Zuletzt hat Atakan Karazor die Kapitänsbinde beim VfB Stuttgart getragen. Sportlich läuft es also gut – doch wie sieht es mit dem Vorwurf eines Sexualdelikts in Spanien aus?
Knapp ein Jahr ist es her, da machte sich bei Atakan Karazor große Erleichterung breit. Er kam wieder auf freien Fuß – nach 43 Tagen in Untersuchungshaft auf Ibiza. Fette Schlagzeilen hatte die Inhaftierung gemacht, da eine junge Spanierin dem Fußballprofi des VfB Stuttgart vorwarf, sich an ihr sexuell vergangen zu haben. Karazor hat eine Straftat jedoch von Anfang an bestritten, und für seinen Club galt und gilt in der Causa Karazor die Unschuldsvermutung. Gegen eine Kaution von 50 000 Euro und mit Meldeauflagen durfte der 26-jährige Deutsch-Türke die Baleareninsel schließlich verlassen. Seither handelt es sich um ein schwebendes Verfahren.
Offenbar tut sich nicht viel. Jedenfalls dringt keine Neuigkeit an die Öffentlichkeit. Die spanischen Behörden schweigen – und Karazor bittet seit Monaten auf Anfrage stets um Verständnis. Er will sich nicht äußern, solange die Angelegenheit nicht geklärt ist. Was jedoch nicht bedeutet, dass der Mittelfeldspieler beim VfB nichts zu sagen hat. Er gehört in der Kabine und auf dem Rasen zu den wenigen kommunikationsstarken Spielern im Trikot mit dem Brustring.
Das sagt Sebastian Hoeneß
Karazor geht demnach weiter seinem Beruf nach und versucht die juristischen und sportlichen Belange zu trennen. Schnell hatte der Mittelfeldrenner nach verpasster Vorbereitung in der Vorsaison den Anschluss hergestellt und seinen Stammplatz zurückerobert. Jetzt ist Karazor seit dem Trainingsstart voll dabei und führte die Stuttgarter Mannschaft im ersten Testspiel gegen eine Hohenlohe-Auswahl (3:0) als Kapitän auf den Platz.
„Die Idee ist, dass ich lieber einen Feldspieler als Kapitän habe. Das ist der Grund, warum es Fabian Bredlow nicht wurde. Atakan Karazor hat jetzt einfach in der Endphase der Saison unter mir mehr gespielt“, meinte der Trainer Sebastian Hoeneß zu seiner Entscheidung. Auch Dan-Axel Zagadou hätte, laut Hoeneß, die Persönlichkeit und das Profil, die Spielführerbinde zu tragen – aber dass sie Karazor in Abwesenheit des Japaners Wataru Endo erhielt, ist ein Zeichen der Wertschätzung, ohne die Bedeutung zum aktuellen Zeitpunkt zu überhöhen.
Der Sechser gehört zu den Stuttgarter Stabilisatoren. Wenig spektakulär ist sein Spiel, aber verlässlich. Ein wenig mehr Tempo in seinen Aktionen würde man sich gelegentlich wünschen, aber dafür verfügt Karazor über ein gutes Stellungsspiel und strategisches Geschick. Fähigkeiten, die dem VfB geholfen haben, die Liga zu halten. Vor allem in den beiden Relegationsspielen gegen den Zweitligadritten Hamburger SV.
Der Mann mit der Rückennummer 16 war da, als er gebraucht wurde. Karazor ließ sich in schwierigen Phasen anspielen – und er wurde von den Kollegen in engen Räumen und Momenten gesucht. So wächst der Defensivspezialist immer mehr in eine Führungsrolle hinein. „Der Trainer will sich die Hierarchie genau anschauen und diesbezüglich mehrere Dinge ausprobieren“, meinte der Sportdirektor Fabian Wohlgemuth nach dem ersten Auftritt in der Vorbereitung.
Reichlich Gelbe Karten gesammelt
Das Mannschaftsgefüge steht auf dem Prüfstand. Ein neuer Mix soll her, in allen Bereichen. Das ist eine Erkenntnis aus der zuletzt erfolgten Saisonanalyse. Mehr Leistungskonstanz, mehr Widerstandsfähigkeit, mehr Effektivität werden angestrebt. Zwei dieser drei Faktoren zeichnen Karazor aus. Bei dem gebürtigen Essener wissen die Verantwortlichen, dass sie Ballsicherheit, Zweikampfstärke und taktische Disziplin erhalten. Dafür gibt es wenig Pässe in die Schnittstellen der gegnerischen Abwehr, kaum eigene Abschlüsse, und Torgefahr strahlt Karazor so gut wie gar nicht aus – trotz seiner Kopfballstärke mit 1,91 Meter Körpergröße.
In seine fünfte Saison geht Karazor (Vertrag bis 2026) nun mit dem VfB, die vierte in der Bundesliga. Auf 72 Erstliga-Einsätze bringt es der Mittelfeldspieler in der Eliteklasse bisher – und sammelte dabei stattliche 21 Gelbe Karten. Weil er zwar über ein hohes Spielvermögen verfügt, aber beim Verteidigen auch hinlangen kann. Denn Karazor ist ein Kämpfer, der sich komplett in den Dienst der Mannschaft stellt.