Eingangspforte zum Konzentrationslager Auschwitz mit Schriftzug „Arbeit macht frei“ Foto: epa pap

Eineinhalb Jahre lang haben Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm und seine 19 Kollegen von der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen ehemaligen SS-Wachmännern nachgespürt. Jetzt befinden sich drei Männer aus Baden-Württemberg wegen dringenden Verdachts auf Beihilfe zum Massenmord in Haft.

Ludwigsburg - Eineinhalb Jahre lang haben Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm und seine 19 Kollegen von der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg eine 6000 Namen lange Liste bearbeitet – Namen von mutmaßlichen ehemaligen SS-Wachmännern des Konzentrationslagers Auschwitz. Jetzt befinden sich drei Männer aus Baden-Württemberg wegen dringenden Verdachts auf Beihilfe zum Massenmord in Haft. Sie wurden in das Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg eingeliefert. Einer von ihnen ist ein 94-Jähriger aus Ludwigsburg.

In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wurden in Baden-Württemberg sechs Wohnungen von Verdächtigen durchsucht. Insgesamt fanden bei den bundesweiten Razzien im Südwesten, Hessen und Nordrhein-Westfalen Hausdurchsuchungen bei elf mutmaßlichen früheren NS-Schergen im Vernichtungslager Auschwitz statt. In dem größten der nationalsozialistischen Todeslager wurden mindestens 1,1 Millionen meist jüdische Häftlinge ermordet. In den Wohnungen der mutmaßlichen Kriegsverbrecher wurden diverse Unterlagen sichergestellt. Fünf der Personen aus Baden-Württemberg äußerten sich nicht zu den Vorwürfen. Ein aus dem Enzkreis stammender 88-Jähriger erklärte, in Auschwitz gewesen zu sein. Eine Beteiligung an der Tötung von KZ-Insassen habe er bestritten.

Die Hausdurchsuchungen gehen auf Ermittlungen der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen zurück. Im November legte sie der Staatsanwaltschaft Namen von 30 mutmaßlichen noch lebenden Tätern vor, die sich an NS-Verbrechen in Auschwitz beteiligten hatten. Eine Liste ungeklärter Herkunft mit den Namen von mutmaßlichen SS-Angehörigen, die in Ausschwitz aktiv waren, war Ausgangspunkt der Ermittlungen.

„Dass überhaupt noch an der Aufklärung dieser Straftaten gearbeitet wird, liegt an dem Fall John Demjanjuk“, sagt Kurt Schrimm. Demjanjuks Beteiligung an 29 000 Morden im Vernichtungslager Sobibor habe die Debatte, Kriegsverbrecher aus der NS-Zeit auch heute noch ausfindig zu machen, erst wieder aufkommen lassen. Ein Urteil wurde nie gesprochen, weil Demjanjuk 2011 in Untersuchungshaft starb.

Daraufhin brachte sich die Zentrale Stelle mit einem neuen Verständnis der Rechtslage ins Gespräch. „Wer in keinem KZ wie Sobibor tätig war, das der reinen Vernichtung von Menschen diente, war nach der Rechtsauffassung bis in die 80er nicht zwingend verantwortlich.“ Auschwitz diente nicht ausschließlich zur Vernichtung, weshalb viele NS-Verbrecher heute noch auf freiem Fuß sind. Nach Auffassung der Zentralstelle soll aber jeder belangbar sein, der in einem KZ dazu beigetragen hat, dass die Tötungsmaschinerie funktionierte – egal, ob direkt als Aufseher bei den Gaskammern oder indirekt etwa als Koch. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs über diese Beurteilung steht bis heute aus.

Seit 1945 wurden in Deutschland 6000 Täter wegen NS-Verbrechen verurteilt. 464 Verfahren laufen aktuell noch – nach Einschätzung des Bundesjustizministeriums die meisten mit geringen Aussichten auf Erfolg.