Stephan Burger (links) bekam 2014 vom ehemaligen Erzbischof Robert Zollitsch die Mitra aufgesetzt. Die zweispitzige Kopfbedeckung wird von Bischöfen getragen. Foto: dpa/Patrick Seeger

Nicht einmal Fälle von Missbrauch, in denen es zur Verurteilungen gekommen war, waren für den Freiburger Ex-Erzbischof Robert Zollitsch ausreichend, um sie dem Vatikan zu melden. Eine kircheninterne Aufarbeitung fördert Ungeheuerliches zutage.

Die Krisensitzung hat am 21. Mai 1996 stattgefunden. Mit am Tisch sitzen der damalige Freiburger Erzbischof Oskar Saier, sein Generalvikar Otto Bechthold und Robert Zollitsch, damals Personalreferent und später Nachfolger Saiers als Erzbischof. Die Zahl der Fälle, in denen Priestern des Erzbistums Missbrauch vorgeworfen werde, steige, hält Bechthold im Protokoll fest. Gleichzeitig verstärkten auch die Staatsanwaltschaften ihren Druck und nähmen immer weniger Rücksicht auf kirchliche Belange. Es sei ratsam, einschlägige Akten im Ordinariat besser zu verstecken, beschließt die Männerrunde. Zollitsch will sich darum kümmern.

Als Eugen Endress am gestrigen Dienstag in der katholischen Akademie in Freiburg diese Szene schilderte, war er selbst noch einmal fassungslos. Bis zu seiner Pensionierung war Endress Vorsitzender Richter, insofern ist er Kummer gewohnt. Doch als er zusammen mit dem pensionierten Oberstaatsanwalt Edgar Villwock den Abschlussbericht der Arbeitsgruppe „Machtstrukturen und Aktenanalyse“ zum Missbrauch innerhalb des Freiburger Erzbistums vorstellt, muss er immer wieder zugeben: „Wir waren sprachlos.“

Zölibatsverstoß geahndet, Missbrauch nicht

In der Untersuchung geht es nicht um einzelne Missbrauchsfälle, sondern um die Art, wie innerhalb des Ordinariats mit den entsprechenden Vorwürfen gegen Priester umgegangen wurde. Mehr als 250 nachweislich schuldige oder beschuldigte Priester hat die auch mit erfahrenen Ermittlern besetzte Arbeitsgruppe ausfindig gemacht, 24 Fälle hat sie genauer untersucht. „Es gibt keinen Zweifel, dass Erzbischof Zollitsch alle Namen bekannt waren“, sagte Endress.

In vielen Fällen verwundere, wie wenig schriftlich festgehalten worden sei. Teilweise seien Briefe schlicht nicht in die Akten gelegt worden. Zur Zusammenarbeit mit weltlichen Ermittlungsbehörden kam es in der Regel nicht. Schamlos nutzte man die Vorteile, die einer Kirche zur Verfügung stehen. Sein Personalreferent Zollitsch sei ja nicht nur Personalchef, erklärte Saier gegenüber den Ermittlungsbehörden, sondern auch Seelsorger der Pfarrer. Er könne deshalb im Zweifelsfall nicht einvernommen werden.

Nicht einmal das kanonische Recht sei im Erzbistum eingehalten worden. Eigentlich wären die Missbrauchsfälle beim Vatikan meldepflichtig gewesen. Doch nicht einmal in Fällen, in denen es vor einem Gericht zur Verurteilung gekommen war, wurde Rom informiert. „Auch der Papst hat Zollitsch nicht auf den richtigen Weg bringen können“, sagte Endress. Ansonsten habe es Zollitsch mit dem kanonischen Recht übrigens durchaus genau genommen. Während ihm der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen keine Meldung wert gewesen sei, habe er den Zölibatsverstoß eines Geistlichen – er hatte einvernehmlich Sex mit drei verschiedenen Frauen – kirchenrechtlich bestraft.

Als im Jahr 2010 der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) alle Bistümer um eine Statistik zu gemeldeten Missbrauchsfällen bat, wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Dabei sei die Bearbeitung im Grunde einfach gewesen. „Man hätte eine null hineinschreiben können und wäre fertig gewesen“, stellte Endress fest. Am Ende versandete die DBK-Anfrage aber offenbar.

Täter beim Priesterjubiläum gewürdigt

Auffallend sei, dass die einzige Verbesserung im System ins Jahr 2002 fällt, als Saier schon abgetreten und Zollitsch noch nicht ins Amt eingeführt war. Der damalige Weihbischof Paul Wehrle berief einen Missbrauchsbeauftragten. Die Abarbeitungen der fälligen Meldungen begann aber erst unter dem jetzigen Erzbischof Stephan Burger. Ihm attestierte die Arbeitsgruppe ein korrektes Vorgehen. Lediglich einen Fall habe er mangelhaft dokumentiert. Burger räumte dies in einer ersten Stellungnahme ein. Als Erzbischof bat er die Betroffenen aller Missbrauchsfälle um Entschuldigung.

Über mögliche kirchenrechtliche Konsequenzen für den 84-jährigen Zollitsch müsse nun der Heilige Stuhl entscheiden, sagte Burger. „Die notwendigen Maßnahmen dazu sind eingeleitet.“ Zollitsch selbst äußerte sich nicht, sondern verwies auf seiner Internetseite auf sein Schuldbekenntnis vom Oktober. Damals hatte er „gravierende Fehler“ eingeräumt.

Der Betroffenenbeirat erklärte, der Kirche seien ihr Image und damit der Schutz von Menschen, die Kindern und Jugendlichen Grausamstes angetan hätten, wichtiger gewesen als die Aufklärung der Taten. Die positive Darstellung von Zollitschs Lebenswerk müsse künftig unterbleiben, Porträts von Zollitsch und Saier gehörten entfernt. Tatsächlich laufe er täglich im Ordinariat an den Bildern vorbei. Ob sie abgehängt würden, sei noch zu besprechen, sagte Burger.

Robert Zollitsch sah übrigens nie ein Problem darin, das Lebenswerk straffälliger Priester zu würdigen. Er habe segensreich in der Kommunionsarbeit gewirkt, schrieb er einem Amtsbruder zu dessen 50-jährigen Priesterjubiläum. Der Mann hatte Kommunionskinder missbraucht.