Lüge oder Wahrheit: Der Grat in einer Partnerschaft Foto: Fotolia

Lügen kann das Vertrauen des Partners untergraben und eine Beziehung zerstören. Doch wie steht es um kleine Notlügen? Sind sie um des lieben Frieden willen erlaubt?

Lügen kann das Vertrauen des Partners untergraben und eine Beziehung zerstören. Doch wie steht es um kleine Notlügen? Sind sie um des lieben Frieden willen erlaubt?

Herr Schmidbauer, Treue und Vertrauen sind das Fundament jeder Partnerschaft. Ist eine Beziehung zum Scheitern verurteilt, wenn ein Partner nicht treu ist oder – aus welchen Gründen auch immer – nicht treu sein kann?
Ich bin grundsätzlich vorsichtig gegenüber allen universalistischen Aussagen. Es gibt Paare, die sich wegen einer glücklichen Ähnlichkeit in ihren sexuellen Bedürfnissen gut treu bleiben können. Es gibt aber auch Paare, wo das nicht so einfach funktioniert. Von diesen gibt es wiederum zwei Typen: Zum einem Paare, die eine Untreue bewältigen können und nicht daran zerbrechen und zum anderen Paare, die daran scheitern, weil die Eifersucht zu übermächtig wird.
Ist Treue eine absolute Maxime oder eine Variable mit zahlreichen Variationsmöglichkeiten im Beziehungsleben?
Treue ist sehr vielschichtig. Die Paare, die eine sexuelle Untreue verkraften, sind vielleicht in anderen Bereichen treu und fürsorglich geblieben: Sie entwerten sich nicht gegenseitig und quälen sich nicht mit irgendwelchen Vorwürfen, sondern können das Positive in ihrer Beziehung auch über bestehende Differenzen sehen und wertschätzen. Es gibt aber auch Paare, die stellen höchste Erwartungen aneinander und können das Scheitern nicht verkraften, sondern fangen Krieg an unter dem Stern der großen reinen Liebe, die der Partner verraten hat.
Die Lüge ist auch ein Mittel, um Untreue zu verschleiern. Wie vertragen sich Lüge und Liebe?
Zur Verliebtheit gehört ein gewisses Maß an Illusion. Ein Verliebter kann, auch wenn er die Figur seiner Liebsten nicht perfekt findet, nicht sagen: ‚Du hast zu dicke Hüften‘, sondern er muss sagen: ‚Du siehst toll aus. Alles an dir ist genau richtig‘. Das ist zwar eine Lüge, die aber eher beziehungsstiftend ist und jedenfalls normaler als das Gegenteil – nämlich gnadenlos die Wahrheit zu sagen. Ganz anderes verhält es sich dagegen mit einer Lüge, die Betrügerisches enthält und mit einem Versprechen arbeitet, das nicht eingehalten wird. Das ist auf jeden Fall ein beziehungsstörendes Element dabei, denn Vertrauen ist ein zentraler Wert in langfristigen Beziehungen.
Und wie wichtig ist Ihrer Meinung nach dieses Vertrauen?
Vertrauen ist durch Lügen immer gefährdet. Liebende neigen dazu absolutes Vertrauen einzufordern. Vertrauen ist aber nur dann sozial praktikabel, wenn es mit Einschränkungen verbunden ist, beispielsweise mit Respekt für die Grenzen des Partners.
Für die Beurteilung einer Lüge ist es wichtig, in welchem Kontext sie ausgesprochen wurde. Relativiert der konkrete Zusammenhang die Schwere einer Lüge oder ist eine Falschaussage immer und ohne Ausnahme verwerflich?
Da sind die Ethiker sehr unterschiedlicher Meinung. Der Skeptiker Arthur Schopenhauer ist realistischer als der Idealist Immanuel Kant. Kant sagt: Lüge ist in jedem Fall verwerflich. Man darf zum Beispiel den Räuber nicht anlügen, wenn er nach dem Geldversteck fragt. Schopenhauer hält dagegen: Man muss lügen, wenn man anders seine Intimsphäre nicht vor Zudringlichkeiten schützen kann. In einem solchen Fall ist die Lüge erlaubt. In Partnerschaften ist es sinnvoll, auch in der Aufklärung von Lügen eher auf Kooperation als auf Schuldzuweisung hin zu arbeiten. Wenn der eine Partner so inquisitorisch fragt und mit Liebesentzug droht, dass der andere aus Angst lügt, sind sozusagen beide an der Lüge beteiligt.
Auch wenn die Unwahrheit sagen zu einer intakten Beziehung gehört, muss es nicht Grenzen geben, die man nicht ohne schwerwiegende Konsequenzen heraufzubeschwören überschreiten darf?
Es ist ein Unterschied, ob ich lüge, um meine Intimsphäre zu schützen oder ob ich lüge, um meinen Partner zu betrügen oder auszubeuten. Wenn zwei Partner getrennt in Urlaub fahren, beide während dieser Zeit sexuelle Erlebnisse haben und sich danach wieder treffen, dann können sie sich davon erzählen oder sie können es verschweigen oder nur einer kann davon erzählen. Solche Dinge sind so zu handhaben, wie man es möchte, um die Beziehungen nicht übermäßig zu belasten. Eine Pflicht zu gestehen gibt es jedenfalls nicht.
Und was ist dann mit dem Ideal einer symbiotischen Beziehung, in der man sich hoch und heilig verspricht, nur die Wahrheit zu sagen?
Symbiosen sind ein sehr gefährliches Ideal, weil in dem Moment, wo eine Erwartung nicht eingehalten wird, die ganze Beziehung in Frage gestellt wird. Die Gefahr ist groß, dass der Partner, der quasi ein Verräter an den symbiotischen Erwartungen ist, plötzlich als böser Menschen da steht. Ihm geschieht aber Unrecht, weil die Beziehung nach wie vor auch ihre guten Seiten hat. Wenn das alles vergessen wird, ist das ungerecht und potenziell destruktiv.
Wie beurteilen Sie die Einstellung von Paaren, die von vorneherein sagen: Fremdgehen ist definitiv das Ende unserer Beziehung?
Das setzt die Partner einerseits unter Druck, bedeutet andererseits aber auch eine unmissverständliche Klarheit. Realistischer wäre es freilich, zu sagen: „Ich kann mir eine weitere Beziehung dann nicht vorstellen“. Zwischen Aussagen wie „Das Ende unserer Beziehung ist erreicht, wenn . . .“ und dem tatsächlichen Ende einer Beziehung liegt ein weites Feld. Menschen sind in kaum einem Lebensbereich so unfähig ihr eigenes Erleben und Verhalten vorauszusagen wie im Fall von Eifersucht und Untreue.
Heißt das, ein wenig Schwindeln in der Beziehung sollte jeder von vorneherein einplanen?
Man plant Beziehung nicht von Anfang an, sie entwickeln sich, und der Umgang mit Lügen ist ein Teil dieser Entwicklung. Dramatisieren ist dabei so wenig nützlich wie Herunterspielen. Beziehungserhaltend wäre es, wenn beide sich fragen, warum sie sich so verhalten haben und daraus ihre Schlüsse ziehen. Wenn ein Paar zusammen bleiben will, können sie sich dann auf andere Umgangsformen einigen. In einer rein moralischen Debatte besteht die Gefahr, dass der als Lügner Gebrandmarkte schwört, nie wieder zu lügen, aber im Rücken die Finger kreuzt, damit der Schwur in die Erde fährt und nicht gehalten werden muss.

Zur Person: Wolfgang Schmidbauer

Autor von mehr als 40 Büchern – darunter „Die heimliche Liebe: Ausrutscher, Seitensprung, Doppelleben“ (Rowohlt Verlag) und „Paartherapie: Konflikte verstehen, Lösungen finden“ (Gütersloher Verlag)