Der Schauspieler Matti Krause. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Liste der Stücke, in denen Matti Krause (28) spielt, ist lang: 11 von 40 Repertoireproduktionen. Der junge Schauspieler überzeugt durch unglaublichen Enthusiasmus und Bewegungsfreude – und fast noch mehr mit kleinen Gesten.

Stuttgart – Bei der ersten längeren Begegnung ist von ihm vor allem sein Hinterkopf zu sehen. Und seine Hände am Steuer eines kleinen Geländewagens, mit dem er durch das nächtliche Stuttgart fährt. Neben ihm eine junge Frau, mit der er redet, streitet und die er schließlich alleine wieder zurück in die Innenstadt fahren lässt. Drei Leute sind auch noch dabei, Zuschauer von Anne Habermehls „Autostück. Belgrader Hund“, die während des Stückes auf der Rückbank sitzen.

Matti Krause (28) spielt an der Seite von Caroline Junghanns einen zornigen jungen Mann aus Ex-Jugoslawien, der mit dem Leben im Ausland nicht klarkommt. Kein derber Proll, die Aggressionen zeigen sich durch Finger, die aufs Lenkrad trommeln, eine latente Ungeduld im Ton und, wenn man ihn dann doch mal beim Aussteigen und beim Herumgehen in unwirtlichen Gegenden sieht, fahrige, eckige Bewegungen.

Er hat auch da schon eindrücklich gespielt, und das, obwohl die Rolle eigentlich ein Unding ist für einen wie Matti Krause. Still sitzen ist nicht seine Sache. Das weiß man spätestens, seit man ihn in dem Familienstück „Ronja Räubertochter“ von Lindgren gesehen hat. Er hat eine Perücke mit Halbglatze und Flusenhaaren auf und spurtet die Treppen des Schauspielhauses hinunter, animiert, dirigiert mit unfassbar guter Laune und gern auch Grimassen schneidend die Zuschauer, die Regen und Donnergeräusche machen sollen. Es dauert wenige Sekunden, und sein Glatzen-Per hat das Publikum im Griff.

Krause unterscheidet nicht zwischen kleinen und großen Zuschauern

„Na ja“, sagt Matti Krause, jetzt im Café im Stuttgarter Westen während einer Probenpause von Goethes „Werther“ (Premiere ist an diesem Samstag im Schauspielhaus), „das ist nicht immer so leicht zu steuern.“ Kann schon mal vorkommen, dass die Leute durchs Animieren zu aufgedreht reagieren. Es sind ja vor allem Kinder im Publikum, doch Krause macht da nicht wirklich Unterschiede zwischen kleinen und großen Zuschauern. Publikum ist zu begeistern, zu unterhalten, egal welchen Alters. „Ich habe auch schon Kinder mitmachen gesehen, die einen Anzug tragen und seit zwanzig Jahren im Büro arbeiten.“

Ob es nun sein Bogdan im „Autostück“ ist oder Glatzen-Per in „Ronja“, der aufbrausende, naiv-komische Ruprecht in Kleists „Der zerbrochne Krug“ – immer ist da etwas enorm Sympathisches, das er seinen Figuren verleiht. Sogar einen Kapitalisten lässt er gut aussehen. In Zolas „Das Paradies der Damen“ in der kleinen Spielstätte Nord spricht er so enthusiastisch über die Warenwelt, dass man durchaus Verständnis für seine wüsten Expansionspläne aufbringen könnte, wenngleich er durchaus kalt feixend Leute kommandiert und abserviert. Eine Energie, ein Enthusiasmus ist da in seinem Spiel, die sich auch nach dem Stück zeigen. Sein strahlendes, glücklich wirkendes Lachen beim Applaus ist frappierend.

"Dogmatismus schätze ich nicht"

Woher nimmt er die Energie? „Sie ist einfach da. Natürlich nicht auf jeder Probe, aber dass die Regie mich zügeln muss, weil’s dann doch eher zu viel Energie ist, kommt schon häufig vor. Zum Glück!“ Er bewundere Regisseure wie Simon Solberg, der auch im „Werther“ mit einem Wahnsinns-Elan versuche, Parallelen zum Heute zu finden, und Künstler, denen Gesellschaftspolitisches am Herzen liege. „Aber Dogmatismus schätze ich nicht. Ich mache nicht Theater, um irgendjemanden zu belehren oder zu bekehren. Ich finde es besser, wenn wir in einer Inszenierung wie Vinterbergs ,Das Fest’ mit Herzblut und ehrlich die eigene Sicht auf etwas zeigen, und die Zuschauer dazu einladen mitzudenken. Theater, das man genießen kann und das zum Nachdenken antreibt, das mag ich als Spieler und Zuschauer.“

Darin ist er sich sicher mit Theaterchef Armin Petras einig, der ihn 2010 nach der Ausbildung an der Schauspielschule Ernst Busch ans Maxim-Gorki-Theater geholt hatte und fragte, ob er 2013 nach Stuttgart mitkommen wolle.

Sein altes Zuhause: Das Maxim-Gorki-Theater in Berlin

Gespielt hat er schon früh. Nicht ganz freiwillig zunächst. „In der Grundschule mussten wir uns entscheiden: Singen, Theaterspielen oder Sport. Da dachte ich, lieber auf der Bühne rumhampeln als schnell laufen.“ In Berlin, wo Matti Krause aufgewachsen ist, hat er viel Theater gesehen, er war kürzlich noch mal am Gorki, seinem alten Theaterzuhause. Das Gefühl? „Aufgeregt. Als würdest du in deine alte Wohnung kommen, in der jetzt andere Leute wohnen. Es sieht ganz anders aus, aber es gab da so eine atmosphärische Wärme“, sagt Matti Krause, „dass man sich gleich total wohlfühlt.“

Er reist aber auch, um zu schauen, was die anderen machen. Schauspielschul-Kollegen oder Jean-Pierre Cornu, den er aus dem „Krug“ kennt, und den er in Zürich in Glausers „matto regiert“ erlebt hat. „Ich schätze seinen bösen Humor, seine Erfahrung, über die er auf eine kluge, witzige Weise spricht, und ich schätze, wie er arbeitet: Er ist sich bei Proben für nichts zu schade, uneitel, toll. Und er hat natürlich einfach eine Visage, die man stundenlang ansehen kann.“

Verhalten zärtliche Blicke, leise Töne

Eine gute Visage hat er auch. Er beherrscht nuanciertes Andeuten von Regungen – auch wenn bei Zola sein Kaufhausmogul unglücklich verliebt ist, zeigt er das mit ganz kleinen Gesten, verhalten zärtlichen Blicken, leisem Ton – bei allem Enthusiasmus, bei aller Lust an diabolischem Lächeln, das an den jungen Klaus Maria Brandauer erinnert. „Komisch“, sagt Matti Krause, „wenn ich darauf angesprochen werde, dass ich jemandem ähnle, erinnere ich die Leute meist an komplett unterschiedliche Menschen. Devid Striesow kam schon häufiger, Brandauer allerdings noch nie. Danke.“ So oder so, nicht das Schlechteste für einen, der sich immer wieder in andere Leben hineinspielt. Es lohnt sich zu beobachten, welche Verwandlungen Matti Krause noch gelingen werden.