Szene aus „Sonho de Dom Quixote“ von Marcia Haydée: Thamiris Prata als Kitri mit Cicero Gomes als Basilio. Foto: Renan Livi

Farbenprächtig, energiegeladen und alles andere als von trauriger Gestalt: Beim Aufeinandertreffen von Cervantes Helden Don Quixote und der Choreografin Marcia Haydée geht es kurzweilig zu. Zu erleben ist das nun bei einem Gastspiel der São Paulo Companhia de Dança.

Baden-Baden - Aus Knoblauchdüften steigt ihm eine Glorie entgegen, die ihn von den Büchern weg hinaus in die Welt treibt. In knapp 90 Minuten gelangt Don Quixote zur Erkenntnis „nur die Träume vergehen nicht“. Begleitet von den klassischen Gitarrenklängen Norberto Macedos schickt Marcia Haydée den Ritter, der bei ihr alles andere als von trauriger Gestalt, sondern ein jugendlicher Beau ist, auf eine Traumreise, die ihn mit den rahmenden Gedichten von Carlos Drummond de Andrade bis „hinter das Paradies“ blicken lässt und welche die einstige Cranko-Muse und Stuttgarter Ballettdirektorin im Unterschied zu den bekannten Ballettversionen „Sonho de Dom Quixote“, der Traum des Don Quixote, nennt.

Nicht nur der Titel weckt aus Stuttgarter Sicht Erinnerungen. Haydées Nachfolger Reid Anderson hatte beim argentinischen Tänzer und Choreografen Maximiliano Guerra eine neue Version des Klassikers geordert, der im Jahr 2000 als „Don Quijote – Der Träumer von La Mancha“ das Stuttgarter Bühnenlicht erblickte. Und an Haydées Stuttgarter „Dornröschen“-Schloss mag bisweilen denken, wer nun im Festspielhaus in Baden-Baden oder bei der zweiten deutschen Gastspielstation im Theater im Pfalzbau in Ludwigshafen einen Blick auf diesen brasilianischen Träumer wirft.

Mit Temperament getanzt

Endstanden ist Marcia Haydées neue Choreografie in ihrer brasilianischen Heimat für die São Paulo Companhia de Dança. Ein Traum war Haydées Arbeit, die aus Santiago, wo sie seit vielen Jahren das chilenische Ballett leitet, nach São Paulo gekommen war, offensichtlich auch für die erst 2008 gegründete Companhia de Dança, die den neu gedeuteten Klassiker mit Temperament, Verve und einem Lächeln im Gesicht und viel Energie in den Beinen tanzte.

Haydée hat vieles über Bord geworfen, darunter die ausgedehnten Pantomimen, das die Handlung verdeutlichende Spiel der Gesten und Aktionen, was die Tänzerinnen und Tänzer durch starkes Mienenspiel, pralle Körpersprache und berstende Ausstrahlung mehr als kompensierten, wobei man sich vor allem im Spiel der Tänzerinnen unter den Girls der West Side zu befinden glaubte. Herausgekommen ist mit den Gedichten, der Gitarrenmusik, die nur einen kurzen Kommentar zu der Fußspitzen kitzelnden Musik von Minkus bildet, und den skizzenhaften Quixote-Bildern des berühmten Malers Candido Portinari aus den 1950er Jahren, ein Stück, das Petipas seit 150 Jahren in Abwandlungen immer noch international gespielte Version nicht über den Haufen wirft, aber die fast stählerne Präzision, wie sie in Moskau gepflegt wird, in rasante, kurze Nummern auflöst: Pas de deux, die sich zu Pas de Quatre weiten, Soli, die sich fließend in Ensembles fügen.

Im Süden fliegen die Wassermelonen

Marcia Haydée, die am Ende mit der Kompanie im Festspielhaus begeistert gefeiert wurde, hat an der Handlung kaum etwas geändert. Auch sie stellt die Gamacho-Episode in den Mittelpunkt: Gastwirt Lorenzo will seine Tochter Kitri mit dem reichen Gamacho verheiraten, doch Kitri liebt den armen Basilio, der bei Haydée vom Barbier zum Maler wird, was für den Ablauf relativ folgenlos bleibt. Als sich Don Quixote unter das Volk mischt, bittet Kitri ihn um Hilfe. Das junge Paar flieht zu den Gitanos, Don Quixote überzeugt Lorenzo davon, Kitri und Basilio seinen Segen zu geben. Er selbst nimmt den Kampf gegen die Windmühlen auf und gerät in ein Traumreich, wo ihm Amor Dulcinea zuführt. Schließlich die Hochzeit, bei der Haydée als nahezu einziges Erbe Petipas den Grand Pas de deux wie eine Ikone ausstellt, die im ansonsten temporeichen Ablauf für ein Innehalten sorgt, doch auch ein wenig als Fremdkörper wirkt.

Im sonnigen Süden wird mit Wassermelonen und Korbflaschen jongliert, schlagen die Landleute Rad und Purzelbäume, Kitri vollführt ihre Fouettés bereits als sie an den Toreros vorbeiparadiert, während Basilio im Flirt mit den Mädchen fast auf Abwege gerät. Die Companhia bietet ausdrucksstarke Tänzer auf, unter denen vor allem der hochgewachsene Joca Antunes, ein schwärmender Strahlemann, der als Don Quixote mit seinen langbeinigen Figuren alle Widersacher in den Wind jagt, und Bruno Veloso herausragen; letzterer ist als Sancho Pansa ein virtuoser Charaktertänzer und Mann der vielen kleinen Schritte. Aber auch André Grippi und Geivison Moreira als die beiden Toreros, Diego de Paula als viril sinnlicher Anführer der Gitanos, Luiza Yuk als traumzarte Dulcinea, Daniel Reca als junger Geck Gamacho und Yoshi Suzuki als quecksilbriger Amor fallen auf. Der eigentlich ein bisschen zu kleine, anfangs auch bodenschwer tanzende Cicero Gomes stand als Basilio im Schatten der Kitri von Thamiris Prata, die die akademische Tanzkunst hochhielt. Insgesamt ein Triumph des Ensembles, das sich leidenschaftlich für Haydées „Sonho de Dom Quixote“ entflammte.

Zu sehen ist Marcia Haydées „Dom Quixote“ an diesem Dienstag und Mittwoch jeweils um 19.30 Uhr im Pfalzbau in Ludwigshafen.