Wolfgang Raunitschke möchte nachhaltig arbeiten und die Gesellschaft ein wenig mitgestalten. Deshalb ist der 59-Jährige Erzieher geworden. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Männer sind in Kitas noch immer deutlich in der Unterzahl. Wolfgang Raunitschke ist einer von ihnen. Er fordert ein gesellschaftliches Umdenken und weist auch auf ein „brandaktuelles“ Thema hin.

Stuttgart - „Ich bin ein Exot“, sagt Wolfgang Raunitschke. Dabei, findet er, sollte das gar nicht so sein. Wolfgang Raunitschke ist 59 und Erzieher. „Es dürfte nichts Besonderes sein, dass Männer in Kindergärten arbeiten“, sagt der Pädagoge. Und doch ist es so. Entgegen aller politischen Willensbekundungen und entgegen der Erkenntnis, dass es für Kinder – besonders für die Jungen, aber nicht nur für sie – sinnvoll ist, wenn sie im Kindergarten nicht nur Frauen als Bezugspersonen haben.“

Wolfgang Raunitschke ist ein Spätberufener: Im Alter von 35 Jahren schulte der gelernte Koch, der im Allgäu ein Restaurant betrieben hat, der aber auch auf Montage und acht Jahre lang bei der Bundeswehr war, zum Waldorferzieher um. Nach mehreren Jahren im Hort arbeitet er nun seit mehr als zehn Jahren im Waldorfkindergarten auf der Gänsheide. Er möchte „nachhaltig“ arbeiten, er möchte „mit Menschen arbeiten und die Gesellschaft ein klein wenig mitgestalten“, nennt der 59-Jährige zwei wichtige Punkte, die ihn zu seinem Beruf gebracht haben.

Es fehlen Aufstiegsmöglichkeiten

Und noch etwas: Kinder, erzählt der dreifache Vater, waren ihm schon immer wichtig – ganz besonders jene, „die es nicht so leicht haben“. Das habe ihn zu der Frage geführt, wo es anfängt, dass ein Kind es schwer hat; und die Suche nach der Antwort wiederum dorthin, wo neben der Familie die Basis für ein Leben geschaffen wird: in den Kindergarten.

Andere Männer fänden es oft „cool“, dass er Erzieher ist, erzählt Wolfgang Raunitschke. Dennoch wählen nur verschwindend wenige diesen Beruf. Raunitschke sieht dafür zwei entscheidende Gründe, die auch durch die Politik immer wieder angeführt werden: „Finanziell“, sagt er, „ist der Job nicht so attraktiv. Und es gibt keine großen Aufstiegsmöglichkeiten.“ Nach wie vor seien in den Familien meistens die Männer die Haupt- oder gar Alleinverdiener – „da müsste man anfangen“, ist der Pädagoge überzeugt. „Wir legen das Fundament. Da wäre es wichtig, gut zu verdienen.“ Es gibt aber noch ein Thema, das womöglich manchen potenziellen Erzieher abhält beziehungsweise den Hort vorziehen lässt: der Pädophilieverdacht, dem sich Erzieher besonders im Kleinkindbereich immer wieder offen oder versteckt ausgesetzt sehen. Auch Raunitschke, der „eigentlich immer ein Kind auf dem Schoß“ hat, hat schon Entsprechendes zu hören bekommen. „Da kommt wohl kein Mann dran vorbei – und es ist sehr, sehr verletzend“, konstatiert er.

Raunitschke: Die Politik ist gefragt

Außer dem persönlichen Aspekt stellt sich für ihn da die Frage nach der Haltung der Gesellschaft: Wie kann ein Erzieher ein Kind – oder auch ein Vater seine Tochter oder seinen Sohn – trösten, in den Arm nehmen, liebevoll umsorgen, wenn er Angst haben muss, die körperliche Nähe könnte ihm übel angelastet werden? „Wir müssen gesellschaftlich umdenken“, sagt Raunitschke. Sonst, davon ist er überzeugt, behalten Männer als Erzieher ihren Exotenstatus. Allerdings ist er auch überzeugt: „Wenn wir darauf warten, dass gesellschaftlich etwas wächst, wird das nichts. Da ist die Politik gefragt.“

Doch unabhängig von allen seit Jahren diskutierten Punkten, weshalb es sinnvoll ist, dass auch Männer in Kitas arbeiten, weist Raunitschke noch auf ein „brandaktuelles“ Thema hin: Die jungen Flüchtlinge, die aus dem arabischen Raum nach Deutschland kommen, wachsen meist mit einem aus westlicher Sicht überkommenen Rollenbild und -verständnis auf. Da könne er besonders sinnvolle Arbeit leisten, sagt Wolfgang Raunitschke: „Ich kann den Jungen als Mann besser vermitteln, dass die Mädchen bei uns gleichberechtigt sind.“