Von der neuen Mitfahr-Bank in Stuttgart-Kaltental aus kommen tatsächlich Gratisfahrten auf den Hügel zustande. Wir haben es ausprobiert.
Die drei in ihr Gespräch vertieften Frauen scheinen dem kleinen Holzverschlag auf der rechten Straßenseite keine Beachtung zu schenken, geschweige denn, dass sie wegen ihm ihre Lebensmittel-Logistik ändern würden: Sie ziehen ihre vollen Einkaufswagen die Schwarzwaldstraße in Kaltental hoch und legen wenige Schritte weiter an der evangelischen Thomaskirche eine Verschnaufpause ein.
Hätten sie fünf Minuten am Holzverschlag am unteren Ende der Straße, den ein Schild als „Mitfahr-Bank“ ausweist, gewartet, wären die drei Frauen möglicherweise in den Genuss einer kostenlosen Mitfahrgelegenheit den Hügel hinauf gekommen. Denn zumindest der Verfasster dieser Zeilen hätte in einem Auto der Marke Honda Jazz mitfahren dürfen: „Wollet se mit?“, wurde er vom Fahrer gefragt, einem freundlichen Mann in den Sechzigern, der sagt, dass er dieser Tage bereits zwei ältere Damen den Hügel hinauf kutschiert habe. Die Idee mit der Mitfahr-Bank findet er gut, Gefahren von Mitfahrern fürchtet er nicht, denn „man guckt sich die Leute vorher an“. Früher sei er selber viel getrampt, sagt der Mann, „bis nach Italien“.
Wer länger auf eine Mitfahrgelegenheit warten muss
Es ist also davon auszugehen, dass der Honda-Fahrer die Grundregeln des kostenlosen Mitfahrens kennt: Ein mittelalter Mann mit zerrissener Jacke wartet locker zehnmal so lange auf den nächsten Lift wie eine junge Frau im makellosen Sommerkleid. Die Fahrzeugfrequenz, die vormittags am unteren Ende der Schwarzwaldstraße eher spärlich zu nennen wäre, ist mitentscheidend für die Reisegeschwindigkeit, und ein Restrisiko besteht für Fahrer und Mitfahrer. Früher wurde vor Beginn der Sommerferien im Radio traditionell vor dem Trampen gewarnt, das hierzulande seit der Einführung digitaler Mitfahr-Vermittlungen stark an Bedeutung verloren hat.
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In ländlichen Gegenden hingegen gilt noch immer – egal ob in Europa oder beispielsweise in Afrika: Wenn man am Straßenrand vom Fahrersitz aus den Nachbarsjungen wahrnimmt, der erkennbar in Richtung des nächsten Dorfes marschiert, dann nimmt man ihn mit, ohne dass es dafür einer formalisierten Mitfahr-Bank bedarf. Insofern versuchen die Bank-Initiatoren von der Zukunftswerkstatt und der Begegnungsstätte Thomaskirche Kaltental, mit zum Unterstand zusammengebauten hellen Holzbrettern in der Stadt einen Zustand wiederherzustellen, der zumindest im dörflichen Umfeld jahrzehntelang ganz ohne ausgewiesenem Anhalte-Ort als selbstverständlich gegolten hat.
Auf ausklappbare Ortstafeln, die etwa bei den Mitfahr-Bänken in Schleswig-Holstein das traditionelle Tramper-Schild ersetzen, konnte man in Stuttgart-Kaltental dabei verzichteten: Es geht ein paar Hundert Meter den Hügel hoch, den Einheimische auch den „evangelischen Berg“ nennen – und fertig. Sehr freundlich seien seine beiden betagten Mitfahrerinnen gewesen, die auf dem Hügel wohnen, sagt der Honda-Jazz-Fahrer.
Früher hat das ohne formalisierte Anhalte-Orte geklappt
Auch von Mitfahrerseite existiert bereits ein Freundlichkeitszeugnis: Bereits dreimal habe er sich in den vergangenen zehn Tagen auf die Bank gesetzt, um den Berg hoch mitgenommen zu werden, schrieb Adolf Dannecker dieser Tage an unsere Zeitung: „Zu Fuß schaffe ich es mit 92 Jahren nicht mehr.“ Und alle drei Male hatte er Erfolg: „Zwischen zwei und zehn Minuten hat es gedauert, bis eine freundliche Autofahrerin oder ein freundlicher Autofahrer angehalten und mich mitgenommen hat“, schreibt der Kaltentaler, der seit rund 50 Jahren auf dem Hügel wohnt und bis vor kurzem zu Fuß gegangen ist. „Die Idee ist einfach gut“, sagt Dannecker. Seine Einschätzung ist deutlich: „Die Mitfahrbank nahe der U-Bahn Haltestelle Kaltental ist eine hilfreiche Sache.“