Foto: Piechowski

"An der Höhe des Zauns erkennt man die Qualität der Nachbarschaft", sagt Hans Betsch. Er steht in seinem Wohnzimmer und blickt auf seine Terrasse und den kleinen Garten. Das rechts direkt daran angrenzenden Nachbargrundstück wird nur durch eine Träubleshecke abgegrenzt.

"An der Höhe des Zauns erkennt man die Qualität der Nachbarschaft", sagt Hans Betsch. Er steht in seinem Wohnzimmer und blickt durch die große Fensterfront auf seine Terrasse und den kleinen Garten. Das rechts direkt daran angrenzenden Nachbargrundstück wird nur durch eine Träubleshecke abgegrenzt. "Das ist ein nahrhafter Zaun", sagt er. Die Nachbarskinder dürfen - und sollen - im Sommer die reifen Früchte stibitzen.

Und die Johannisbeeren gedeihen gut, wie auch die Tomaten und die Kräuter, die der 66-Jährige zusammen mit seiner Frau Anita anbaut. Denn der Boden ist sehr lehmig. Schließlich stand einst an dieser Stelle im Stadtteil Muckensturm die Obere Ziegelei. Im Jahr 1980 wurde die Produktion eingestellt, danach wurde das Gebäude als Ziegellager genutzt. Am 22. März 1993 wurden die Schornsteine gesprengt, drei Jahre später begann man damit, dort in mehreren Reihen Häuser zu bauen.

In einem dieser Häuser wohnt der Rentner Hans Betsch, der früher ein Elektrogeschäft in Cannstatt hatte. Im Jahr 2001, knapp drei Jahre nachdem das Wohngebiet fertiggestellt worden war, zog er mit seiner Frau in die Sophie-Tschorn-Straße. "Zuvor lebten wir zusammen mit meinen Eltern und unseren zwei Söhnen dreißig Jahre lang in einem Haus in Münster", erzählt Betsch. Als die Eltern starben und die Kinder aus dem Haus gingen, war dieses jedoch viel zu groß für das Paar.

Hans Betsch dreht sich mit einer ausladenden Armbewegung um die eigene Achse. "Die Häuser hier sind innen viel größer, als sie von außen wirken", sagt er. "Aber auch nicht zu groß." Er blickt wieder durch die große Fensterfront in den Garten. "Wenn die Sonne scheint, ist es hier drinnen ganz schnell 22 Grad warm", fügt er an. Denn alle Gebäude sind Niedrigenergiehäuser.

Neben der Sonne spielt auch der Mond eine große Rolle in der noch jungen Geschichte der Sophie-Tschorn-Straße, deren Name aber auf eine alte zurückgeht. Die Straße, die sich wie ein spiegelverkehrtes "S" mit einer zusätzlichen Querstrebe von der Schmiedener Straße aus in Richtung Bahnlinie zieht, wurde im Jahr 1994 nach der Autorin und SDR-Redakteurin Sophie Tschorn (1891 bis 1975) benannt. Diese schuf die erste schwäbische Rundfunkfigur, das "Gretle von Strümpfelbach", die sie auch selbst sprach. Sie war die Tochter von Christian Peter, der am legendären "Mondlöscher-Einsatz" der Cannstatter Feuerwehr am Ostersamstag 1887 beteiligt war. Damals rückte die Cannstatter Feuerwehr des Nächtens in dem Glauben aus, dass Fellbach brenne. Als sie die Waiblinger Straße mit dem Löschwagen hochfuhren, glühte der Himmel über Fellbach tatsächlich feuerrot. Dann tauchte vor den wackeren Männern der Mond auf, der in dieser Nacht einer roter Ball war.

Sophie Tschorn begründete auch das Vaihinger Kinderfest. Und für die Kinder in der Sophie-Tschorn-Straße ist jeder Tag ein Fest. "Das ist das Schöne hier, dass die Kleinen auf der Straße spielen können", sagt Betsch. Auf dem nahen Parkplatz des Aldi-Marktes können sie am Wochenende zudem Fußball spielen oder ihre ferngesteuerten Autos flitzen lassen, und hinter dem Wohngebiet schließt sich direkt ein großer Spielplatz an.

Feste feiern aber auch die Erwachsenen. "Letztes Jahr gab es zum ersten Mal ein Straßenfest", erzählt Betsch. Von vier Uhr nachmittags bis drei Uhr nachts habe man gefeiert. "Nach einer Stunde waren wir alle per Du", erinnert er sich. Obwohl man in den Reihenhäusern dicht aufeinander wohne und alle Nationen vertreten wären, lebten die Nachbarn hier sehr gut zusammen. "Wir helfen uns gegenseitig: Wenn meine Frau und ich in Urlaub fahren, dann schaue ich vor die Türe und drücke dem nächstbesten Nachbarn meinen Hausschlüssel in die Hand." Der pflege dann die Pflanzen und schaue nach der Post.

Doch Betsch setzt sich auch seinerseits für die nachbarschaftliche Gemeinschaft ein. Er sitzt im Hausverwalter-Beirat. Das ehrenamtliche Engagement liegt ihm im Blut. Er ist bei den Küblern aktiv und der Vorsitzende des Vereins Pro-Alt Cannstatt. "Als Elektro-Meister bin ich früher in viele Haushalte gekommen und habe miterlebt, wie schlimm es zugehen kann", sagt Betsch. "Ich tue, was ich kann, damit es in meinem Umfeld nicht so zugeht."

Gegen den geplanten Neubau auf dem bisher unverbauten Gelände zwischen der Schmidener- und der Sophie-Tschorn-Straße wird er allerdings nichts machen können. Lange und heftig wurde darüber gestritten, ob ein Investor dort 90 Eigentumswohnungen, ein Einkaufszentrum und einen Supermarkt bauen darf. Nun wird es kommen. "Aber das Gebäude ist so weit weg und wird so niedrig sein, dass die Sonne dennoch noch in den Garten und zum Fenster reinscheint", sagt Betsch. Die Träuble werden dennoch reifen. Rot, wie kleine Bälle. Und wohlschmeckend, nicht nur für die Nachbarskinder.