Dass sich der Terrorist A-Bakr erhängen konnte, macht unseren Kolumnisten fassungslos. Foto: dpa-Zentralbild

Im zweiten Teil der Kolumne „Mein Exil in Stuttgart“ geht es um die Terrorgefahr – und wie Syrer darüber denken. Ganz konkret setzt sich unser Flüchtlingsreporter auch mit dem Selbstmord des Terroristen Al-Bakr auseinander.

Stuttgart - Das erste Gefühl war Angst. Ich erfuhr in den Nachrichten von dem Chemnitzer Attentäter Dschaber al-Bakr. Es war so, als blickte ich in einen Abgrund. Wer vor dem Krieg und vor Gewalt geflohen ist, kann es nicht verstehen, wie jemand einen Anschlag vorhaben kann. Stolz und Glück fühlte ich dann, dass meine Landsleute ihn gefangen haben. Doch dann hörte ich vom Tod des Terroristen, und die Zuversicht war wieder weg.

Es gibt so viele Fragen, die ich mir stelle: Wie konnte sich Al-Bakr mit einem T-Shirt aufhängen? Warum gab es keine Kamera in der Zelle? Warum wurde er nicht in ein Gefängnis verlegt, das für solche Fälle ausgerüstet ist? Es ist eine Gefahr für alle in Deutschland, auch für uns Flüchtlinge, dass dieser Mann tot ist. Er war ein Schatz an finsteren Informationen. Kann es jetzt noch gelingen, die Hintergründe aufzudecken? Ich hoffe es.

Wir diskutierten wie Experten des Grauens

Die Ereignisse der vergangenen Tage haben mich in die schlimmen Tage dieses Sommers zurückversetzt. Damals habe ich die Nachricht vom Anschlag in Ansbach gehört. Ich weiß noch, wie ich gleich zum Telefon griff, um einen syrischen Freund anzurufen. Wir diskutierten damals auf der Basis der Informationen, die wir im Internet fanden, wie Experten des Grauens. Das dauerte die ganze Nacht. Passen Methode und Vorgehen zum IS? Das fragten wir uns. Wir verglichen unsere Erfahrungen mit der Terrorgruppierung, suchten auf Facebook und Twitter Details.

Ich muss auch an Abdallah denken. Das ist ein weiterer Freund, der seit Jahren Chemie studiert. Wie begegnen ihm seine Kommilitonen wohl jetzt? Er hatte mir nach dem Anschlag in Ansbach erzählt, wie unangenehm er die Situation empfunden hat, weil er mitbekommen hatte, dass sich viele Gespräche plötzlich um den Anschlag drehten. Einige Kommilitonen wollten aber auch wissen, was er als Syrer darüber denkt. Schwarze Schafe gebe es überall, antwortete er ihnen etwas hilflos. Er hat ja keine Antwort.

Wer ist denn so dumm, in die Hände zu beißen, die uns entgegengestreckt wurden, als sich sonst niemand auf der Welt um unsere Not gekümmert hat? Die Aufnahmebereitschaft der Deutschen vor einem Jahr ist für die meisten Syrer ein emotionaler Moment gewesen. Die Syrer, die den Terroristen Al-Bakr gefangen haben, haben es nicht vergessen. Auch Nada, eine 23-jährige Frau aus Aleppo, mit der ich mich über die Festnahme unterhalten habe, hat es nicht. ,„Die Syrer tragen selbst einen Teil der Verantwortung, dieses Land zu beschützen“, meint Nada. Sie würde es „genauso machen“ wie die Jungs.

Immer noch Hoffnung auf Frieden in der Heimat

Die Geschehnisse von Ansbach und Chemnitz erinnern uns auch daran, was uns in Syrien geschehen ist. Es ist, als würden der Terror und der Hass uns folgen. Der Krieg scheint uns Flüchtlingen nicht zu gönnen, dass wir jemals in Frieden leben. Die Mörder des IS ruhen nicht. Was die einen an Blut vergießen, müssen ausgerechnet wir bezahlen, die vor ihnen geflohen sind. Und so sind wir wie zwischen Hammer und Amboss, fürchten den Terror des IS, haben aber auch die Sorge, dass die Deutschen Angst vor uns bekommen und sich ihre „Willkommenskultur“ ins Gegenteil wenden könnte. Unsere Hoffnung ist, dass es bald wieder Frieden in der Heimat gibt und wir zurückkehren können. Besonders, wenn wir an unsere Kinder denken, haben wir sehr gemischte Gefühle: Da ist Wut, Angst und Ohnmacht. Denn wir sehen die Möglichkeiten schwinden, unseren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Aber wir haben ein Versprechen gegeben, an alle Türen zu klopfen, um ihnen ein sicheres Zuhause zu bieten.

Zur Person des Autors:

Mohamad Alsheikh Ali ist ein syrischer Journalist, der seit März 2015 als Flüchtling in Stuttgart lebt. Er blickt für unsere Zeitung auf sein Leben in Stuttgart. Die Übersetzung der Kolumne übernimmt Mahmoud Youssef Ali, ein syrischer Student aus Karlsruhe.