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Himmel und Hölle liegen manchmal nur einen Steinwurf weit auseinander. Und in umgekehrter Richtung ist es auch nicht wesentlich weiter. Beispiel Danneckerstraße.

Himmel und Hölle liegen manchmal nur einen Steinwurf weit auseinander. Und in umgekehrter Richtung ist es auch nicht wesentlich weiter. Beispiel Danneckerstraße: Während hier himmlische Ruhe herrscht, röhrt ein paar Meter entfernt in der parallel verlaufenden Hohenheimer Straße 24 Stunden am Tag der Verkehr. In der ruhigen Nebenstraße streben nur ein paar unermüdliche Radler bergan.

Doch so ganz zufrieden mit der Danneckerstraße, in der er seit 49 Jahren wohnt, ist Michael Lesehr nicht mehr. Überall, so stöhnt der 67-Jährige, parken jetzt die Autos. "Früher war es hier schöner." Doch seitdem sich im oberen Teil der Straße immer mehr Anwaltsbüros und Steuerkanzleien angesiedelt haben, gehören geparkte Autos der Oberklasse zum Straßenbild. Zumindest während der Bürozeiten.

Entlang der Danneckerstraße glaubt der Spaziergänger eine deutliche soziale Schichtung zu erkennen. Am unteren Ende, wo sie auf Höhe der Technischen Oberschule von der Hohenheimer Straße abzweigt, erinnert die Danneckerstraße an eine anonyme Hochhaussiedlung. Im mittleren Teil der Straße zeigen Stadtvillen aus der Gründerzeit stolz ihre Sandsteinfassaden mit opulenten Steinmetzarbeiten. Oft wiederkehrendes Motiv sind Weinreben. Kein Wunder: Vor der Bebauung wuchsen hier Trauben. Ganz oben an der Straße folgen dann meist moderne und repräsentative Zweckbauten. Bestes Beispiel ist das Haus der Architekten, an dessen Rückseite sich ein gepflegter Garten über den Talkessel spannt.

Zurück zum Beginn der Danneckerstraße. Fünf gewaltige Wohntürme schrauben sich hier bis zu 13 Stockwerke hoch in den Himmel. Einige von ihnen glänzen mit frischem Anstrich und neuen Balkonen, andere halten sich unter einer in die Jahre gekommenen Fassade aus Eternitplatten bedeckt. Michael Lesehr weiß, warum hier Wohnmaschinen stehen. Im Krieg wurde der untere Teil der Danneckerstraße bei Bombenangriffen schwer getroffen. Angesichts der dann herrschenden Wohnungsnot wuchsen in der Nachkriegszeit aus den Ruinen die Wohntürme in die Wolken.

Weiter oben an der Danneckerstraße fiel im Krieg der Bombenhagel offenbar weniger dicht - dennoch riss er Lücken in der Reihe der gediegenen Stadtvillen. Diese Wunden sind zwar längst geschlossen. Erkennbar sind sie gleichwohl an den nichtssagenden Fassaden der Neubauten, die in den 60er und 70er Jahren hier rasch und ohne Rücksicht auf die umgebenden Häuser eingefügt wurden.

Über einem dieser Häuser weht eine grün-weiß-rot gestreifte Fahne im Frühlingswind. "Nein", lacht Lesehr, "hier residiert nicht das iranische Konsulat." Das Haus gehört zur Wächterstraße, die Flagge zur farbentragenden katholischen Verbindung Alania. Dessen Motto lautet seit 1870 "furchtlos und trew".

1906 ließ sich etwa auf halber Höhe der Danneckerstraße Graf Edmund von Linden, der Bruder des Sammlers und Völkerkundlers Graf Karl von Linden, nach dem das Linden-Museum benannt ist, eine Villa bauen. Später kaufte der Großvater von Michael Lesehr, der durch Patente für Bergbaumaschinen zu Wohlstand gekommen war, dieses Anwesen.

Oft steht der Enkel im großzügigen Erker und sieht hinunter in den Talkessel. Sein Blick bleibt dabei weder am verwilderten und durch hohe Bäume beschatteten Garten hängen, noch an der Dachlandschaft der Häuser entlang der Alexanderstraße. Michael Lesehr, dessen Eltern Künstler waren, und der selbst in Eitemperatechnik und mit zermahlenen Halbedelsteinen großformatige Bilder malt, sieht dabei weniger das hier und jetzt. Vor seinem geistigen Auge entsteht ein Bild, wie es ein Künstler um 1745 in einem Stich von Stuttgart festgehalten hat. "Damals war der gesamte Hang ein Weinberg", sagt Lesehr, "und die Danneckerstraße war ein Weg zwischen den Reben."

Doch die Rampe war weit mehr als nur ein Arbeitsweg, auf dem die Wengerter schwitzten. "Hier wanderte Schiller mit seinen Freunden Heideloff und Dannecker von der Hohen Karlsschule hinauf zum Bopser", sagt Lesehr. Und dort trug der Dramatiker im Mai 1778 seinen Freunden von der Militärakademie die ersten Szenen der Räuber vor. Victor von Heideloff hat diese Uraufführung in einer berühmten Skizze festgehalten. Und Johann Heinrich Dannecker gab später als Bildhauer seinem Freund Schiller das Gesicht, das bis heute Generationen von Schülern kennen. Die berühmte Marmorbüste aus der Hand von Dannecker stand und steht als Kopie aus Gips in Hunderten von Schulen.

Dichter, Bildhauer, Maler. Diese Künstlertradition der Danneckerstraße ist für den Maler Michael Lesehr Anregung und Verpflichtung zugleich. Zwei Stockwerke seines Hauses hat er in eine private Galerie mit eigenen Werken umgestaltet. Kunst als Lebensinhalt? Lesehr drückt es anders und mit ironischem Unterton aus. "Ich führe hier ein Inseldasein. Weil ich berühmt bin - aber es hat sich noch nicht herum gesprochen."

Doch Lesehrs Blick ruht nicht nur auf der eigenen Insel, er schweift auch nicht nur in die fernere Vergangenheit der Dichterfürsten und akademischen Historienmaler. Lesehr erzählt lieber die Geschichte der Malerin Alice Haarburger, die einst in der Danneckerstraße 36 ihr Atelier hatte. Sie wurde 1938 von den Nazis enteignet und 1942 nach der Deportation in Riga erschossen.