Bundesinnenministerin Faeser verkündet in Brüssel, dass Deutschland der Krisenverordnung zustimmen wird. Das macht den Weg frei für weitere Verhandlungen zur Reform der EU-Asylgesetzgebung. Foto: AFP/JOHN THYS

Deutschland blockiert zuletzt immer wieder EU-Entscheidungen. Es scheint, dass Berlin das Interesse an Europa verloren hat, kommentiert unser Brüssel-Korrespondent Knut Krohn.

Deutschland ist auf dem besten Weg, seinen Ruf in Europa zu ruinieren. Berlin ist in der EU zuletzt vom einst viel gepriesenen Motor der europäischen Einigung zum Blockierer geworden. Das lähmende Lavieren im Streit um einen Kompromiss bei der Reform des Asylrechts ist nur das letzte von inzwischen mehreren Versagen der Bundesregierung.

Die EU blickt auf Deutschland

Das ist eine Entwicklung mit fatalen Folgen, denn Deutschland ist nicht nur wegen seiner wirtschaftlichen Größe stets der zentrale Referenzpunkt für alle Staaten in der Union. Das Land in der Mitte des Kontinents hatte auch die politischen Lehren aus den Grauen der beiden Weltkriege gezogen. Frieden und Wohlstand konnte es nur in einem geeinten Europa geben. Aus diesem Grund war Deutschland in der EU immer der erste Ansprechpartner auf der Suche nach für alle akzeptierbare Lösungen, wenn es wieder einmal knirschte im europäischen Getriebe.

Europa steht vor existenziellen Herausforderungen

Nun steht Europa zum ersten Mal nach Jahrzehnten der Ruhe vor historischen, geradezu existenziellen Herausforderungen. Der Überfall Russlands auf die Ukraine bedroht den Frieden und die demokratische Ordnung auf dem gesamten Kontinent. Die verheerenden Waldbrände und Überschwemmungen in diesem Sommer machen deutlich, dass der Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel konsequent vorangetrieben werden muss. Und in diesen Wochen müssen nach Jahren des Durchwurstelns die Weichen gestellt werden, um die Migrationsbewegungen zumindest zu kontrollieren, die in vielen EU-Staaten zu einer immer größeren Belastung für die Gesellschaften werden.

Berlin hat eine Führungsverantwortung

In dieser Situation müsste Deutschland seine Führungsverantwortung in Europa übernehmen, doch Berlin wird dieser Rolle nicht gerecht. Immer wieder schiebt die Ampelkoalition wichtige Entscheidungen von sich weg und schlingert offenbar ziemlich orientierungslos durch die Weltpolitik. Nun zeigt sich, dass das lähmende Lavieren der Regierung bei den Hilfen für die Ukraine im Krieg gegen Russland kein Einzelfall war. Inzwischen ist Deutschland mit einer überraschenden Wende auch beim Klimaschutz ins Lager der Bremser gewechselt. Besonders augenfällig wurde dies, als sich die Bundesregierung – getrieben von der FDP - plötzlich gegen das geplante Aus von Verbrennermotoren im Jahr 2035 stemmte. Wohl gemerkt: da waren die zentralen Entscheidungen bereits getroffen und die Gesetzestexte längst geschrieben. Auch bei der Reform des europäischen Asylrechts spricht Berlin nicht mit einer Stimme und erst ein Machtwort des Bundeskanzlers Olaf Scholz machte in Brüssel nun den Weg für weitere Verhandlungen frei.

Die EU als bloße Interessengemeinschaft

Inzwischen stellt sich die peinliche Frage, ob die zuständigen Stellen in Berlin bei der Arbeit auf europäischer Ebene fachlich schlicht überfordert sind. Das ist eher unwahrscheinlich. Beunruhigender ist die Vermutung, dass Deutschland, das sich immer als treibende Kraft in Europa verstanden hat, das Interesse an der Fortentwicklung der EU verloren haben könnte. In früheren Jahren wurde vor allem vom inzwischen ausgeschiedenen Großbritannien immer wieder beklagt, dass Deutschland im legendären Tandem mit Frankreich bei der Integration der Union mit zu viel Eifer ans Werk gehen könnte. Inzwischen steht eher die Sorge im Raum, dass in Berlin die EU nicht mehr als vorrangiges politisches Projekt gesehen wird, sondern zu einer bloßen ökonomischen Interessengemeinschaft zu verkommen droht – ziemlich rücksichtslos dominiert von der Wirtschaftsmacht Deutschland.