Mufti Paso Fetic spricht am Sonntag in Wangen zu Gläubigen und Gästen Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Zwischen Baumärkten, Lagerhallen und Autowerkstätten hat die Islamische Gemeinschaft Stuttgart am Sonntag ihr neues Zentrum in Wangen eröffnet – mit dem ersten Minarett der Landeshauptstadt. Die Bosnier wollen damit auch zeigen, dass sie eine tolerante Gemeinde sind.

Stuttgart - Junge Frauen servieren Datteln auf Silbertabletts. Sie tragen Nosnjas, traditionelle bosnische Trachten. Familien sitzen eng gedrängt auf Bierbänken. Bunte Ballons schweben in der Luft, am Eingangstor wehen die deutsche und die bosnische Flagge im Frühlingswind. Selbst auf dem Bürgersteig vor dem Hof stehen Menschen und unterhalten sich angeregt. Die Stimmung unter den Mitgliedern der Islamischen Gemeinschaft Stuttgart am Sonntagvormittag ist blendend – wäre der Anlass kein religiöser, könnte man von Volksfeststimmung sprechen. Der Anlass ist aber religiös. Die Islamische Gemeinschaft Stuttgart eröffnet ihr neues Zentrum.

Für die Bosniaken hat das große Bedeutung. Merdihan Sisic, ein 36-jähriger Kraftfahrer, ist extra aus Graz angereist. „Ich habe lange in Heslach gewohnt und fühle mich der Gemeinde immer noch verbunden“, sagt er. Als junger Mann sei er nach dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien nach Stuttgart gekommen. Die Gemeinde gab ihm damals Halt. Das gilt auch für seinen Bruder, der sogar aus den USA anreiste, um bei der Eröffnung dabei zu sein.

Der Zusammenhalt innerhalb der Gemeinde ist groß – egal, ob unter aktuellen oder ehemaligen Mitgliedern. Auf das Minarett sind alle stolz, wenngleich es nicht die traditionellen Funktionen erfüllt. „Das Minarett dient einerseits dem Ruf des Muezzins, andererseits der Orientierung für Außenstehende. In diesem Fall spielt beides keine Rolle“, erklärt Elvir Ibrahimovic, zweiter Vorsitzender der Gemeinde.

Die Bedeutung des nur 15 Meter hohen und 45 000 Euro teuren Turms sei vielmehr eine symbolische: durch seine Vollendung fühlten sich die Muslime in ihrem Glauben vollständig respektiert. Außerdem solle das durch Spenden finanzierte Minarett Offenheit signalisieren. „Die Leute sollen wissen, dass wir eine tolerante Gemeinde sind“, sagt Ibrahimovic.

Der Vorsitzende Fred Kugic lobt in seiner Ansprache die reibungslose Zusammenarbeit mit der Stadt Stuttgart, aber auch mit den anderen Religionsgemeinschaften. Vor allem für die moralische Unterstützung sei er dankbar. Dialog und Integration seien in der Gemeinschaft nicht nur schöne Worte, sondern gelebte Werte. „Die Islamische Gemeinschaft ist nicht national bezogen. Sie steht allen Stuttgartern offen“, sagt Kugic unter Verweis auf die hohe Integrationskraft dieser Stadt, in der fast jeder zweite Bürger einen Migrationshintergrund hat.

Die Themen Dialog und interkulturelle Verständigung ziehen sich wie ein roter Faden durch die prominent besetzte Eröffnungsveranstaltung, der sogar ein Vertreter des bosnischen Großmuftis, eines hochgestellten islamischen Rechtsgelehrten, beiwohnt. So sieht Imam Subasic das Minarett als Verpflichtung, die Werte des Westens zu schätzen. Ordnungsbürgermeister Martin Schairer zeigt sich beeindruckt von der Gemeinde und lobt deren Offenheit: „Für mich sind Sie alle Stuttgarterinnen und Stuttgarter“, sagt Schairer unter großem Beifall. Auch die Vertreter der christlichen Kirchen stimmen ein: Das Minarett gehöre zur Moschee wie der Kirchturm zur Kirche, sagt etwa Dekan Klaus Käpplinger von der Evangelischen Kirche. Und: „Öffentlich sichtbar zu sein heißt Teil der Gemeinschaft zu sein“. An diesem Sonntag zweifelt in Wangen jedenfalls niemand daran, dass die Islamische Gemeinschaft fest zu Stuttgart gehört.