Ein 23-Jähriger hat seinen Halbbruder erstochen Foto: StN

Der 23-Jährige, der im Hallschlag seinen Halbbruder getötet haben soll, ist laut dem Gutachter psychisch krank.

Stuttgart - „Der Angeklagte hat seinen Halbruder abgrundtief gehasst. Das halte ich für krankhaft“, sagt Professor Hermann Ebel vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart. Der erfahrene psychiatrische Sachverständige hat mit seinem Gutachten in dem Mordprozess für eine Überraschung gesorgt. Der ursprünglich als schuldfähig eingestufte 23-Jährige, der nachweislich seinen sechs Jahre älteren Halbruder in der gemeinsamen Wohnung im Hallschlag getötet hat, sei psychisch krank und nicht voll zurechnungsfähig, so Ebel.

Der Sachverständige beweist Mut. Noch nie habe er ein Gutachten revidiert, aber in diesem Fall sei es notwendig gewesen, sagt der Experte. Der Angeklagte leide an einer schizotypen Störung, einer Vorstufe zur Schizophrenie. Das sei erst im Laufe der Hauptverhandlung klar geworden, so Ebel.

An einem Prozesstag war der merkwürdige Bursche völlig ausgerastet. Sein Vater sollte als Zeuge aussagen, der 23-Jährige wollte dies nicht. Er fing zu randalieren an und wollte sich gewaltsam entfernen. Sechs Mann hatten alle Hände voll zu tun, den Angeklagten zu Boden zu ringen. Fortan wurde der 23-Jährige nur noch mit Fußfesseln und mit auf dem Rücken fixierten Händen vorgeführt.

Gutachter Ebel spricht von einer sogenannten Broken-Home-Situation, in die der Angeklagte hineingeboren worden sei. Die Mutter und der Zwillingsbruder leiden ebenfalls an psychischen Krankheiten, die Muter ist zudem alkoholabhängig. Sie ist nicht vernehmungsfähig. Schon in ganz jungen Jahren waren die Zwillinge und der Halbbruder in Heime gekommen. 2008 zog der Angeklagte wieder zur Mutter und zum Halbbruder, die in einer viel zu kleinen Zweizimmerwohnung im Hallschlag lebten. „Katastrophale Lebensverhältnisse“, so Ebel. Die Mutter schlief in der Badewanne der Angeklagte auf dem Boden. Nur der Halbbruder, als Einziger erwerbstätig, hatte ein eigenes Zimmer. Es kam zwangsläufig zu Konflikten. „Ich konnte es nicht mehr ertragen, dass er mich anschaut. Ich war darauf fixiert, ihm wehzutun“, so der Angeklagte über seinen als freundlich und zurückhaltend bekannten Halbbruder. Am 29. Dezember 2013 kam es zur Katastrophe.

Nach einem Streit rammte der Angeklagte dem Opfer ein Messer in den Rücken – 20 Zentimeter tief. Der Halbbruder starb. Vor Gericht hatte der 23-Jährige etwas von Notwehr gesagt und davon, dass das Opfer ins Messer gefallen sein. Das sei widerlegt, so Staatsanwalt Matthias Schweitzer. „Der Angeklagte hat heimtückisch gehandelt und ist deshalb des Mordes schuldig.“ Schweitzer sieht jedoch wegen der psychischen Krankheit des Mannes von lebenslang ab. Er beantragt 14 Jahre Gefängnis und die Einweisung in die Psychiatrie.

Verteidiger Andreas von Scholley stellt das Mordmerkmal der Heimtücke in Abrede. Es sei zu einem Kampf gekommen, deshalb könne das Opfer nicht arg- und wehrlos gewesen sein. Es handele sich um Körperverletzung mit Todesfolge oder um Totschlag. Einen konkreten Strafantrag stellt von Scholley nicht.

Das Urteil soll am 22. Mai verkündet werden. Ursprünglich war es für den 23. Mai geplant. Doch an diesem Tag hat der Angeklagte Geburtstag. Das wollten die Prozessbeteiligten diesem merkwürdigen Angeklagten nicht zumuten.