Diese 20 Meter hohe, spektakuläre Felsformation, das Azure Window, ist eine der Hauptattraktionen Gozos. Foto: Ted Attard

Geschwister sind meist sehr unterschiedlich. Das ist auch bei Malta und Gozo nicht anders.

Victoria - „Auf Gozo kann man nur arbeiten, beten und schlafen“, lästern die Malteser gern über die kleine Schwesterinsel. Grüner, ländlicher und nur ein Drittel so groß wie Malta verläuft das Leben auf Gozo tatsächlich weitaus ruhiger als auf der Hauptinsel. Auf Gozo gibt es nur wenige Straßen, eine einzige Ampel, keinen Massentourismus, keine Bettenburgen. Und auch die Sehenswürdigkeiten sind schnell aufgezählt: Das Azure Window, eine 20 Meter hohe bizarre Felsformation aus ockerfarbenem Kalkstein umtost von azurblauem Wasser, die prähistorische Tempelanlage Ggantija, die zum Unesco-Weltkulturerbe zählt, und die Inselhauptstadt Victoria mit den Überresten einer von Kreuzrittern erbauten Zitadelle. Die 67 Quadratkilometer große Insel kann ein Tourist, der von Malta herüberkommt, an einem Tag erkunden. Doch wer’s geruhsam angehen lässt, entdeckt hier jeden Tag etwas Neues, Einzigartiges.

Zwischen 1530 und 1798 beherrschten Kreuzritter die maltesischen Inseln

Seit Jahrhunderten wird der Lebensrhythmus der Gozitaner bestimmt durch die Jahreszeiten. Doch was manchem rückständig oder provinziell erscheint, macht genau den besonderen Reiz der Insel aus. Auf Gozo hat man das erkannt. Und so setzen die jüngsten Initiativen auf Umweltschutz, Nachhaltigkeit, kurzum auf Urlauber, die ihre „grünen“ Ideale auch in den Ferien leben wollen. Einer, der diese Ideale täglich lebt, ist Philip Spiteri - eine Naturgewalt von einem Mann: muskulös, braun gebrannt, mit seinem kahlgeschorenen Kopf und der markanten Nase erinnert er an den Schauspieler Telly Savalas alias Kojak. Seine Augen sind hellblau - ungewöhnlich für einen Südländer. Ist er ein Nachfahre der Johanniter, jener europäischen Kreuzritter, die zwischen 1530 und 1798 die maltesischen Inseln beherrschten und offenbar nicht nur in den Bauwerken des Archipels ihre Spuren hinterließen? Das Temperament hat Philip Spiteri jedoch sicher von seinen südländischen Ahnen. Trotz 35 Grad im Schatten hastet er von Pflanze zu Pflanze und spricht mit Enthusiasmus, über die Gewächse, die seit Generationen die Lebensgrundlage seiner Familie sind. Wir machen eine Wanderung über das ausgedehnte Land seines Gutshofes. „Ta Mena“ liegt in einem fruchtbaren Tal unweit von Marsalforn, im Norden der Insel. Geschmeidig wie eine Raubkatze springt der 48-Jährige auf eine der zahllosen Mauern, die hier die Hänge der Tafelberge zerfurchen. Auf den terrassenförmig angelegten Feldern bauen die Gozitaner seit Jahrhunderten Oliven, Wein, Kapern und Zitrusfrüchte an. Auch Tomaten und Zucchini, Erdbeeren und Melonen gedeihen prächtig. Mit einer fliederfarbenen Artischockenblüte kehrt Spiteri zurück, um zu demonstrieren, was er unter Nachhaltigkeit versteht, nämlich dass er nichts auf seinen Äckern und Feldern verkommen lässt. „Die Natur beschert uns mehr Artischocken, als wir verkaufen oder selbst essen können.

Deshalb machen wir aus den Blüten Gestecke und Sträuße - für Hochzeiten und Beerdigungen.“ Als wir von unserem Ausflug in die Gärten und Felder zurückkommen, haben wir nicht nur zwei Kilo Erdbeeren dabei, die wir selbst gepflückt haben und die zusammen mit Pistazieneis unser Nachtisch sein werden. Wir wissen, wie wilder Fenchel aussieht, wie man Kaktusfrüchte von den Stacheln befreit, damit man sie gefahrlos essen kann, was der Unterschied zwischen Kapern und Kapernäpfeln ist, und dass diese faszinierende Pflanze in der Antike als Heilmittel und Aphrodisiakum galt. Zurück im schattigen Innenhof von Ta Mena bereiten wir unter Anleitung von Küchenchef George Borg, einem Freund und Geschäftspartner von Philip Spiteri, eine Mahlzeit nach traditionellen Rezepten zu: mit Ziegenkäse gefüllte Zucchini und das Leibgericht der Malteser, in Wein geschmortes Kaninchenragout. Dazu gibt es einen vollmundigen Chardonnay, dessen Trauben selbstverständlich auf Spiteris Terrassen herangereift sind. Der Kochkurs mit anschließendem gemeinsamen Mahl ist nur eine von vielen Aktivitäten, die Urlauber auf Ta Mena genießen können.

Die Gewässer gehören zu den besten Tauchrevieren im Mittelmeer

Wer Gozos einzigartige und wilde Schönheit erleben will, sollte dies aber unbedingt auch vom Wasser aus tun. Denn auf der Insel wechseln sich spektakuläre Steilküsten mit verträumten Buchten und türkisfarbenen Fjorden ab. Wegen der steilen Klippen lassen sich manche besser vom Boot aus erreichen. Unsere Kajaks sind knallrot und gleiten lautlos über das kristallklare Wasser. Die Oberfläche des Meeres ist glatt wie ein Spiegel, und so kann man auch ohne Taucherbrille die Artenvielfalt unter Wasser erkennen: Seesterne und Anemonen, rote Korallen und Seeigel und Schwärme von kleinen und großen, silbrigen und bunten Fischen. „Die Gewässer um Gozo gehören zu den besten Tauchrevieren im Mittelmeer“, sagt Xavier Hancock, der uns begleitet. Der 36-jährige Engländer hat ein Outdoor-Unternehmen und bietet neben Wanderungen und Kanutouren, auch Tauchgänge und Klettertouren an. Auch bei „Gozo-Adventures“ wird Nachhaltigkeit und Umweltschutz großgeschrieben. Die Lunchpakete werden in Papiertüten verpackt, soweit möglich verzichtet Xavier Hancock auf den Einsatz von Auto- oder Schiffsmotoren.

„Ich bin schon als Kind immer in den Ferien auf Gozo gewesen“, erzählt Hancock. „Natürlich hat sich auch hier durch den Tourismus einiges verändert. Aber im Gegensatz zu Malta hat sich Gozo seine Beschaulichkeit und seinen natürlichen Charme erhalten“, sagt er. Und so soll es auch bleiben. Wir lassen die Steilküste hinter uns und paddeln an der Küstenlinie entlang Richtung Osten. Hinter Marsalforn wird die Landschaft lieblicher. Ziel ist „Ramla-I-Hamra“, Gozos berühmteste Bucht. Odysseus, so berichtet es uns der Dichter Homer in seiner „Odyssee“, soll hier als Schiffbrüchiger an Land gespült worden sein. Die Nymphe Kalypso pflegte ihn gesund und verliebte sich in den griechischen Helden - sieben Jahre soll die Romanze gedauert haben. Wir ziehen die Kajaks auf den roten Sand. Die Höhle der Nymphe liegt in den Klippen oberhalb des Strandes. Auch hier ist die Natur üppig. Kaktusfeigen blühen in knalligem Gelb und Orange. Aus dem Tal hinter dem Strand weht der betörende Duft von Mimosenbäumen herüber, an den Hängen wuchern Büsche von wildem Rosmarin und Thymian. Von einer Plattform oberhalb der Höhle hat man einen herrlichen Ausblick auf die Bucht, die noch fast genauso unberührt daliegt wie in der Antike. Das Meer ist so klar, dass man unter Wasser die Mauern sehen kann, die die Gozitaner vor Hunderten von Jahren errichtet haben, um Piraten und Korsaren, die die Insel immer wieder heimsuchten, die Landung zu erschweren. Ansonsten keine Anzeichen von Zivilisation, so weit das Auge reicht. Nur ein paar Sonnenschirme auf dem Strand und ein kleiner Kiosk sind Hinweise darauf, dass es nicht Odysseus und Kalypso sein können, die dort unten eng umschlungen durchs flache Wasser gehen.

Infos zu Gozo

Anreise
Mit Air Malta von Frankfurt, München, Düsseldorf, Hamburg und Berlin-Tegel direkt nach Malta, www.airmalta.com . Mit Bus, Taxi oder Mietwagen erreicht man den Fährhafen Cirkewwa (Fahrtzeit etwa 40 Minuten). Von hier aus verkehrt eine moderne Autofähre. Die Überfahrt nach Mgarr dauert eine halbe Stunde. Fahrpläne unter www.gozochannel.com.

Unterkunft
Für Hotelfans eignet sich das Kempinski San Lawrenz, www.kempinski.com/gozo . Für Selbstversorger bietet Gozo Ferienwohnungen in teils jahrhundertealten, liebevoll restaurierten Bauernhäusern an - oft mit schattigen Innenhöfen, teils mit Pool, www.gozofarmhouses.com , www.razzettharruba.com .

Aktivitäten
Agro-Tourismus: www.tamena-gozo.com/agritourism;
Sportliches: Wandern, Klettern, Kajak, Montainbike und Tauchen: www.gozoadventures.com ;
Kunst/Kreativität: www.kreativ-urlaub-gozo.com.

Sprache und Verkehr
Die maltesischen Inseln waren einst britische Kolonie. Daher sprechen die Einheimischen fließend Englisch. Auf den Straßen gilt, ebenso wie in Großbritannien, Linksverkehr - Vorsicht, gewöhnungsbedürftig.

Allgemeine Informationen
Malta Tourism Authority Frankfurt, Tel . 069 / 28 50 90 , www.visitmalta.com sowie www.urlaubmalta.com .