Mit 15 kam Raul Alonso nach Deutschland. Er war Frauen-Trainer, Assistent von Alfred Gislason, arbeitete in Tirol, führte Meshkow Brest ins Champions-League-Viertelfinale. Nun ist er in Doppelfunktion beim HC Erlangen tätig und kommt am Donnerstag nach Stuttgart.
Er ist geboren in der Hauptstadt Madrid, aufgewachsen an der Nordküste in Santander. Wenn man Raul Alonso auf seine spanische Heimat anspricht, trifft man fast so etwas wie einen wunden Punkt: „Das tut schon bisschen weh. Viel zu selten komme ich dazu, dort meine Familie und Freunde zu besuchen“, sagt der 43-Jährige.
Der Mann befindet sich im Hamsterrad des Handballs. Seit Januar hat er noch weniger Möglichkeiten, dem zu entkommen. Der Handball-Bundesligist HC Erlangen entschied, sich von Trainer Michael Haaß zu trennen. Alonso, vor der Saison als Sportdirektor verpflichtet, übernahm – arbeitet jetzt in Doppelfunktion. Für wie lange? Bis Saisonschluss? Bis zum Ende der kommenden Runde? Übernimmt dann der prominente isländische Co-Trainer Olafur Stefansson, der ihn seit März entlastet?
Im Final Four dabei
Die Fragen prallen an Alonso ab. „Derzeit konzentrieren wir uns einzig und allein auf die aktuelle sportliche Lage. Was nach der Saison kommt, darüber machen wir uns keine zu großen Gedanken“, behauptet er vor dem Spiel an diesem Donnerstag (19.05 Uhr) beim TVB Stuttgart (12:36 Punkte). Zumal die Lage sich auch nach dem Trainerwechsel nicht groß verbessert hat. Zwar steht der HCE erstmals in der Vereinsgeschichte im Final Four um den DHB-Pokal in Hamburg (am 23. April geht es im Halbfinale gegen den SC Magdeburg), doch in in der Liga rangiert das Team mit 17:31 Zählern nur auf einem enttäuschenden 13. Platz.
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Das Spiel in der Porsche-Arena ist ein Duell der Enttäuschten – und zweier spanischer Trainer. Doch die Lebensläufe von Roi Sanchez und Raul Alonso weisen wenig Parallelen auf. Alonso kam schon mit 15 Jahren nach Deutschland. Während sein Vater als Kunsthändler weltweit auf Achse war, fand die Mutter einen Job in Hanau. Alonso blieb bei ihr und war zu diesem Zeitpunkt schon mit dem Handballvirus infiziert. „Teka Santander war damals weltweit das Nonplusultra, wenn man so eine Mannschaft vor der Haustür hat, kommt man schnell zum Handball.“ Im Fall von Alonso begann alles als Hallenwischer.
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In Deutschland ging es klein weiter. Er spielte als Rechtsaußen für die TS Großauheim, den TV Gelnhausen und Tuspo Obernburg, absolvierte nebenbei ein Studium (Sport, Spanisch, Politikwissenschaften) auf Lehramt und schlug in jungen Jahren die Trainerlaufbahn ein. Während seiner Zeit als Trainer der Bundesligafrauen der Rhein-Main-Bienen machte er die A-Lizenz in einem Jahrgang mit recht klangvollen Namen wie Christian Prokop, Markus Baur, Frank Carstens und Erik Wudtke.
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Lehrmeister Gislason
Der erste Schritt in den Profihandball führte Alonso gleich zum Branchenprimus THW Kiel. Erst als Jugendkoordinator, dann als Co-Trainer des damaligen Chefcoachs Alfred Gislason. Von dieser Zeit (2010 bis 2015) profitiert er noch heute. Privat weil er im Norden seine Ehefrau Janne kennenlernte und immer noch ein Haus in Nordfriesland besitzt – und sportlich: „Ich bin Alfred sehr dankbar. Für mich war es ungemein hilfreich zu sehen, wie ein Trainer auf höchstem Niveau agiert. Dieses Wissen habe ich aufgesogen“, sagt Alonso.
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Er nahm das Rüstzeug mit, als er das Angebot von Handball Tirol annahm, als Cheftrainer zu arbeiten. Beim österreichischen Erstligisten lief es anfangs sehr gut, im Frühjahr 2018 kam es nach einer Durststrecke jedoch zur Trennung. Doch unverhofft ging nach dieser Enttäuschung die nächste Tür auf. Manolo Cadenas (66), einstiger Star- und auch Jugendtrainer von Teka Santander, erinnerte sich an Alonso und lotste ihn als Assistent nach Weißrussland zum Topclub Meskhow Brest. Als der frühere argentinische Nationaltrainer Cadenas sich in Brest verabschiedete, schlug er Alonso 2019 als Nachfolger vor. Der bekam den Job und hatte damit die nächste Sprosse der Karriereleiter erklommen.
Mit Ivan Pesic in Brest
Alonso arbeitete beharrlich weiter, führte den Club – mit dem inzwischen beim TVB gelandeten Torwart Ivan Pesic – bis ins Viertelfinale der Champions League. Doch die beachtliche Laufbahn des einstigen Nobodys hatte auch ihre Schattenseiten. Pandemiebedingt verbrachte er zum Beispiel auch Weihnachten alleine. „Krass ausgedrückt habe ich drei Jahre ohne meine Frau gelebt“, sagt Alonso.
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Er brach die Zelte in Brest ab – und nahm vor der Saison 2021/22 das Angebot des ambitionierten HC Erlangen an. Als Sportdirektor. „Ich habe mir immer vorgenommen, den Handball aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, professionelle Strukturen aufzubauen, etwa beim Scouting ausländischer Spieler“, sagte Alonso bei seinem Amtsantritt. Dass er nun schon nach einem halben Jahr auch wieder als Trainer arbeitet, bietet ihm nun den Blickwinkel aus einer Doppelrolle.
Die Besuche in Madrid oder Santander werden dadurch aber gewiss nicht häufiger.
Restprogramm des TVB Stuttgart
31. März, 19.05 Uhr: TVB – HC Erlangen
7. April, 19.05 Uhr: HBW Balingen-Weilstetten – TVB
21. April, 19.05 Uhr: Rhein-Neckar Löwen – TVB
1. Mai, 16.05 Uhr: TVB – SC DHfK Leipzig
8. Mai, 14 Uhr: GWD Minden – TVB
15. Mai, 13 Uhr: TBV Lemgo Lippe – TVB
26. Mai, 19.05 Uhr: TVB – SG Flensburg-Handewitt
noch nicht zeitgenau terminiert
4. Juni: TVB – TuS N-Lübbecke
8. Juni: HSV Hamburg – TVB Stuttgart
12. Juni: TVB – MT Melsungen