Seit Jahren streitet der türkisch-muslimische Verein VKBI mit der Stadt Leinfelden-Echterdingen über den Bau einer Moschee. Jetzt sogar vor dem Bundesverfassungsgericht. So schätzt ein Staatsrechtler die Erfolgschancen ein.
Im Moschee-Streit mit der Stadt Leinfelden-Echterdingen bemüht der Verein für Kultur, Bildung und Integration (VKBI) das Verfassungsgericht. Doch Hans Markus Heimann sieht in diesem Fall die Religionsfreiheit nicht verletzt. Angesichts der wachsenden religiösen Vielfalt empfiehlt der Staatsrechtler dem Staat mehr Distanz zur Religion.
Herr Heimann, der türkisch-muslimische Verein für Kultur, Bildung und Integration (VKBI) ist drei Mal vor Gericht gescheitert. Was bedeutet die Verfassungsbeschwerde?
Die bisherigen Verfahren fanden vor Zivilgerichten statt. Vor dem Bundesverfassungsgericht kommt allein die Grundrechtsproblematik in den Fokus. Diese spielte auch in den vorangegangenen Entscheidungen eine Rolle, weil jedes Gericht in Deutschland an die Grundrechte gebunden ist. Wenn dort aber nach Auffassung des Beschwerdeführers die Grundrechte, in diesem Fall die Religionsfreiheit, nicht hinreichend beachtet worden sein sollen, kann man das abschließend vom Verfassungsgericht prüfen lassen.
Das Verfassungsgericht muss die Beschwerde erst einmal zur Entscheidung annehmen. Wie bewerten Sie die Erfolgschancen der Beschwerde?
Eine Verfassungsbeschwerde ist erfolgreich, wenn der Beschwerdeführer in seinen Grundrechten verletzt wurde. Doch der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in seiner Entscheidung eingehend mit der Frage der Religionsfreiheit auseinandergesetzt und ist zu dem Schluss gekommen, dass sie nicht verletzt wird. Seine Argumentation finde ich plausibel. Insofern spricht aus meiner Sicht einiges dafür, dass diese Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat.
Der VKBI argumentiert, die Religionsfreiheit sei nicht einschränkbar – auch nicht durch vereinbarte Baufristen, auf deren Einhaltung die Stadt pocht. Überzeugt Sie das?
Der BGH hat nachvollziehbar gesagt, dass die Kirchengutsgarantie des Grundgesetzes als Ausprägung der Religionsfreiheit nur für bestehende Gebäude gilt, außerdem auch nur dann, wenn sie nicht mit vertraglichen Verpflichtungen versehen sind, wie sie der Moscheeverein unterzeichnet hat. Ich finde die Argumentation des BGH überzeugend, dass die Religionsfreiheit hier nicht die vertragliche Verpflichtung überspielt.
Warum sehen Sie die Religionsfreiheit des Vereins nicht eingeschränkt?
Es gibt eine vertragliche Verpflichtung, die man gegenseitig eingegangen ist. Und aus der Religionsfreiheit lässt sich gegenüber dem Staat nicht der Anspruch auf eine völlig freie Überlassung eines Grundstücks ableiten, das im konkreten Fall ursprünglich im Weg des Erbbaurechts übertragen wurde.
Warum zieht ein kleiner Moscheeverein, der die Gerichtskosten in Höhe eines sechsstelligen Betrags wohl kaum selbst aufbringen kann, trotz geringer Erfolgschancen vor das Verfassungsgericht?
Es ist das gute Recht eines jeden, das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Auch ein Moscheeverein fällt in den Schutzbereich der Religionsfreiheit. Das heißt nicht, dass er am Ende auch Erfolg haben muss. Die Kosten spielen erst mal keine Rolle, die Verfassungsbeschwerde ist grundsätzlich kostenfrei.
Ist es von Bedeutung, dass sich Verein und dazugehöriger Verband formal zum Grundgesetz bekennen, aber Lehren vertreten – Beispiel strikte Geschlechtertrennung –, die nicht mit der hiesigen Gesellschaftsordnung vereinbar sind?
Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes gilt auch für religiöse Vorstellungen, die eine freiheitliche Demokratie vielleicht ablehnen. Grundrechtsschutz ist erst einmal nicht von einem Bekenntnis zum Grundgesetz abhängig. Auch Religion wird gerade durch Grundrechte geschützt und ist nicht – so wie der Staat – an die Beachtung der Grundrechte gebunden. Das bedeutet aber nicht, dass man unter Berufung auf Grundrechte alles machen darf: Selbstverständlich können Grundrechte auf gesetzlicher Grundlage beschränkt werden. Wenn etwa die Zwecke oder die Tätigkeit eines religiösen Vereins den Strafgesetzen zuwiderläuft oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet, kann er nach dem Vereinsgesetz verboten werden. Derartiges muss im Einzelfall geprüft werden.
Die Grünen-Politiker Cem Özdemir und Volker Beck haben davor gewarnt, Islamverbände politisch als Religionsgemeinschaften anzuerkennen. Wie sollte sich der Staat auf die wachsende religiöse Vielfalt einstellen?
In Deutschland gibt es keine formale Anerkennung von Religionsgemeinschaften. Man braucht hierzu keine bestimmte Rechtsform, sondern tut sich einfach zusammen. Darüber hinaus existiert im Grundgesetz der Rechtsstatus der Körperschaft des öffentlichen Rechts für Religionsgemeinschaften, den traditionell die Kirchen innehaben, der aber auch von anderen Religionsgemeinschaften erworben werden kann und auch von zahlreichen anderen Gemeinschaften – auch Weltanschauungsgemeinschaften – erworben wurde. Eine solche Körperschaft hat aber im Hinblick auf die Religionsfreiheit keine weitergehenden Rechte. Mit dem Status sind spezifische Rechte verbunden, etwa die Möglichkeit, den Mitgliedsbeitrag in Form der Steuer zu erheben.
Und wie sollte der Staat mit der religiösen – und auch nichtreligiösen – Buntheit umgehen?
Die Situation heute ist nicht mehr die der alten Bundesrepublik, in der praktisch die ganze Bevölkerung zwei großen Volkskirchen angehörte. Daher sollte sich der Saat stärker zurücknehmen und Religion selbstverständlich weiter freundlich, im Rahmen des Religionsverfassungsrechts, aber mit mehr Distanz begegnen. Es funktioniert nicht, die bisherigen Strukturen, die sich praktisch im Hinblick auf zwei Kirchen herausgebildet haben, eins zu eins auf eine Vielfalt von Religionen und Religionsgemeinschaften übertragen zu wollen.
Hans Markus Heimann
Staatsrechtler
Seit 2008 ist Heimann Professor für öffentliches Recht und Staatstheorie an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. Er lehrt Staats- und Verwaltungsrecht sowie Verwaltungsrecht und Recht des öffentlichen Dienstes. Außerdem ist er Mitglied des Justizprüfungsamts beim Oberlandesgericht Köln.
Expertise
Zu seinen Forschungsgebieten zählen Grund- und Menschenrechte sowie das Religions- und Weltanschauungsrecht. 2016 veröffentlichte er das vielbeachtete Werk „Deutschland als multireligiöser Staat. Eine Herausforderung.“