Debüt in Singapur: Miriam Kacerova als Tatjana Foto: Novitzky

Traumrolle für Miriam Kacerova: Am Freitag gibt die Erste Solistin in Stuttgart ihr Debüt als Tatjana in John Crankos Ballettdrama „Onegin“. Fast zu lange musste die gebürtige Slowakin auf ihre Chancen warten. Doch jetzt tanzt sie auf der Überholspur.

Stuttgart - Zwei Wochen in Stuttgart können ein Tänzerleben verändern. Miriam Kacerova war noch Ballettschülerin in Monte-Carlo, als sie der Empfehlung eines Lehrers folgte und das Stuttgarter Ballett besuchte. Roland Vogel hieß der Lehrer. Und der Stuttgarter, der seit dem Ende seiner Karriere 2003 an der Académie de Danse Classique Princess Grace unterrichtet, macht nicht nur Werbung für seine ehemalige Kompanie; er hat auch ein gutes Gespür dafür, wer von seinen Schülern hierher passen könnte.

„Ich habe mich sofort in das Stuttgarter Ballett verliebt!“, erinnert sich Miriam Kacerova an die erste Begegnung. Sieben Vorstellungen von „Schwanensee“ hatte sie damals gesehen, die schönen Linien der Tänzerinnen bewundert – aber auch das Besondere an John Crankos Blick auf den Klassiker, wie der Choreograf Gefühle so zum Schwingen bringt, dass ein Happy End nicht mehr möglich – und nötig ist.

Mehr als zehn Jahre sind seither vergangen. Inzwischen ist Miriam Kacerova Erste Solistin des Stuttgarter Balletts und bereitet sich auf die vielleicht größte Traumrolle vor, die das Repertoire hier Tänzerinnen zu bieten hat: Am Freitag gibt sie im Opernhaus ihr Stuttgarter Debüt als Tatjana; erstmals hatte sie die weibliche Hauptrolle in John Crankos großem Ballettdrama „Onegin“ bei der Asien-Tournee der Kompanie vergangenen Herbst in Singapur getanzt.

Nachwuchs kommt meist direkt aus der John-Cranko-Schule

Wer die Stuttgarter Verhältnisse kennt, ahnt, dass der Weg, der Miriam Kacerova von Monte-Carlo auf die Stuttgarter Bühne führte, kein direkter war. Öffentliche Auditions, bei denen viele Bewerber vortanzen, gibt es beim Stuttgarter Ballett schon lange keine mehr; der Nachwuchs kommt meist direkt aus der John-Cranko-Schule. Und so ist Miriam Kacerova eine der wenigen „Reingeschmeckten“ in der Kompanie, die viel dafür taten, gerade hier zu tanzen.

Zürich und sein damals noch von Heinz Spoerli geleitetes Ballett war die erste Station von Miriam Kacerova nach dem Ende ihrer Ausbildung in Monte-Carlo . „Es war ein idealer Ort für den Start in den Beruf, eine kleine Kompanie mit einem spannenden Repertoire“, sagt Miriam Kacerova, die freilich schnell nach mehr strebte. „Ich wollte weiterkommen. In Zürich lag mir der Akzent zu sehr auf den Stücken Spoerlis und seiner Art sich zu bewegen.“ Und so nahm die junge Tänzerin ihren Mut zusammen, rief in Stuttgart an und bat um einen privaten Vortanztermin.

An ihren ersten Auftritt mit dem Stuttgarter Ballett kann sich Miriam Kacerova gut erinnern. Weil gleich nach der Sommerpause ein Gastspiel in Basel anstand, musste sie sich in kürzester Zeit als Gruppentänzerin in „Der Widerspenstigen Zähmung“ einfügen. „Ich habe gleich gesehen, wie das in Stuttgart läuft: Man muss schnell sein “, sagt sie und lacht. Schnell sein musste sie hier immer wieder. Und weil sie auch, als Kolleginnen krankheitsbedingt ausfielen vorgezogene Debüts souverän meisterte, gelang Miriam Kacerova nach einer fast zu langen Zeit als Halbsolistin ein flotter Aufstieg an die Spitze der Kompanie.

Ganz schnell zur Solistin befördert

Die Desdemona in John Neumeiers „Othello“ war es, die das feine darstellerische Talent von Miriam Kacerova zum Sprechen brachte. So detailgetreu und beredt erzählte sie an der Seite von Damiano Pettenella, wie ein Mensch die Kontrolle über seine Gefühle und Persönlichkeit verliert, dass auch ihr Intendant beeindruckt war. Reid Anderson beförderte Miriam Kacerova mit sofortiger Wirkung zur Solistin und am Ende der Spielzeit zur Ersten Solistin.

Ein Weg, welcher der heute 31-Jährigen genügend Reife und Lebenserfahrung mitgegeben hat, um sich nun auf die schwierige Gefühlswelt von Tatjana einzulassen. Ihr eigentliches Debüt in Singapur, erzählt sie, habe sich wie eine Generalprobe angefühlt. „In Stuttgart kennt das Publikum dieses Stück so gut und weiß genau, was es erwartet. Manche haben vielleicht noch Marcia Haydée als Tatjana erlebt.“

Gesehen in dieser Rolle hat sie auch Miriam Kacerova – in alten Filmen. „Ich will wissen, welche Person ich auf der Bühne bin“, sagt die Tänzerin, die sich mit Hilfe von Büchern und Videos fremde Visionen erschließen hilft.

Körperliche und emotionale Herausforderungen

Ihre Sicht auf Tatjana? „Sie wirkt am Anfang vielleicht naiv, weil sie so jung ist und ihre Gefühle einem Spieler wie Onegin gegenüber offen darlegt“, sagt Miriam Kacerova. Aus diesem Gefühlstumult den Sprung hinüber in die Seele einer reifen Frau zu tun, die alten Enttäuschungen nachspüre und endgültig mit ihren Mädchenträumen breche, „das ist schon eine Herausforderung“, sagt Miriam Kacerova. Eine körperliche Herausforderung durch die technisch anspruchsvolle Rolle der stets präsenten Tatjana, aber auch eine emotionale. „Da darf man über den ganzen Gefühlen das Atmen nicht vergessen.“

Eine Herausforderung, wie sie Miriam Kacerova liebt. Schon als Neunjährige zog sie, nachdem die Lehrerin ihrer Folklore-Tanzgruppe daheim in Trnava ihr Potenzial erkannt hatte, von zu Hause aus, um ihre Ausbildung in der staatlichen Ballettschule von Bratislava fortzusetzen. Und bis heute liebt sie den Energieschub, den jede gelungene Vorstellung ihr gibt. „Das ist ein tolles Gefühl, wenn man etwas hinkriegen will, wenn die Leidenschaft mit dem Anspruch des Tuns wächst – und man es am Ende wirklich schafft. Wenn es mir dann auch noch gelingt, das Publikum zu berühren, dann ist der Tanz für mich wie eine Droge.“

Glücksgefühle bereitet Miriam Kacerova derzeit auch die Zusammenarbeit mit dem Starchoreografen Sidi Larbi Cherkaoui für den neuen Stuttgarter Strawinsky-Abend. „Er ist jemand, der eine besondere Energie mitbringt und ganz neue Bewegungen. Zu Beginn der Proben hat mir jeden Tag eine neue Stelle wehgetan. Doch jetzt, da alles harmonisch und schön fließt, kann ich diese Arbeit sehr genießen.“