Szene aus Philippe Saires beklemmendem Tanzstück „Black Out“ Foto: Philippe Weissbrodt

Fast wirkt es, als hätten sich die Colours-Gäste abgesprochen, die am Mittwoch das Theaterhaus bespielen. In ihren Stücken zeichnet der Tanz Spuren auf die Bühne – wenn auch ganz unterschiedliche.

Stuttgart - Splitt rieselt, Staub weht auf und legt sich auf die Bühne, sodass der Tanz tatsächlich Spuren hinterlässt. Fast wirkt es, als hätten sich die Colours-Gäste, die am Mittwoch das Theaterhaus bespielen, abgesprochen. Und doch zeichnen sie ganz unterschiedliche Tanzmuster.

Maguy Marins Anti-Ästhetik

Wenn sich in „May Be“ von Maguy Marin, der französischen Tanzikone, zehn reichlich abgerissene Gestalten wie ein Körper ruckartig über die Bühne schieben, staubt es aus ihren Schlappen. Ihr Schlurfen hinterlässt Spuren und schreibt sich in seiner Unabdingbarkeit wie der Loop von Garvin Bryars Musik ins Gedächtnis ein. Und doch hat das vor 38 Jahren entstandene, von den Dramen Samuel Becketts inspirierte Werk kaum Staub angesetzt. Radikal anders in seiner Anti-Ästhetik und mit einer Bewegungssprache, die aus wenig Schrittmaterial Abwechslung nach dem Baukasten-Prinzip erzeugt und repetitiv dem Minimalismus huldigt, sieht sich das Colours-Publikum mit einer unvergleichlichen Parabel über die menschliche Existenz konfrontiert. Den Tanz-Rhythmus über weite Teile gleichsam aus dem eigenen Körper hervorgrunzend und schnaubend beeindrucken die Tänzer durch synchrone Abläufe und hohe Präzision. So unterschiedlich die einzelnen Typen auch scheinen, sind sie anfangs eine amorphe Masse mit gleichen Lüsten und Lastern. Später individualisieren sie sich durch die Rollen der Beckett-Figuren. Da ist der blinde Hamm im Rollstuhl mit seinem Diener Cov aus „Endspiel“, da führt Pozzo seinen Diener Lucky aus „Warten auf Godot“ wie einen Sklaven am Halsstrick. Am Schluss bleibt ein Einzelner zurück. Das Bühnenlicht erlischt so schleichend, dass der Applaus ein Weilchen abwartet. (jul)

„Folia“ feiert das Leben

Ganz anders ist das nach „Folia“. Da tobt der Jubel, kaum ist der letzte Ton verklungen. Tatsächlich ist Mourad Merzouki eine sinnlich dichte Begegnung von Tanz und Musik gelungen, die keinen kalt lässt. Die Konstellation erinnert an „Cantata“, die Gauthier Dance mit roher Energie tanzte. Auch in „Folia“ erklingen auf einer Art Marktplatz alte italienische Lieder, doch das siebenköpfige Barockensemble Concert de l’Hostel Dieu aus Lyon spinnt daraus mit der Sopranistin Heather Newhouse feinste Klanggeflechte. Manchmal erbeben sie im zu lauten Trommelschlag; der Staub, der dann aus den Kostümen der 15 Tänzer auffliegt, symbolisiert die Jahrhunderte, die „Folia“ überbrückt. Grenzen jeder Art einzureißen, ist Merzoukis Ding. Breakdance trifft hier Ballett, ein Derwisch-Rock, ein Hip-Hop-Helikopter, alles und alle sind von wirbelnder Energie erfasst. Was soll’s, wenn vieles vor Kitsch trieft, der Tanz auf Emotion, nicht auf Präzision abzielt: „Folia“ feiert das Leben in einer flirrenden Bilderflut. (ak)

Beklemmender „Black Out“

Fast verwirrt reibt sich da die Augen, wer vor „Folia“ hinabgestiegen war in die Grube, die Philippe Saire im kleinsten Theaterhaus-Raum aufgebaut hat. Rund 20 Quadratmeter groß ist die Bühne, auf die das Publikum in „Black Out“ herabschaut wie auf ein Gehege im Zoo. Darin eingesperrt sind drei Tänzer und ein Stück, das nichts ist für Menschen mit Platzangst. Beklemmende Situationen reihen sich aneinander, wenn etwas Schwarzes – Splitt, Asche, Feinstaub? – herabrieselt und sich in die Haut der Tänzerin im Bikini und ihrer badebehosten Begleiter gräbt, wenn die Männer wie Terroristen Anzüge und Sturmhauben überziehen. Tänzerische Momente sind minimalistisch gesetzt in dieser Installation, mit Schaufeln, mit Körpern zeichnen sie Ornament in den Belag. Immer überlagert die grafische Ästhetik dieser Bilder die Frage, wie der Mensch in einem zunehmend widrigen Umfeld mit neuen Zumutungen umgeht. In „Black Out“ werden die Tänzer am Ende, nachdem sie kurz wie Sternbilder aufleuchteten, vom Schwarz verschluckt. Kein Lichtblick mehr nirgends. (ak)