Mercedes-Markenchef Jens Thiemer: Große Ziele mit Mercedes-EQ Foto:  

Mercedes-Benz setzt zum Überholvorgang in der Elektromobilität an und stellt mit dem Showcar „Generation EQ“ seine Elektroauto-Zukunft vor. Markenchef Jens Thiemer spricht im Interview über die Weiterentwicklung einer Marke.

Herr Thiemer, Sie verantworten die Weiterentwicklung der Marke Mercedes-Benz im PKW-Bereich. Was ist für Sie eigentlich eine Marke?
Die Marke ist das Herzstück von allem, was wir tun. Die Seele des Unternehmens, die sich in der Markenpersönlichkeit widerspiegelt, im Markenstil, in der Art, wie wir agieren und kommunizieren.
Und was macht eine Marke aus?
Jede Marke hat eine einmalige Handschrift, eine DNA. Diese DNA zieht sich durch, ist überall spürbar: Vom Produkt, über die Menschen bis hin ins Marketing Dabei gibt es formale und inhaltliche Persönlichkeitsmerkmale. Bei Mercedes-Benz gehört als formales Spezifikum beispielsweise die über Jahre gewachsene, sehr prägnante Schriftart dazu. Bei jedem Kontakt mit dieser Schrift wird im Kopf des Rezipienten die Mercedes-Benz-DNA aufgerufen. Auf der anderen Seite geht es fast noch wichtiger inhaltlich darum, wie wir als Marke kommunizieren. Da gibt es sehr klare strategische Themen. Alles zusammen führt dazu, dass unsere Kunden echte Gefühle für uns entwickeln. In eine Marke muss man sich verlieben, für Marken muss man eine Begehrlichkeit entwickeln. Im Marketing ist es unsere Aufgabe, diese zu wecken.
Gibt es weitere Eckpfeiler?
Die Kernfrage ist: Wie kommuniziert man eine Marke? Was kann man versprechen – und weckt man genau damit die angesprochene Begehrlichkeit? Mercedes hat ein sehr klares Marken-Wertebild. Bestimmt wird es durch die zwei Pole Intelligenz und Emotion – daraus ergibt sich zusammen die so attraktive „emotionale Intelligenz“. Auf dieser Grundlage steht die gesamte Ansprache von Mercedes: Das Design der Autos, die Atmosphäre am Point of Sales, die Haltung unserer Mitarbeiter und unser gesamter digitaler und analoger Werbeauftritt.

„Marken kann man verändern“

Das klingt nun nach ziemlich vielen Leitplanken. Wie schwierig ist es denn aus Ihrer Sicht, eine einmal gefundene Formel zu verändern – und damit eine Marke?
Wir haben einen Leitsatz, der dieses Unternehmen seit 130 Jahren prägt – Gottlieb Daimlers Überzeugung „Das Beste oder nichts“. Diesen Satz verstehen wir gar nicht so sehr in seinem Charakter als Superlativ, sondern immer wieder als Ansporn –aus Kundensicht die besten Lösungen entwickeln und anbieten zu können. Das Kundenfeedback in unseren Markenmonitoren zeigt klar, wie gut wir hier gerade weltweit unterwegs sind.
Auch auf dem Weg, die Marke zu verändern?
Es gibt diesen Mythos, dass Marken, wenn sie einmal ein gewisses Assoziations-Set entwickelt haben und für bestimmte Werte und Wahrnehmungen stehen, kaum noch veränderbar sind. Zu dieser Schule gehöre ich nicht. Marken kann man sehr wohl verändern, genau das ist ja mein Job. Markenarbeit ist auf der einen Seite sehr stark psychologisch geprägte Arbeit und verlangt ein ganz tiefes Verständnis der Wirkungsmechanismen im Kopf der Menschen. Auf der anderen Seite ist es starke handwerkliche Arbeit. Es ist ein bisschen wie beim Zahnarzt: Auch der sollte sein operatives Handwerk beherrschen, ist idealerweise aber auch ein guter Psychologe. Wenn man als Markenmanager an beiden Stellschrauben behutsam dreht, kann man Markenbilder in den Köpfen der Menschen weiterentwickeln. Mercedes ist dafür das beste Beispiel.
Können Sie dies präzisieren?
Ich vergleiche Marken oft mit der menschlichen Persönlichkeit. Das Einfachste, um eine Marke weiterzuentwickeln, ist, ihr neue Kleider anzuziehen, ihren Stil zu verändern. Die Person bleibt in ihrem Inneren trotzdem erst einmal die gleiche, das ist völlig klar. Aber auch da kann und muss eine Marke – wie ein Mensch – im Laufe eines Lebens neue Facetten entwickeln. Man lernt etwas, es kommt etwas dazu. Auch im Kontext gesellschaftlicher Weiterentwicklungen und Veränderungen entwickelt sich eine Marke weiter. Um relevant und anziehend zu bleiben, müssen Marken immer wieder neu erfinden – natürlich, ohne sich selbst zu verraten. Nicht umsonst gibt es im Markenmanagement den wichtigen Terminus der Selbstähnlichkeit. Man kann Marken erweitern – in der Breite, in der Tiefe, man kann Submarken gründen und trotzdem muss immer wieder die Marke mit ihrer spezifischen DNA erkennbar sein. Darin liegt das Geheimnis.
Mercedes ist dies gelungen?
Es gibt nur wenige Marken, die in doch recht überschaubarer Zeit einen solchen positiven Wandel wie wir erlebt haben. Von einer tendenziell eher konservativ geprägten Marke zu einer fast schon progressiv-futuristisch auftretenden Marke, die sich selbst aber immer treu geblieben ist. Genau diesen Spagat wissen auch die Kunden zu schätzen.

Der Markenchef als Sternekoch

Sie sprechen von Persönlichkeit. Wie empfindlich ist denn das Wesen Marke?
Meine Arbeit besteht darin, die Marke immer wieder zu hinterfragen, zu bearbeiten und so eine stets zeitgemäße Basis zu entwickeln – das ist umso anspruchsvoller, als das ja für die Markenpositionierung weltweit gelten muss. Natürlich kann man Marken auch überstrapazieren, man kann Gerichte auch versalzen. Und wir experimentieren auch. So wie das ein guter Sternekoch auch tun sollte. Aber sie müssen sich sehr genau die Felder überlegen, in denen sie experimentieren wollen und in denen die Leute von ihnen eher Konstanz erwarten. Denn Marken vermitteln ja für viele Konsumenten auch Sicherheit und ein Wohlgefühl wie ein lange vertrauter Freund. Wir orientieren uns im Marketing am liebsten an den Konsumenten, die sich in Marken verlieben und Marken als eine Art Community sehen. Von diesen Kundengruppen bekommen wir am meisten Feedback, wohlwollend, aber auch kritisch. Und genau da kann man den Lautstärkeregler auch einmal etwas weiter aufdrehen.
Inwiefern?
Viele sagen, das Allerheiligste einer Marke, das Logo, sei unantastbar. Ich sage das nur bedingt. Man muss es natürlich mit Augenmaß machen und die Zielgruppe im Auge behalten. Wenn Sie zum Beispiel einen Lewis Hamilton nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft in der Formel 1 in den Stern hineinstellen, wie wir das gemacht haben, hat das unwahrscheinliche Strahlkraft, ohne die Marke zu verletzen. Man muss sich selbst auch nicht immer so ernst nehmen. Aber sollte man auf die Idee kommen, den Stern permanent anzufassen und mit ihm zu spielen, wäre das zu viel. Google trifft da beispielsweise mit seinem Doodles seit Jahren den Nerv der Zeit.