik zum Fitnesstraining hören. Tausende Kartons mit CDs, DVDs und Vinyl-Schallplatten lagern dort – mit Musik von den Beatles über Motörhead, den Rolling Stones bis zu Frank Zappa. Doch die Halle ist so voll, dass an Dienstsport nicht zu denken ist. Dabei ist das nicht einmal die Hälfte der gut zwei Millionen Tonträger, die bei einem mutmaßlichen Musik-Produktpiraten gefunden wurden. „Die größte derartige Sicherstellung seit Jahrzehnten“, vermeldet das Landeskriminalamt.

Der Pirat, so heißt es, sei ein Musikliebhaber mit großer Leidenschaft. Was der 60-Jährige aus Esslingen beruflich macht, ist nicht bekannt – aber beim millionenschweren Handel mit raubkopierten CDs, DVDs und Schallplatten mit illegal aufgenommener Musik von Größen der Rock- und Popgeschichte braucht es wohl auch keine anderen Einnahmequellen. Er soll europaweit verkauft haben, in Internetportalen, auf Märkten und Messen. Er blieb dabei selbst stets im Verborgenen.

Ein Hamburger Anwalt macht den Anfang

Der 60-Jährige soll vier große Lagerhallen im Raum Esslingen, Göppingen und Schwäbisch Hall betrieben haben – mit Musik für Millionen. War er dabei allein? Die riesige Logistik, das Beschaffen des Musikmaterials, der Auftrag an Presswerke in Deutschland und Polen, der Vertrieb in verschiedenen europäischen Ländern: „Das schafft selbst ein fleißiger Schwabe nicht allein“, sagt Clemens Rasch, der Hamburger Anwalt, der im Auftrag des Bundesverbands der Musikindustrie den Fall ins Rollen gebracht hatte. Der Jäger illegaler Musik-Raubkopien ließ seine Musikfahnder der Promedia GmbH die Hinterleute des Netzwerks suchen und stieß schließlich auf den Mann aus Esslingen. Im Oktober 2015 erstattete er im Namen der Rechteinhaber Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart.

„Die wahre Dimension des Falls war aber selbst den Anzeigeerstattern nicht bekannt“, sagt der Staatsanwalts-Sprecher Jan Holzner. Als die Esslinger Polizei im Januar 2016 die ersten 3000 Kisten fand, wurde klar, dass hier wohl ein großer Fisch mit internationalen Verflechtungen an der Angel zappelte. Darum übernahm eine sechsköpfige Ermittlungsgruppe des Landeskriminalamts den Fall – und eine Staatsanwältin kümmerte sich schwerpunktmäßig um die Herstellungs- und Handelswege. Die Spuren führten die Ermittlungsgruppe Mitschnitt zu Presswerken in Deutschland und in Polen. Dort waren die Platten und CDs auf Bestellung hergestellt worden. „Das sind keine billige Kopien“, sagt Horst Haug, Sprecher des Landeskriminalamts. „Das ist von der Scheibe bis zum Cover professionell gemacht“, berichtet er. Vor allem: Im Handel sind sie nicht erhältlich und deshalb entsprechend teuer.

Alben sind teils für viel Geld verkauft worden

Wer sich auf den einschlägigen Portalen umschaut, findet viele Stars mit einem „Unofficial Album“. Da werden gerne auch mal 80 Euro verlangt. Viele der Aufnahmen stammten offensichtlich direkt von den Mischpulten der Tonmeister in den Konzertarenen, sagt Clemens Rasch. Solche teils seltenen Mitschnitte in häufig exzellenter Klangqualität seien bei Fans sehr beliebt und für teils viel Geld verkauft worden, teils sogar in Komplettboxen mit CD, DVD und Schallplatte. „Wer als Verbraucher solch ein gefälschtes Produkt kauft, verzichtet meist auf den Erwerb einer legalen, lizenzierten Konzertaufnahme des Künstlers“, betont der Jurist. Dadurch werde die ganze Branche geschädigt.

Auch die Käufer hätten Nachteile, warnt der Experte. Denn illegale Aufnahmen, die Fans teils für viel Geld erwerben, dürften später nicht weiterverkauft werden, wenn sich der Musikgeschmack ändert und man seine Plattensammlung auflösen will. Dann bleibt man auf den teuren scheinbaren Raritäten sitzen.

Seit September sitzt der 60-Jährige in U-Haft. Doch die Ermittler wären nicht überrascht, wenn es auch nach einem Jahr Ermittlungen noch eine Zugabe gäbe.