Von wegen nur für Frauen: Der modebewusste Mann trägt Rosa, Fuchsia und Pink.
Spätestens als Daniel Craig bei der Weltpremiere von „No Time to die“ in London vergangenen September im himbeerfarbenen Samtjackett über den roten Teppich schritt, war klar: Diese Farbe wird uns noch eine Weile beschäftigen. Himbeerrot wird Trend, wenn Mr. Bond, die männlichste Figur der Filmgeschichte, wenn auch mittlerweile etwas aufgeweicht an den Kanten, kräftiges Rosa für den roten Teppich wählt und Millionen Bilder innerhalb Sekunden versendet werden. Und so kam es: Kaum eine Herrenkollektion 2022, in der nicht Jacken, Hosen und Shirts, ganze Anzüge in Rosa, Pink und Fuchsia auftauchten. Jacquemus, Ami Paris, Loewe, JW Anderson bieten Rosa in allen Schattierungen. Von sanft wie Softeis bis zum schreienden Exzess. Alles dabei. Weil auch Designer wie Jil Sander, sonst eher bekannt für ein Farbspektrum zwischen Wald und Meer, für die Herrenkollektion Rosatöne vorsah, genauso wie die italienische Firma Stone Island das Baumwollgewebe in Pink tunkte, bevor der Stoff zu lässigen Jacken geschneidert wurde. Rosa also überall und für alle. Von Straße bis Disco in die Chefetage. Die Frage ist: War die Pink Power nur ein kurzes Sommerintermezzo? Mitnichten: Pastelliges Rosa, provokantes Fuchsia und plüschige Pudertöne kleiden die Männer auch im kommenden Herbst und Winter.
Männern, vor allem aber Personen, die sich nur ein wenig oder nicht ganz diesem Geschlecht zugehörig fühlen, und etwas übermütigen Jungs wie den Sängern Harry Styles und Justin Bieber sowie der Gucci-Muse Jared Leto ist es zu verdanken, dass sich die hellen bis blaustichigen Rottöne nun selbstverständlich in die Herrenkollektionen einreihen; dass die Farbe vom Laufsteg, der Bühne, dem roten Teppich auch in die Geschäfte und auf die Straße findet. Andreas Murkudis, der in seinem Berliner Concept-Store gerade die frische Herbstware aufgehängt hat, sieht: „Jede Menge pinke Teile.“ Ganz vorne dabei: Rick Owens, Homme Plissé und Dooppiaa. Dass die neue Farblust und Pinklust mit dem Aufbrechen der Gendergrenzen und dem daraus folgenden fluiden Wabern zu tun hat, „unterschreibe ich“, sagt Murkudis und fügt an, „dass es immer akzeptierter wird, als Mann knallige Farben zu tragen, auch wenn es in der weiterhin normativen Gesellschaft mehr Mut erfordert, zu Fuchsia als zu einem Waldgrün oder Himmelblau zu greifen“. Oder gar zu Rüschen, Satin, Blumendruck, Seide und Chiffon.
Denn seit Alessandro Michele von Saison zu Saison die Gucci-Herrenkollektionen um immer mehr bis dato femininen Zierrat erweitert, lackieren sich auch Schuljungs in Eckernförde und Rosenheim die Nägel, legen sich Perlen um den Hals, piksen Broschen ans Revers und schlenkern Handtäschchen. Natürlich wählte auch ein Mick Jagger in den 1970er Jahren schon rosa Rüschen. Dass sich nun aber die Farbe ernsthaft in der Herrengarderobe etabliert, ist neu.
Rosa Hemden waren lange der englischen Oberschicht vorbehalten
Ob nun der Gucci-Kreativdirektor die non-binary oder auch genderqueere Strömung beeinflusste, oder die Bewegung Michele zu immer weiteren Brüchen mit den bisherigen Konventionen beflügelt, gilt es noch zu untersuchen. Vermutlich haben aber auch die pandemiebedingten Pausen dazu beigetragen, dass nicht nur die Jogginghose den formalen Anzug immer weiter verdrängt, sondern auch der Generation Z Zeit schenkte, übers Grundsätzliche, die Binary-non-binary-Grenzen nachzudenken, beziehungsweise sich vor allem über diese hinwegzusetzen.
Jedenfalls ist es so, dass das rosa Hemd, ob mit steifem Kragen oder in lässigem Leinen, Jahrzehnte Internatsschülern, der englischen Oberschicht, wenn sie sich locker machte, und Jachtbesitzern mit goldener Rolex an den Mittelmeer-Hot-Spots vorbehalten war – und heute, Rosa, sanft oder kräftig, ob als Hingucker oder im Komplett-Look in allen Schichten und Ebenen der Gesellschaft angekommen ist.
Und, versucht man aus letzten Julischauen in Mailand und Florenz ein paar Trends zusammenzufassen, kann man sagen: noch mehr flatternde Seide, fliegender Chiffon, verspielte Blumenranken. Es sind Wörter, die Jahrzehnte benutzt wurde, die neuesten Entwürfe der Damenkollektionen zu beschreiben.