300 bis 400 Millionen Euro kostet das flächendeckende Mammografie-Screening zur Brustkrebsvorsorge pro Jahr in Deutschland. Nun stellt eine britische Langzeitstudie den Sinn dieser Reihenuntersuchung in Zweifel. Foto: dpa

Frauen ab 50 Jahren werden zum Mammografie-Screening aufgefordert. Britische Forscher stellen nun den Sinn dieser Vorsorge infrage. Doch hierzulande warnen Experten vor voreiligen Schlüssen.

Heidelberg/Oxford - Fast jede zehnte Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Um diese Statistik des Deutschen Krebsregisters nicht zu bestätigen, folgen viele Frauen mittleren Alters der Einladung ihrer Krankenkasse und lassen eine Mammografie vornehmen. Das ist eine spezielle Form der Röntgenuntersuchung, die selbst wenige Millimeter kleine Tumore sichtbar macht, die der Frauenarzt bei der Vorsorgeuntersuchung nicht ertasten kann. Ihre Hoffnung: Wenn man regelmäßig zum Screening geht, kann der Brustkrebs erkannt werden, bevor er lebensgefährlich wird.

Seit 2008 gibt es überall in Deutschland Kliniken, die die Mammografie für Frauen im Alter zwischen 50 und 69 Jahren anbieten. Für Frauen in dieser Altersgruppe ist das Brustkrebsrisiko besonders hoch.

Doch rettet die Früherkennung tatsächlich Leben? Eine englische Studie hat dies nun bezweifelt. Epidemiologen aus Oxford haben über einen Zeitraum von 39 Jahren den Zusammenhang zwischen Früherkennung und Todesrisiko bei Brustkrebs betrachtet. Es ist die längste Analyse ihrer Art. Das Ergebnis ist ernüchternd: So berichteten die Autoren um Toqir Mukthar vom Department of Public Health der Uni Oxford in der Fachzeitschrift „Journal of the Royal Society of Medicine“, dass sie keinen Einfluss des Screenings auf die Abnahme der Brustkrebssterblichkeit nachweisen konnten.

Amerikanische Experten sind zu ähnlichen Ergebnissen gekommen

Zwar bestreiten die Forscher nicht den Nutzen eines solchen Screenings für einzelne Frauen, die aufgrund dessen tatsächlich in einem bestimmten Zeitraum weniger an Brustkrebs sterben. Doch scheint der Nutzen so gering zu sein, dass sich dieser auf einer Bevölkerungsebene nicht niederschlägt. Im Klartext: Statistisch konnte die Gefahr, an Brustkrebs zu sterben, durch diese reihenweise vorgenommenen Krebsvorsorge-Untersuchungen nicht verkleinert werden.

Es ist nicht die erste Studie, die den Sinn der Mammografie als Vorsorgeuntersuchung infrage stellt. Im Jahr 2012 waren Experten in den USA zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Die Forscher hatten bei ihrer Analyse aus 30 Jahren Mammografie-Screening in den Staaten keinerlei Überlebensvorteil durch das Röntgen der Brust gefunden. Das Screening, so berichteten die Autoren, habe im besten Fall nur einen kleinen Effekt auf die Todesrate durch Brustkrebs.

In Deutschland liegen solche Studien noch nicht vor. Nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg ist mit Ergebnissen solcher Langzeitbeobachtungen erst in 10 bis 15 Jahren zu rechnen. Weshalb die Krebsforscher davor warnen, die ausländischen Daten eins zu eins auf Deutschland zu übertragen: „Die Ergebnisse der britischen Studie bedeuten in erster Linie nicht, dass das Mammografie-Screening in Deutschland ineffektiv wäre, sondern dass die Früherkennung von Brustkrebs in Großbritannien problematisch ist“, sagt Nikolaus Becker, Leiter des Epidemiologischen Krebsregisters Baden-Württemberg im DKFZ .

Diagnosezeitpunkt vorverlegt

Was allerdings jetzt schon klar ist: Die Zahl der entdeckten Brusttumore in Deutschland ist seit Einführung des Mammografie-Screenings für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren um knapp ein Drittel gestiegen – von rund 57.000 im Jahr 2004 auf 75.000 im Jahr 2012. Das führte aber zu einer Zunahme der Krebstherapien und nicht zu einer Abnahme, die man sich durch die Einführung des Mammografie-Screenings erhofft hatte.

Nicht jede dieser Diagnosen hätte unbedingt gestellt werden müssen: So gibt es Brustkrebsformen, die keine schlechtere Prognose haben, wenn sie später entdeckt worden wären, ohne eine Mammografie. Stattdessen wird der Diagnosezeitpunkt vorverlegt. Die Frauen müssen sich früher mit dem Befund Brustkrebs abfinden, für viele eine große psychische Belastung.

Hinzu kommt die Gefahr der sogenannten Überdiagnosen: „Das bedeutet, dass bei Frauen Tumore entdeckt werden, die ihnen zeitlebens nie geschadet hätten“, sagt Becker. Dennoch werden diese Formen sofort behandelt. Andererseits wird mit Hilfe der Mammografie längst nicht jeder Krebs entdeckt, beispielsweise weil es sich um eine besonders aggressive Form handelt, die nicht rechtzeitig erkannt werden konnte. Teils, weil es zu Fehldiagnosen kommt.

Überdiagnosen als überschaubares Problem

Aufgrund des schwierigen Verhältnisses von Nutzen und Risiko der Mammografie stellt sich die Frage, ob diese Form der Früherkennung denn nicht verzichtbar ist. Schließlich liegen die jährlichen Kosten der flächendeckenden Mammografie in Deutschland bei 300 bis 400 Millionen Euro. Doch vor Schnellschüssen rät Nikolaus Becker ab: „Gerade bei den Überdiagnosen haben wir die Erfahrung gemacht, dass dies ein überschaubares Problem ist.“ Nach der derzeitigen Datenlage des DKFZ kommt auf einen verhinderten Todesfall durch Brustkrebs ein Fall von Überdiagnose. Ein Risiko, das man laut Becker in Kauf nehmen kann.

Hinzu sieht der Krebsforscher Becker die Gefahr, dass eine Abschaffung der Mammografie als Vorsorgeleistung für gesetzlich Versicherte nicht viel bringen würde: Vielmehr würden die Ärzte das Screening weiterhin anbieten – nur ohne Qualitätssicherung, wie sie jetzt vom Gesetzgeber vorgeschrieben ist.

Stattdessen plädieren Krebsforscher wie Becker für eine bessere Aufklärung: „Die Frauen müssen sich die Vor- und Nachteile eines solchen Screenings bewusst machen“, sagt er. Man kann zu der Gruppe gehören, die davon profitiert, es könnte aber auch das Gegenteil eintreten. Aus dieser Zwickmühle gibt es bisher aber keinen Ausweg.