Zwei Migranten aus Mittelamerika balancieren bei Tijuana auf dem Grenzzaun zwischen Mexiko und den USA. Foto: dpa/Gregory Bull

2023 kamen mehr als zwei Millionen Menschen in die USA. Die Krise an der Südgrenze zu Mexiko setzt Joe Biden im Wahljahr unter Druck.

Atemlose Kommentare unterlegen die Bilder eines Marschs Tausender Migranten durch Mexiko Richtung Grenze. Es sei eine „Monster-Karawane“, die auf die USA zurolle, facht FOX-Moderatorin Rachel Campos Duffy die Emotionen an. Und Präsident Joe Biden habe nichts Besseres zu tun, als auf der Jungferninsel St. Croix Urlaub zu machen.

Tatsächlich bezweifeln Experten, dass dieser Zug der Elenden jemals in die Nähe der Grenze kommen wird. Das verhindern in der Regel mexikanische Sicherheitskräfte, die eng mit den USA zusammenarbeiten. Aber die inzwischen auf 8000 Menschen aus aller Welt angewachsene Karawane veranschaulicht ein Problem, das die amerikanischen Grenzschützer an vielen anderen Stellen zunehmend überfordert.

Täglich strömen Tausende Migranten vom Rio Grande in Texas bis San Diego in Kalifornien über die nur schwer zu sichernde Grenze in die USA. Zunehmend auch in entlegenen Regionen von Arizona, die weit von jeder Stadt oder einem Grenzübergang entfernt sind. Allein am vergangenen Wochenende kamen mehr als 35 000 Menschen. Im November waren es fast eine Viertelmillion und im zurückliegenden Haushaltsjahr mehr als zwei Millionen.

Vielfältige Fluchtursachen

Die Fluchtursachen sind vielfältig. Die katastrophale Lage in Venezuela und Kuba spielt eine große Rolle, Gewalt und Erwerbslosigkeit in Zentralamerika sowie eine Eskalation der mörderischen Drogenkriminalität in Mexiko.

Während Donald Trump die Krise nutzt, um mit völkischen Parolen gegen die „Vergiftung des Bluts unseres Landes“ zu hetzen, erwägt Präsident Joe Biden Maßnahmen zu ergreifen, die er zu Beginn seiner Amtszeit noch entschieden abgelehnt hatte. In Verhandlungen mit den Republikanern im Kongress über ein Hilfepaket für Israel und die Ukraine erwägt er, massive Zugeständnisse bei der Asylpolitik und Grenzsicherung zu machen.

„Eine Rückkehr zur Politik Trumps ist keine Lösung“, warnt etwa der demokratische Senator von Kalifornien Alex Padilla den Präsidenten vor falschen Kompromissen. „Das macht das Problem eher schlimmer.“ Das sehen auch Pro-Einwanderer-Gruppen wie „America’s Voice“ so. Deren Direktorin, Vanessa Cárdenas, warnte Biden kürzlich davor, dass sich das Weiße Haus „in große politische Gefahr begebe.“

Biden findet sich zwischen allen Stühlen wieder

Statt im Wahljahr einen wichtigen Teil der Basis zu verärgern, solle die Regierung die Fluchtursachen angehen und mehr legale Wege in die USA schaffen. Tatsächlich findet sich Biden zwischen allen Stühlen wieder. Umfragen signalisieren, dass die Wähler im Verhältnis zwei zu eins unzufrieden mit der Handhabung der Krise an der Grenze sind. 54 Prozent trauen Trump eher zu, die Situation unter Kontrolle zu bringen.

Nur 24 Prozent glauben, dass Biden die richtigen Rezepte hat. Laut einer aktuellen Erhebung für die Associcated Press rangiert Migration mit 13 Prozent auf dem zweiten Platz der Themen, die die Amerikaner bewegen.

Das Weiße Haus sieht deshalb weniger Risiken in einem Kurswechsel in der Migrationspolitik, der die eigene Basis enttäuscht, als im kommenden November Wähler in die Arme Trumps zu treiben. Zumal der Druck aus anderen Teilen der Demokraten wächst, einschneidende Maßnahmen zu ergreifen. Auf einer gemeinsamen virtuellen Pressekonferenz forderten die demokratischen Bürgermeister von New York, Eric Adams, von Chicago, Brandon Johnson, und von Denver, Mike Johnston, das „disfunktionale System“ zu verändern.

New York hat mehr als 160 000 Migranten aufgenommen

„Wir können nicht den Job der Regierung übernehmen“, klagt Adams, dessen Stadt allein mehr als 160 000 Migranten aufnahm, seit der Gouverneur von Texas, Greg Abbott, begann, von den Grenzschützern entlassene Migranten in Bussen nach New York und andere Großstädte zu schicken.

New York macht es nun strafbar für Busunternehmen, unangekündigt Einwanderer in die Stadt zu bringen. Ab sofort müssen solche Fahrten mit einer Passagierliste 32 Stunden vorher angekündigt werden. Die Busse dürfen nur an bestimmten Stopps zwischen 8.30 Uhr und mittags anhalten. Bei Zuwiderhandlung drohen Geld- und Gefängnisstrafen sowie die Beschlagnahmung der Busse.

Lösen tut das nur wenig, wie ähnliche Abwehrmaßnahmen in Chicago zeigen. Statt die Busse ins Zentrum der Midwest-Metropole zu schicken, halten diese jetzt in den Vororten an, die außerhalb der Direktion der Stadt liegen.

Keine Hilfe aus Mexiko

Auf zusätzliche Hilfe von Mexiko kann Biden ebenfalls nicht setzen. Sein Kollege López Obrador machte das nach einem Telefonat mit dem US-Präsidenten und vor Gesprächen mit dessen Außenminister Anthony Blinken am Mittwoch deutlich. „Barrieren, Stacheldraht und Mauern“ lösten das Problem nicht. Die USA sollten stattdessen mehr Ressourcen für arme Menschen bereitstellen. „Sie wissen sehr genau, was wir uns vorstellen und was getan werden muss.“

Entsprechend wenig kam bei den Gesprächen Blinkens heraus, der mit Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas und Bidens Beraterin im Weißen, Haus Elizabeth, Sherwood-Randall in Mexiko war. Das einzig greifbare Ergebnis ist eine neue Arbeitsgruppe, die im Januar ihre Arbeit aufnehmen soll. Bis dahin werden mehr als 250 000 weitere Menschen über die Grenze gekommen sein. So viele wie selten zuvor im Dezember.