Mitsuko Uchida Foto: Decca/Julian Pumfrey

Mitsuko Uchida hat bei den „Meisterpianisten“ Schubert-Sonaten gespielt: mit viel Poesie und wenig Pranke

Stuttgart - Sehr schlank, fast zerbrechlich wirkt die demnächst 71-Jährige, als sie am Mittwochabend den Weg von der Bühnentür zum Flügel zurücklegt. Fast möchte man meinen, Mitsuko Uchida, der in London ganz ohne Auto und Fernseher lebenden Pianistin, die uns das schlichte Singen bei Schubert und Mozart zu lieben lehrte, sei mit den Jahren etwas Schüchternes, Unsicheres zugewachsen: So blickt sie erst scheu ins Publikum, setzt sich dann auf den Hocker, rückt ihre große Eulenbrille auf der Nase zurecht. Aber dann: Schubert, pur und in dreifacher Ausführung. Und schon in der frühen Des-Dur-Sonate, hier in ihrer Es-Dur-Version, hört man, worauf bei dieser zarten Musikerin alles hinausläuft: auf Konzentration und Reduktion; manchmal könnte man das auch Strenge nennen.

Wo andere Pianisten dazu neigen, Schuberts Destillaten mehr hinzuzufügen, als ihnen guttut (auch um mit der enormen Herausforderung der hier auf strukturelle Arbeit, Linienformung und Anschlagskultur beschränkten, kaum je äußerlich-effektvollen Virtuosität fertig zu werden), beschränkt sich Mitsuko Uchida auf bescheidene Vertiefung. Dazu gehört Größe – und ein enormes Formbewusstsein, das um alles Kommende schon lange im Voraus zu wissen scheint und dafür sorgt, dass Schuberts lange Gesangsbögen und ewige Wiederholungen nicht zerbrechen. Der Beginn der a-Moll-Sonate (D 784) entsteht fast aus dem Nichts, der mehr aus brüchigen Motiven als aus wirklichen Themen zusammengestückelte Eingangssatz wirkt geisterhaft.

So wie diese Pianistin spielt heute keiner mehr

Wirklich befreit wirkt die Pianistin dann nach der Pause: Als sie Schuberts späte A-Dur-Sonate (D 959) spielt, ist im Publikum kaum ein Laut zu hören, und nichts ist mehr spürbar von der formalen Unausgewogenheit des Stücks, nichts vom Übergewicht der Nebenthemen im Finale, und im Trio des Scherzos macht Mitsuko Uchida ein kleines Fensterchen auf zum federleicht schwebenden Wiener Walzer.

Man könnte manche Unsicherheit bemerken, hier und dort eine knapp verfehlte Taste, dort leicht verhuschte Momente. Man könnte auch bemängeln, dass Mitsuko Uchida keine Frau für körperhafte, voluminöse Klänge, zumal für das Fortissimo ist, und dass dadurch manche thematischen Gegensätze weniger dramatisch wirken, als das womöglich beabsichtigt war. Und zuweilen könnte man sich durchaus auch ein ganz klein bisschen mehr Inszenierung wünschen, um – mit einer kleinen Verzögerung hier, einer winzigen Beschleunigung dort – der Wirkung der Musik aufzuhelfen.

Was wiegen diese Einwände aber gegen den Auftritt einer 70-Jährigen, die uns bei Schuberts Musik, aber auch beim zugegebenen Andante cantabile aus Mozarts C-Dur-Sonate KV 330, hören, spüren und begreifen lässt, dass weniger wirklich mehr ist? Uchida ist ein Solitär, so wie sie spielt niemand (mehr). Sie sollte wiederkommen; es muss unbedingt mehr Zuhörer geben, die nicht vergessen können, dass Vertiefung und Verzicht sehr viel mehr wert sein können als Theater und Tastendonner.